Nailart: Seit 7.000 Jahren der neueste Trend
Menschen, die mit reich verzierten Fingernägeln ihre Handys bedienen oder U-Bahn Türen öffnen: Man fragt sich, wie dieses eigentlich harmlose Überbleibsel der Evolution zu solchen Krallen werden konnte?
Der Trend der langen und kunstvoll designten Fingernägel ist eigentlich kein Trend mehr. Denn alle tragen sie gerade. Vielleicht ist es eine Altersfrage, aber wenn "Nailart beim Eurovision Song Contest" eine eigene Rubrik in den Sozialen Medien ist und Nageldesign-Videos bis zu 16 Millionen Views erreichen, dann ist aus dem Trend schon längst Mainstream geworden.
Nailart als Zeichen für Emanzipation und Selbstbestimmung
In Amerika begann der Trend zu Acrylnägeln schon in den 70er- und 80er-Jahren, war jedoch eher verbreitet unter Schwarzen Frauen, für die die Nagelmode Emanzipation und Selbstbestimmung versinnbildlichte. Die amerikanische Soziologin Miliann Kang schreibt in ihrem Buch "The Managed Hand": "Zu jenem Zeitpunkt standen French Manicure und Pastellfarben für weiße, bürgerliche, heteronorme Schönheit. Lange modellierte, mit Airbrush bearbeitete Fingernägel hingegen waren Zeichen von Blackness, sexueller Abweichung und marginalisierter Weiblichkeit."
Als dann 1984 Florence Griffith-Joyner bei den Olympischen Spielen Gold gewann, holte das zusätzlich die Fingernägel aus der Schmuddelecke und zeigte Empowerment, Selbstermächtigung: "Die Leute waren geschockt angesichts meiner Outfits und der langen Nägel und haben sich gefragt, wie ich denn so performen könne. Vor Jahren wurde schon in der Zeitung kommentiert, dass ich nicht besonders schnell werde laufen können mit so langen Fingernägeln oder so einer Frisur oder diesen Klamotten. Ich sage: Es ist egal, was du an hast. Wichtig ist, was du glaubst, schaffen zu können."
Nageldesign: Seit 7.000 Jahren im Trend
Aber natürlich reicht das Nageldesign weiter zurück: Bereits 5.000 v. Chr. haben sich indische Frauen die Nägel mit Henna rot gefärbt; in Babylon 3.000 v. Chr. Männer wie Frauen gold. Etwa aus dieser Zeit stammt - kein Witz - ein Fund des ersten Maniküre-Sets. Auch in China werden seit tausenden Jahren Fingernägel modifiziert - und Hierarchien wurden per Farbcodes dargestellt. Im Arte-Magazin "Tracks" erklärt die schwedische Nageldesignerin Lisa Mård: "Für die meisten mag das ein neuer Trend sein, aber da steckt eine breite Kultur dahinter, die in den Schwarzen und asiatischen Communities schon seit Ewigkeiten zelebriert wird."
Hier bei uns hatten Nagelstudios bis in die 80er-Jahre noch etwas Mondänes. Man kannte es nur aus Hollywood-Filmen. Aber längst - seit dem sie auch hier überall das Stadtbild prägen - findet dort weit mehr als Maniküre statt. Nailart ist eine eigene Kunstform geworden. Die Fingernägel sind quasi die kleinsten Leinwände der Welt. Und als Kunst darf man die Nailart an künstlichen Nägeln schon bezeichnen - spätestens seit Rapperin Lil’ Kims "Money Manicure" von 1993, für die Nail-Artistin Bernadette Thompson echte Dollar-Scheine verwendete, es sogar ins Museum of Modern Art in New York geschafft hat.
Männer und Nagellack: Zwischen Punk und Solidarität
Zurück in die Gegenwart: Heute schmücken sich auch immer mehr Männer die Nägel - zumindest mit Lack. Was früher Unangepasstheit war, wird heute immer mehr zum solidarischen Statement, dass Geschlechterrollen nicht mehr so wichtig sind. Der Sänger und Songwriter Bobby Lies sagt im Interview mit Arte: "Das Tragen von Nagellack kommt bei mir hauptsächlich von meinem Punk-Einfluss, weil man bewusst Dinge gesucht hat, die nicht der Normalität entsprechen und mit anderen Dingen und der Norm brechen. Ich glaube, dass es absolut normal sein wird, irgendwann für Männer Make-Up und Röcke zu tragen - so wie es für Frauen normal geworden ist, Hosen zu tragen."