Der Saal in der Komödie am Altstadtmarkt Braunschweig: Einige Sitze bleiben frei, um Abstand zwischen den Besucherinnen und Besuchern zu gewährleisten. © NDR Foto: Michael Brandt
Der Saal in der Komödie am Altstadtmarkt Braunschweig: Einige Sitze bleiben frei, um Abstand zwischen den Besucherinnen und Besuchern zu gewährleisten. © NDR Foto: Michael Brandt
Der Saal in der Komödie am Altstadtmarkt Braunschweig: Einige Sitze bleiben frei, um Abstand zwischen den Besucherinnen und Besuchern zu gewährleisten. © NDR Foto: Michael Brandt
AUDIO: Corona-Hilfen in Niedersachsen: Gut geeignet für Solo-Selbständige? (5 Min)

Corona-Hilfen für die Kultur: Wie lief es in Niedersachsen?

Stand: 16.01.2023 12:57 Uhr

Während ein DJ dank der Hilfen seine Livesets ins Internet verlegen konnte, hadert ein Bassist mit der Bürokratie und hat bis heute Existenzsorgen. Außerdem: Wie die Komödie am Altstadtmarkt und das Staatstheater in Braunschweig durch die Pandemie gekommen sind.

von Michael Brandt

Ein stetiges Monatsgehalt - für viele ist das eine wichtige Sicherheit im Leben. Für solo-selbstständige Kulturschaffende gibt es diese Konstante nicht. Vielen von ihnen fehlte während der Lockdowns plötzlich das Geld, denn Diskotheken hatten geschlossen, Musik-Festivals oder Konzerte fielen aus. 

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Corona-Hilfen: Himmelhoch helfend, vom Bankrott bedroht?

Die Kultur werde nicht im Stich gelassen, hieß es zu Beginn der Pandemie. Es sollte schnell und viel geholfen werden. Hat das funktioniert? mehr

Albert Bührmann aus Göttingen, besser bekannt als DJ Albi, legt seit mehr als 50 Jahren bei Parties in Clubs oder bei anderen Feiern auf. Damit war ab März 2020 plötzlich Schluss. "Da ist für mich einiges zusammengebrochen - ich habe gedacht, das war's", erinnert sich der Discjockey. "Ich habe dann versucht, Hilfe zu kriegen, war von März bis September relativ verzweifelt." Auch Trommelunterricht in seinem kleinen Proberaum konnte der Musiker während des Lockdowns nicht mehr geben. 

DJ Albi: Neustart im Netz mit "Rock gegen Rheuma"

Dann hat der NDR im September 2020 über die schwierige Lage von DJ Albi und anderen freischaffenden Musikerinnen und Musikern berichtet. Nur zwei Tage nach der Sendung, erinnert sich Bührmann, habe sich die zuständige NBank, die Förderbank des Landes Niedersachsen, bei ihm gemeldet. Mit den Hilfsgeldern, die nun flossen, hat sich der heute 68-Jährige Equipment für Live-Streams im Internet gekauft. Unter dem Titel "Rock gegen Rheuma" fing er an, seine Live-Sets im Netz zu verbreiten - inklusive Tanzeinlagen vor der Kamera. "Das hat mich herausgefordert und das hat Spaß gemacht", erinnert sich der DJ. "Wenn das Finanzielle gesichert ist, kannst du viel lockerer an die Sache rangehen."

Finanziell sei er dank der Hilfsprogramme am Ende gut durch die Schließungszeiten gekommen. Denn seinen Lebensunterhalt konnte DJ Albi mit seiner kleinen Rente bestreiten und die laufenden Kosten für Übungsraum und Lager sowie neue Technik für das Streamen mit Hilfsgeldern begleichen.

Hilfen oft zur Deckung der Betriebskosten gedacht  

Der Bassist Hagen Gödicke sitzt mit seinem Instrument vor einem Verstärker auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. © privat / Hagen Gödicke
Hagen Gödicke bei einem seiner letzten Auftritte kurz vor Beginn der Pandemie im März 2020.

Solo-Selbstständige ohne laufende Betriebskosten hatten es oft schwerer. Denn viele der Förderprogramme sollten eben genau diese Kosten decken und waren nicht dazu da, den Kühlschrank der Künstlerinnen und Künstler zu füllen. 

Das musste auch der Bassist Hagen Gödicke aus dem Landkreis Peine erfahren. Mit seiner Punkband "Die Schröders" landete er Anfang der 90er-Jahre einen Nummer-Eins-Hit in Österreich ("Lass uns schmutzig lieben machen") und gehört heute zur Live-Besetzung der Band Oomph! Wie DJ Albi gibt auch Gödicke Musikunterricht, hat allerdings keine Ausgaben für Räume, sondern nur für seinen eigenen Lebensunterhalt. Deswegen seien viele Hilfsprogramme für ihn nicht in Frage gekommen. Immerhin konnte er einzelnen Schülerinnen und Schülern zwischen den Lockdowns Instrumentalunterricht geben. 

"Vereinfachter Zugang" zu Hartz IV für Solo-Selbständige  

Den Lebensunterhalt Solo-Selbstständiger mit Hilfsprogrammen abzudecken - das sei in Niedersachsen aufgrund "geltender haushalts- und zuwendungsrechtlicher Rahmenbedingungen" nicht möglich gewesen, heißt es vom Landesministerium für Wissenschaft und Kultur. 

Seit Anfang 2020 hat es dafür den "vereinfachten Zugang" zu Hartz IV gegeben, das heißt beispielsweise dass das Vermögen, das viele Freiberufler als Altersvorsorge zurückgelegt haben, bis zu einer bestimmten Grenze nicht berücksichtigt werden sollte. Gödicke erzählt, dass er für seinen Antrag auf Arbeitslosengeld II rund 160 Seiten Anträge und Belege ausfüllen musste - gar nicht so einfach, wenn man wie er noch einen kleinen Sohn zu betreuen hatte, der wegen der Schließungen nicht in den Kindergarten konnte.

Kritik an überbordender Bürokratie

Eine überbordende Bürokratie kritisieren viele solo-selbständige Kulturschaffende in Niedersachsen und auch Verbände wie die Landesarbeitsgemeinschaft Rock. Die fordert nun eine Arbeitslosenversicherung auch für Solo-Selbstständige und Unterstützungsschirme, die schneller wirken können als die Hilfsprogramme in der Pandemie. 

Gödicke erzählt, dass vor allem seine Frau das Haushaltseinkommen der Familie erbringen würde. Sie arbeitet im Krankenhaus. Eigentlich würde der Bassist nun gerne wieder häufiger Konzerte spielen, aber das Publikum kaufe einfach nicht mehr so viele Eintrittskarten wie früher. Die Folge: Es fehlt Geld in der Haushaltskasse. Das Einzige, was die Familie gerade tun kann, ist laut Gödicke: "Den Ball total flach halten, möglichst keine Kosten produzieren und hoffen, dass es irgendwie besser wird. Aber die Angst ist immer noch da."

Blick auf zwei Theater in Braunschweig 

Florian Battermann sitzt auf einer Theaterbühne einem Weihnachtsbaum auf einem Sessel und hält DVDs in die Kamera. © privat
Florian Battermann, Geschäftsführer der Komödie am Altstadtmarkt in Braunschweig, mit Exemplaren der Weihnachts-DVD.

Auch in den niedersächsischen Theatern ging durch die Lockdowns mehrere Monate lang nichts mehr. Florian Battermann, dem Geschäftsführer der Komödie am Altstadtmarkt in Braunschweig, fehlten in dieser Zeit der Applaus, das Lachen und all die anderen Reaktionen des Publikums. "Das macht schon was mit Menschen, wenn sie ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfen", erzählt Battermann. "Beruflich zumindest war das bisher die schlimmste Zeit in meinem Leben."

Battermann hat das Komödientheater vor etwa 20 Jahren gegründet, ist Schauspieler und schreibt auch eigene Stücke, bei denen er Regie führt. So entstand zwischen Lockdowns eine Weihnachtskomödie, die das Ensemble aufgeführt, gefilmt und als DVD verkauft hat. 

Kurzarbeit half Komödie am Altstadtmarkt

Als die DVD im Winter 2020 erschien, konnte der Theatergründer bereits von den Corona-Hilfsprogrammen profitieren und seine Mitarbeitenden dank der Kurzarbeit halten. Die neun Monate zuvor habe es zwar einige Hilfen von Bund, Land und Kommune gegeben, aber die hätten kaum ausgereicht. Bis dann endlich die Novemberhilfen griffen. "Das waren schon neun harte Monate, wo man geschickt sein musste", erinnert sich Battermann. Er reduzierte die Kosten, wo es ging. Außerdem habe in dieser Zeit der Vermieter netterweise die Miete für das Gebäude erlassen. Im Sommer hat das Ensemble der Komödie dann erstmals ein Open-Air-Stück auf die Bühne gebracht. 

Florian Battermann sitzt auf einer Theaterbühne einem Weihnachtsbaum auf einem Sessel und hält DVDs in die Kamera. © privat
AUDIO: Theater in Niedersachsen: Haben die Corona-Hilfen geholfen? (3 Min)

Öffentlich finanzierte Häuser hätten finanziell schon etwas mehr Wasser unterm Kiel gehabt als wir, sagt Florian Battermann von der privatwirtschaftlich geführten Komödie am Altstadtmarkt. Aber ganz vergleichbar seien die Finanzierungsbedingungen nicht. So wird das Staatstheater in Braunschweig vor allem vom Land Niedersachsen und der Kommune finanziert - lediglich etwa 18 Prozent der Einnahmen kommen aus Kartenverkäufen und von Förderern. 

Staatstheater Braunschweig: Hilfspakete haben über Lockdowns hinweggeholfen 

Das wichtigste Hilfsmittel in der Krise sei die Kurzarbeit gewesen, sagt Staatstheater-Geschäftsführer Stefan Mehrens: "Wir konnten die Kurzarbeit erhöhen oder verringern, je nachdem, was wir durften nach der aktuellen Gesetzeslage. Und das hat dazu geführt, dass wir jederzeit flexibel genug waren, unsere Produktionen anzupassen an die jeweiligen Möglichkeiten, die wir gesetzlich und von den Verordnungen her hatten."

Die Kurzarbeit und die Hilfspakete hätten gut über die Zeit der Lockdowns hinweggeholfen - da sind sich Stefan Mehrens vom Staatstheater und Florian Battermann von der Komödie am Altstadtmarkt einig. Aber jetzt, nach den Schließungen, komme weniger Publikum als zuvor in die beiden Theater. So kommen ins Haus am Altstadtmarkt momentan rund ein Viertel weniger Menschen als vor der Pandemie. Von vielen niedersächsischen Bühnen hört man zurzeit: Entscheidend sei, ob die Menschen wieder ins Theater zurückkehren. 

Theaterinhaber Battermann ist in dieser Frage optimistisch, registriert immerhin eine gestiegene Zahl an an Abonnenten und sagt: "Die Leute wollen wieder Unterhaltung - und das ist schön."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 16.01.2023 | 09:20 Uhr

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