"The Whale": Darren Aronofskys herzzerreißendes Drama
Darren Aronofskys Drama "The Whale" ist ein Film, vor dem man eigentlich warnen müsste, weil er so verstörend ist - und den man doch wärmstens empfehlen will. Brendan Fraser bekam für seine Hauptrolle den Oscar.
Was soll man nur halten von dieser Hauptfigur? Charlie bietet rein äußerlich wirklich keinen schönen Anblick. In seinen Online-Seminaren für kreatives Schreiben lässt er die Kamera bewusst ausgeschaltet. Denn er weiß, dass sein 300 Kilo schwerer Körper auf andere monströs wirkt. Der massige Bauch geht über in unförmige Beine, die sein Gewicht gar nicht mehr tragen können. Das Haus zu verlassen, ist ihm unmöglich, sein Kreislauf kurz vor dem Kollaps, die befreundete Krankenschwester, die ihn versorgt, entsprechend in Sorge.
Keine kuschelige Vater-Tochter-Beziehung
Der Humor und die reine Seele, die in diesem Koloss von Leib wohnen, nehmen einen dann doch für Charlie ein. Am Leben hält ihn sowieso nur noch eines: die Tochter, die er nie wirklich hat kennenlernen dürfen. Ellie ist inzwischen 16, und der Kontakt zu ihr ist ihm seit der Trennung von der Mutter verboten. Trotzdem hat er sie gebeten zu kommen. Und da steht sie nun in seinem Haus - voller Abscheu:
"Bedeutet das, ich werde auch fett?"
"Nein! Ich war immer dicker. Ich hab‘ nur die Kontrolle verloren. War Deine Mutter einverstanden, dass Du herkommst?"
"Ich hab’s ihr nicht gesagt."
"Ich freu mich wirklich, Dich zu sehen."
Filmszene
Eine kuschelige Vater-Tochter-Beziehung auf den letzten Drücker darf man von Regisseur Darren Aronofsky nicht erwarten. Zu zornig ist das Mädchen auf den Vater, der die Familie einst für eine homosexuelle Beziehung verließ. Das enge Filmformat verstärkt die klaustrophobische Atmosphäre in Charlies Haus, das Ellie nur widerwillig betritt.
Dem Publikum macht das Mädchen mit seiner kaltschnäuzigen, manipulativen Art eher Angst. Charlie aber sieht nur das Gute in Ellie und hält es sogar für möglich, sie für ein Gedicht von Walt Whitman zu begeistern.
"Ich denke, wenn Du es liest, würde es Dir gefallen."
"Ich hab es gelesen! Es ist übertrieben und dumm, und alles wiederholt sich. Und weil er sich denkt, seine Ich-Metapher ist tiefgründig, ist das eigentlich nur der Mega-Schwachsinn. Und in Wirklichkeit ist er nur so 'ne wertlose 19. Jahrhundert-Schwuchtel."
"Das ist 'ne interessante Perspektive."
Filmszene
"The Whale": Charlies Geschichte ist herzzerreißend
Es ist nicht nur die Oscar-prämierte Maske, der 300-Kilo-Fat-Suit, der diese Figur ausmacht. Brendan Fraser spielt Charlie schon auch eindrucksvoll. Mal das zarteste Wesen der Welt, dessen Augen strahlen, wenn sich der wache Verstand seiner Tochter bemerkbar macht. Dann wieder bietet er einen unwürdigen Anblick, wenn er Schokoriegel oder Riesen-Pizzen gierig in sich hineinschlingt.
"The Whale" ist ein Film, vor dem man eigentlich warnen müsste, weil er so verstörend ist. Und den man doch wärmstens empfehlen will, weil er so konsequent zeigt, wozu es führt, wenn Menschen jenseits der Hetero-Norm beigebracht wird, dass etwas nicht stimmt mit ihnen, dass sie sich selbst hassen müssen. Zu Charlies Besuchern gehört auch ein junger Missionar, der sich vorgenommen hat, seine Seele noch zu "retten". Dabei sind es genau Moralapostel wie er, die Charlie als Person zerstört und zum menschlichen Wal gemacht haben. Die Geschichte dieses Mannes ist herzzerreißend.
The Whale
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2022
- Produktionsland:
- USA
- Zusatzinfo:
- Mit Brendan Fraser, Sadie Sink, Ty Simpkins, Hong Chau, Samantha Morton u.a.
- Regie:
- Darren Aronofsky
- Länge:
- 117 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 27. April 2023