von Walli Müller

"Ruhe!", ruft der Schuldirektor, "ich bitte um Ruhe! Denn Ruhe ist die Grundlage des Gehorsams. Gehorsam ist die Grundlage der Disziplin. Und Disziplin ist die Grundlage des Lernens." Das neue Schuljahr beginnt an der José Urbina Lopez-Grundschule im mexikanischen Matamoros. Eine Grenzstadt mit hoher Kriminalitätsrate und eine Schule für Underdogs, denen sowieso keiner ernsthaft was zutraut - bis 2011 der neue Lehrer Sergio Juarez die sechste Klasse übernimmt. "Beeilung, kommt rein! Wir werden hier jeden Tag wunderbare Dinge machen. Und wenn Ihr Euch verspätet, verpasst Ihr sie", ruft der Lehrer.

Sergio vermittelt den Stoff durch Experimente und Geschichten

Lehrer Sergio setzt darauf, dass die Kinder aus eigener Motivation heraus lernen.

Sergio setzt auf Lernen aus eigenem Antrieb, lässt die Kinder deshalb auch die Unterrichtsthemen selbst bestimmen und eigenständig nach Antworten auf ihre Fragen suchen. Er selbst assistiert dabei nur, gibt hier einen Hinweis, da einen Buch-Tipp - und setzt sich selbst in eine mit Wasser gefüllte Wanne, damit die Kinder zum Thema Körperdichte experimentieren können.

Im Klassenzimmer erzählt Sergio den Kindern die Geschichte vom Esel, der in den Brunnen fiel und den der Bauer tief unten einfach mit Erde zuschütten wollte: "Anstatt sich begraben zu lassen, nutzte der Esel die Erde, die hereinfiel, um darauf zu steigen. Und als der Erdhügel unter seinen Hufen hoch genug war, konnte der Esel aus dem Brunnen herausspringen."

Nicht allen gefällt Sergios Methode

Der mexikanische Schauspieler Eugenio Derbez verkörpert die Rolle des Lehrers Sergio Juarez.

Der gefeierte mexikanische Schauspieler Eugenio Derbez spielt diesen wunderbar unorthodoxen Lehrer. Sogar die bisher Faulen und Aufsässigen entdecken in seiner Obhut ihren Forschergeist. Aber man muss auch nur eins und eins zusammenzählen, um zu ahnen, dass er mit seinem radikal anti-autoritären Ansatz anecken wird. Ein Schulamtsvertreter ist beim Unterrichtsbesuch in Sergios Klasse fassungslos.

Behörden-Vertreter bei Sergio Juarez im Unterricht: "Worüber haben Sie diskutiert?"
Sergio: "Tja, die Diskussion ging um die Moral."
Vertreter: "Die Moral? Das ist kein Thema, das wir im Unterricht behandeln. Laut des Unterrichtsplans für den 20. März sollten Sie die Schüler auf den Enlasse-Test vorbereiten."
Sergio: "Ja, aber Lupe zeigt großes Interesse an Philosophie!"
Vertreter: "Ach so. Letztes Jahr, also in der fünften, war diese Klasse mit unter den am schlechtesten im ganzen Land. Es verwundert mich, dass es hier Zeit für andere Dinge gibt, statt für den Test zu lernen." Filmausschnitt

Ein Film, der berührt

Manchmal etwas zu plakativ, aber doch sehr berührend erzählt Regisseur Christopher Zalla die Geschichte des Lehrers Sergio Juarez.

Regisseur Christopher Zalla erzählt etwas zugespitzt; Kinder aus Elendsvierteln entpuppen sich bei ihm als kleine Philosophinnen oder Astronomie-Genies. Trotzdem geht sein Film ans Herz. Wenn etwa die begabte Paloma auf dem Müllberg gleich neben ihrem elenden Zuhause durch ein Teleskop sehnsuchtsvoll in den Himmel schaut.

Paloma hätte selbst das Zeug zur Astronautin, gäbe es nur solche Perspektiven für die Kinder hier. Oder wenigstens eine allgemeine Schulpflicht, die Eltern daran hindert, ihre Mädchen abzumelden, sobald ein neues Geschwisterkind zu Hause einen Babysitter braucht. Auf manchmal etwas zu plakative, aber insgesamt doch ergreifende Art untermauert der Film, wie wertvoll das Recht auf Bildung ist und wie wichtig die Lehrperson für den Lernerfolg. Señor Juarez jedenfalls steht mit seinem radikal freien Unterrichtsstil für eine Pädagogik, die Kinder nicht klein, sondern groß macht: "Was Du nötig hast, was jeder von Euch hier nötig hat, hast Du schon: Und das nennt man Potenzial", so Sergio Juarez im Film. Beim Sundance Film Festival vor einem Jahr hat "Radical - Eine Klasse für sich" den Publikumspreis gewonnen, und der Film hat auch bei uns das Potenzial zum Arthouse-Hit.

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