Szene aus dem Film "Jeder schreibt für sich allein" © Piffl Medien

Doku "Jeder schreibt für sich allein": Schriftsteller in Nazi-Deutschland

Stand: 21.08.2023 06:00 Uhr

In Dominik Grafs Doku "Jeder schreibt für sich allein" geht es um das Leben und Schaffen von Autorinnen und Autoren wie Hans Fallada, Gottfried Benn, Ina Seidel oder Will Vesper unter den Bedingungen der Diktatur.

von Bettina Peulecke

"Jeder schreibt für sich allein": Der Titel ist eine Paraphrasierung eines Romans von Hans Fallada ("Jeder stirbt für sich allein"). Der Film beginnt geradezu poetisch: Bilder von liegengebliebenen, vielleicht verlorenen Schuhen auf der Straße und Gedanken dazu von Dominik Graf:

"Und immer fragt man sich: Wo sind sie hin, die Besitzer und Besitzerinnen der Schuhe? Oder dieses nur einen Schuhs, der manchmal in der Morgendämmerung auf dem Pflaster wartet? Und immer kriegt man einen Schreck: Ein Vorzeichen, ein Symbol, eine irdische Hinterlassenschaft, das wissen wir Deutschen am besten." Filmszene

Welche Beweggründe hatten Benn, Kästner, Fallada und Seidel?

Prosaischer geht es weiter mit dem Autor, Gitarristen und Sänger Anatol Regnier, der sich in seinem Buch auf Spurensuche begeben hat. Regniers familiärer Hintergrund ist einschlägig: Sein Großvater war der Dramatiker und Dichter Frank Wedekind, seine Großmutter hatte nach dem Tod ihres Mannes eine Beziehung mit Gottfried Benn. Leidenschaftlich stellt Regnier Fragen, reflektiert, spürt nach.

Der Film in Form einer essayistischen Dokumentation verknüpft Versatzstücke aus Biografien mit Texten, Archivbildern und Orten, die Aufschluss geben können über Beweggründe von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geblieben sind. Unter ihnen: Gottfried Benn, Erich Kästner, Hans Fallada, Ina Seidel.

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Zwischen Kunst, Leben und politischem Handeln

In Gesprächen mit anderen Autoren und Autorinnen, Kritikern und Kunsthistorikern geht es um nicht weniger als das komplexe Verhältnis zwischen Kunst, Leben und politischem Handeln. Da bleiben Ambivalenzen nicht aus. Die Schriftstellerin Gabriele von Arnim sagt:

"Ich find's wirklich schwierig. Weil ich mich so ungern von meinem Kinderglauben getrennt habe (...), dass ein guter Dichter auch irgendwie ein anständiger Mensch sein müsste. Das habe ich lange geglaubt." Filmszene

Mancher entpuppt sich als Opportunist, ein anderer als purer Pragmatiker. Im Falle von Gottfried Benn scheint die Sache vergleichsweise klar. Da wollte einer den Pakt mit dem Teufel eingehen - doch der Teufel wollte gar nicht mit einem wie ihm paktieren. Die Kunstkritikerin, Wissenschaftshistorikerin und Journalistin Julia Voss äußert sich erstaunt:

"Bei Benn bin ich häufig überrascht. Ich habe nie verstanden, warum diese Empathielosigkeit etwas sein soll, was einen besonders fasziniert." Filmszene

Anatol Regnier kommt im Falle Fallada zumindest politisch betrachtet zu einer eindeutigen Einschätzung:

"Dass Fallada kein Nazi war, ist so sicher wie nur irgendwas. Aber, wie er selber gesagt hat: Ich bin kein sehr mutiger Mensch, ich kann nur viel ertragen." Filmszene

Aufschlussreiche, aber ermüdende Dokumentation

Es wäre despektierlich, von "ertragen" zu sprechen, aber ein wenig ermüdend sind sie schon, die teilweise ellenlangen Textpassagen in dieser enorm inhaltsreichen, fast dreistündigen Dokumentation mit vielen "Talking Heads", die aber umso mehr anregenden Diskussionsstoff bietet.

Jeder schreibt für sich allein

Genre:
Dokumentation
Produktionsjahr:
2023
Produktionsland:
Deutschland
Zusatzinfo:
Mit Anatol Regnier, Florian Illies, Géraldine Mercier u. a.
Regie:
Dominik Graf
Länge:
169 Minuten
FSK:
ab 12 Jahren
Kinostart:
ab 24. August 2023

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 21.08.2023 | 07:55 Uhr

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