"15 Jahre": Hannah Herzsprung überragt im überladenen Rachedrama
Regisseur Chris Kraus steckt in seine Fortsetzung von "Vier Minuten" alles rein. Das wirkt mitunter überfrachtet und zu sehr gewollt. Allerdings wächst Hannah Herzsprung in der Rolle als Jenny von Loeben über sich hinaus.
Mit dem Filmdrama "Vier Minuten" haben Regisseur Chris Kraus und Schauspielerin Hannah Herzsprung vor 18 Jahren für eine kleine Arthouse-Sensation gesorgt. Der Film über eine junge Klaviervirtuosin, die wegen Mordes zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wird, war vor allem international ein großer Erfolg. Jetzt kommt eine - für den Arthouse-Bereich sehr ungewöhnlich - Fortsetzung ins Kino.
Hannah Herzsprung spielt eine schwer traumatisierte Figur
"Jenny? Jenny von Loeben? Mein lieber Herr Gesangsverein. Erkennst du mich nicht? Ich bin‘s, der Harry. Meine Güte, habe ich oft an dich gedacht. Die Jenny, habe ich gedacht, landet bestimmt bei den Berliner Philarmonikern. Oder in der Met. Oder sie ist die Nummer Eins in Mailand und entzückt tuta Italia."
"Ich entzücke niemanden."
Filmszene
Der Ton ist der gleiche wie in "4 Minuten", der Ton von Jenny von Loeben, gerade aus dem Gefängnis entlassen, nach 15 Jahren wegen Mordes, Reintegration in einer christlichen Wohngemeinschaft, Resozialisation als Putzhilfe in der Musikhochschule.
Die Leidenschaft für die Musik ist noch da - genau wie der Hass auf die Menschen. Hannah Herzsprung spielt Jenny von Loeben erneut als gebrochene, schwer traumatisierte Figur. Jede Form von Leben, jede Gier nach Lust ist ihr aus dem Gesicht gewichen. Sie ist blass, fast fahl, die Augen leblos. Resigniert, kaputt. Jede kleine Abweichung von ihrer eigenen Vorstellung nutzt sie, um auszubrechen, zu explodieren. Sie ist eine Gefahr für sich und andere, eine lebende Zeitbombe. Wer ihr im Weg steht, wird einfach weggetreten.
"15 Jahre": Filmische Vergangenheitsbewältigung
18 Jahre nach "Vier Minuten" geht Regisseur Chris Kraus der Frage nach, was aus Jenny geworden ist, wie eine sensible Künstlerseele mit Aggressionspotential 15 Jahre eingesperrt so etwas aushalten kann. "15 Jahre" ist eine filmische Vergangenheitsbewältigung der Hauptfigur, die versucht mit ihrem eigenen Leben aufzuräumen - und mit dem syrischen einarmigen Kriegsflüchtling Omar bei der Talentshow "Talent kennt keine Grenzen" mitmachen will.
Die Figur der Jenny ist dabei getrieben von einem Rachegedanken, denn in einem der Juroren der Castingshow, dem Popstar Gimmemore - Albrecht Schuch mit blondierten Haaren als Diether-Bohlen-Persiflage - erkennt sie ihren Jugendfreund von einst, für den sie in den Knast gegangen ist.
Überragende Leistung von Hannah Herzsprung
Regisseur Chris Kraus steckt in seine Fortsetzung von "Vier Minuten" alles rein. "15 Jahre" erzählt eine Liebesgeschichte zwischen Jenny und Omar, es ist ein Rachedrama, ein Film über Integration, über Kriegsflüchtlinge - und am Ende auch noch eine Casting-Show-Satire. Das wirkt mitunter überfrachtet, zu sehr gewollt und überladen. Allerdings - und das ist schon wie bei "Vier Minuten" - wächst die Schauspielerin Hannah Herzsprung in der Rolle als Jenny von Loeben über sich hinaus. Wie sie eins wird mit ihrer Figur mit all ihren Ecken, Kanten und Wutausbrüchen, ist ein Erlebnis. Herzsprung wird zu einer schauspielerischen Naturgewalt, für die allein es sich lohnt ins Kino zu gehen.
15 Jahre
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- Deutschland, Österreich, Luxemburg
- Zusatzinfo:
- Mit Hannah Herzsprung, Hassan Akkouch, Albrecht Schuch u.a.
- Regie:
- Chris Kraus
- Länge:
- 144 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 11. Januar