Wie real ist "Deutsches Haus"? Autorin Annette Hess über die Serie
Die Serie "Deutsches Haus" erzählt vom Auschwitz-Prozess in den frühen 1960er-Jahren. Autorin und Creative Producerin Annette Hess spricht im Interview bei NDR Kultur über die Authentizität der Serie, die Produktion und Antisemitismus in Deutschland.
In der Serie "Deutsches Haus" wird der Auschwitz-Prozess in Frankfurt mit der Vergangenheitsbewältigung der fiktiven Familie Bruhns verbunden. Deren Tochter Eva arbeitet in dem Prozess als deutsch-polnische Übersetzerin. Immer mehr erkennt sie die Verflechtungen ihrer eigenen Familie. NDR Kultur hat mit der Autorin und Creative Producerin Annette Hess über die Serie gesprochen.
Der Auschwitz-Prozess ist ja ein sehr komplexer Stoff. Wie groß ist der dokumentarische Anteil an der Serie? Wie haben Sie das in eine Erzählform übertragen, die auch unterhaltsam sein soll?
Annette Hess: Der Stoff muss unterhaltsam sein, weil sonst erträgt man es ja nicht. Der Wagen, in dem man da einsteigt, der einen durch das Grauen fährt, der muss attraktiv sein. Das ist immer mein Erzählprinzip. Die Prozessanteile in der Serie sind etwas mehr als ein Drittel. Ich habe versucht, den Prozess authentisch darzustellen. Natürlich musste ich den verdichten. Es gab beispielsweise sieben Verteidiger und wir haben nur zwei. Aber ich habe die Originalaussagen von den Zeuginnen und Zeugen genommen und sie wortwörtlich übertragen. Nur ganz selten musste ich aus dramaturgischen Gründen einen Satz hinzufügen. Der Prozess wird so dargestellt, wie er gewesen ist.
Dann gibt es diese fiktive Familie Bruhns und andere fiktive Nebenfiguren, die aber alle Prototypen dieser Zeit nachempfunden sind. Zum Beispiel gibt es da einen jungen Staatsanwalt David Miller, der Jude ist und der wahnsinnig darunter leidet, dass seine Familie vom Holocaust verschont worden ist. Das war mir über lange Jahre nicht klar, dass auch die Überlebenden schwer daran zu tragen hatten, überlebt zu haben. Deshalb ist mir diese Figur auch so wichtig gewesen, weil ich diesen Aspekt unbedingt erzählen wollte.
Ist der Stoff durch das, was jetzt gerade in der Welt und in Deutschland passiert besonders aktuell? Müssen wir uns wieder anders mit dem Antisemitismus auseinandersetzen?
Hess: Das hätten wir immer und jederzeit tun sollen. Der Antisemitismus ist ja nie ausgemerzt gewesen. Als wir diese Serie vor einem Jahr gedreht haben, konnten wir nicht damit rechnen, dass das so aktuell werden würde. Dass sich Menschen in Deutschland tatsächlich nicht mehr trauen, eine Kippa zu tragen oder überlegen auszuwandern. Es sind wirklich genau dieselben Fragen wie 1933. Ich habe da ganz lange darüber nachgedacht, wie ich die Serie einordne. Am Ende kann ich nur sagen: Ich würde sie immer wieder so machen. Erstmal schildert es ein historisches Ereignis, es geht um den Holocaust. Aber es geht auch darum, wohin Rassismus und Antisemitismus in ihrer perversesten Potenzierung führen können. Wir sind da wirklich wieder an einer ganz bedenklichen Schwelle. Ich bin natürlich froh, dass ich mit dieser Serie einen Standpunkt darstellen kann. Ich hoffe, dass junge Menschen das sehen und mit dieser jungen naiven Perspektive der der Eva Bruhns mitgehen. Dass sie dadurch auch wieder ein Verständnis für den ganzen Konflikt bekommen oder ein Verständnis für die Enthaltung Deutschlands bei der UN. Dass sie diese Zusammenhänge verstehen, wie weit dieser Konflikt in die deutsche Geschichte hineinreicht.
Wieviel Einfluss hatten Sie auf die Serie? Mussten Sie sich von Dingen trennen, die sie im Buch in den Vordergrund gestellt haben?
Hess: Weil mehr dieser Stoff so wichtig war, habe ich ihn erst mal als Roman geschrieben. Da quatscht einem keiner rein. Beim Drehbuchschreiben sind viele daran beteiligt, da fangen schon in der Exposé-Phase die Bemerkungen an und das wollte ich nicht. Dann hat die AfD immer mehr zugelegt und ich wollte etwas mit Sabine de Mardt machen, der Produzentin. Dann haben wir gesagt jetzt lasst uns "Deutsches Haus" machen , aber unter der Bedingung, dass ich in allen kreativen Bereichen bestimmen durfte. So war es dann auch.
Ich war Showrunnerin. Ich habe an alles einen Haken gemacht, an jede Tapete, an jede Besetzung. Ich musste alles abnehmen und habe maßgeblich diese Serie bestimmt. Es gibt da gar keinen Stein, den ich nicht in der Hand hatte und umgedreht habe. Ich war auch am Set und in der Postproduktion. Der reale Gerichtssaal war neben einem Schulhof und man hört auf diesen Tonbändern immer mal wieder eine Klingel und Kinder auf dem Schulhof schreien und spielen, während gleichzeitig Zeuginnen und Zeugen erzählen wie acht polnische Kinder ins Gas geschickt worden sind. Dieses Nebeneinander, da haben wir dann lange im Sound noch dran gedreht: Wann hört man die Kinder auf dem Schulhof? Ich habe da alles angefasst und das war natürlich unglaublich beglückend, dass ich das so umsetzen konnte. Der Roman selbst ist schon filmisch erzählt. Man merkt , dass ich Drehbuchautorin bin (lacht). Die Adaption war wirklich leicht und hat großen Spaß gemacht. Ich konnte das Beste aus dem Roman nochmal extrahieren und sogar Sachen noch einmal verbessern.
Die Serie läuft auf dem Streamingdienst Disney+.