Nina Hoss: "Ich musste bis zum Umfallen Geige üben"
Seit dem 14. Lebensjahr steht Nina Hoss auf der Theaterbühne. Sie hat wichtige Theater- und Filmpreise erhalten, darunter den Silbernen Bären der Berlinale, und wurde mit einem Bundesverdienstkreuz geehrt. Seit Juli 2019 ist sie auch Mitglied in der Oscar-Academy. Nun hat die 44-Jährige den Douglas Sirk Preis vom Filmfest Hamburg erhalten. Auf dem Filmfestival laufen zwei Filme mit ihr in den Hauptrollen: "Pelikanblut" von Katrin Gebbe und das "Das Vorspiel" von Ina Weisse, in dem sie eine Geigenlehrerin spielt und für diese Rolle am 28. September als beste Hauptdarstellerin beim Filmfest San Sebastián ausgezeichnet wurde. Nina Hoss sprach im Vorfeld der Preisverleihung in Hamburg mit NDR.de über ihre Rollen, Isabelle Huppert, Hamburg und darüber, warum Schauspielerei ein so toller Beruf ist.
In Ihren beiden neuen Filmen spielen Sie eine Mutter. Zum einen die Wiebke in "Pelikanblut", eine Pferdetrainerin und Mutter zweier bulgarischer Adoptivkinder, von denen die Fünfjährige eine psychische Störung hat. Zum anderen Anna in "Das Vorspiel". Diese stellt durch ihren Drang nach Perfektion beim Spiel ihres neuen Geigenschülers die Bedürfnisse der eigenen Familie hinten an. Was haben diese Frauen gemeinsam?
Nina Hoss: Die sind sehr unterschiedlich, auch in ihrer Mutterrolle, aber ähnlich in ihrer Leidenschaft fürs Leben. Bei "Pelikanblut" treffen wir auf eine Mutter, die fast bis zur Selbstaufgabe geht, um für ihre Adoptivkinder da zu sein. Sie arbeitet als Horsemanship-Frau mit Pferden und hat im Laufe ihres Lebens erfahren: Wenn Tiere traumatisiert sind, dann liegt das nicht an dem Tier, sondern mit an den Menschen, die mit diesem Tier arbeiten. Dann muss man dem Tier wieder Vertrauen zurückgeben. So geht es ihr mit den Menschen auch. Sie glaubt nicht daran, dass einem traumatisierten Menschen wie ihrer Tochter nicht geholfen werden kann. Daran arbeitet Wiebke fast bis zur Selbstaufgabe und kann nicht begreifen, dass es bei diesem Kind nicht so fruchtbar ist, wie sie es sonst erlebt. Und bei der Geigenlehrerin Anna ist es so, dass sie so mit sich selbst beschäftigt ist, dass ihr Sohn das Nachsehen hat. Anna lernen wir in einem Moment kennen, in dem sie alles in Frage stellt: "Bin ich glücklich? Bin ich zufrieden? Ist alles gut mit meiner Familie, mit meinem Beruf? Habe ich noch Träume? Ist es in Ordnung, dass ich Violinlehrerin bin, obwohl ich Konzerte spielen wollte?" Sie ist aus der Balance.
Wie viel mussten Sie für Ihre Rolle der Geigenlehrerin Anna neu lernen?
Hoss: Ich habe tatsächlich Violine neu gelernt und hatte eine großartige Lehrerin, Marie Kogge, die mir dieses Instrument so angstfrei beigebracht hat, wie nur möglich. Ich stand zu Beginn vor einem Berg, weil die Regisseurin Ina Weisse sich für meine Rolle Bachs "Chaconne" ausgewählt hatte, das eines der schwierigsten Violinenstücke ist. Ich musste bis zum Umfallen üben, während ich "Pelikanblut" drehte. Ich habe am Wochenende dann per Skype mit Kogge geübt. Ich wollte, dass man zuguckt und nicht infrage stellt, ob hier wirklich Anna spielt. Außerdem hat mir das Geigelernen schon so viel über die Rolle von Anna erzählt. Ich habe ursprünglich Klavier gelernt. Mir war nicht klar, dass das Instrument Geige so anders ist, weil es an deinem Körper liegt und keine Tasten hast. Du weißt nur ungefähr, wo die Töne auf der Saite sind, aber musst sie erspüren. Für mich ist Geige spielen eher so wie singen.
Was meinte Ihr Partner, Musiker Alex Silva, als Sie so viel Geige geübt haben?
Hoss: (lacht) Der hat sich gefreut. Aber ich habe Seife auf dem Bogen gehabt, es war also ohne Ton. Meine Umwelt wurde verschont.
Ist das einer der Reize am Schauspielberuf dass Sie für Rollen Fertigkeiten lernen, die Sie auch nach dem Film noch beherrschen?
Hoss: Ja, das ist das große Geschenk dieses Berufs, dass man in so viele Leben und Berufe hineinblicken kann. Irgendwie kriege ich davon etwas mit, weil ich mich eine Weile damit intensiv beschäftige.
Wie gut kannten Sie sich mit Pferden vor Katrin Gebbes Film "Pelikanblut" aus?
Hoss: Ich war nie ein Pferdemädchen. Aber ich hatte schon beim Film "Gold" von Thomas Arslan das Glück gehabt, dass ich Reiten lernen konnte, mehr schlecht als recht. Plötzlich dachte ich: Was sind denn das für tolle Tiere? Das ist unfassbar! Danach habe ich immer gehofft, mit Pferden zu tun zu haben. Beim Drehen für "Pelikanblut" mit dem Pferdetraining Horsemanship habe ich in der Arbeit mit den Tieren gemerkt: Man muss in seiner Mitte sein, sonst versteht dieses Lebewesen dich nicht. Wenn du nicht klar bist, ist dieses Tier ein Spiegel deiner Unsicherheit. Sobald du ganz klar bist in deinem Denken, in deinem Senden, dann läuft es plötzlich nach links, wenn du es willst. Das Erlebnis kann ich jedem nur ans Herz legen, was wir da unbewusst alles senden. Das sind die Momente, wo ich so dankbar bin für diesen Beruf, dass mit Dingen wie diesen so viel Zeit verbringen kann.
Nun erhalten Sie den Douglas Sirk Preis am selben Wochenende, an dem die französische Schauspielerin Isabelle Huppert im Hamburger Thalia Theater auftritt, in einem Solostück von Robert Wilson, für den Sie auch schon gespielt haben …
Hoss: … das ist ja fantastisch! Sie ist eine der ganz Großen. Ich bin wegen Isabelle Huppert nach Straßburg gepilgert, da lebte ich noch als Schülerin in Stuttgart und habe mir Wilsons "Orlando" in der Oper angesehen. Ich war wie weggeblasen von der Kraft dieser kleinen zarten Person, die gar nicht groß "theatert" hat, sondern unser aller Aufmerksamkeit so kraftvoll auf die Bühne gezogen hat, dass ich gedacht habe, dass ich wie weggeblasen war.
Und Sie erhalten nun den Preis ...
Hoss: … den Huppert auch schon bekommen hat! Weil solche Größen wie sie und Wim Wenders, François Ozon, Fatih Akin, Jim Jarmusch, Catherine Deneuve und Tilda Swinton schon bekommen haben, ist es für mich der Douglas Sirk Preis eine so große Ehre, dass ich das gar nicht in Worte fassen kann. Das ist so unerwartet. Ich war schon so glücklich, dass hier die beiden Filme auf dem Festival laufen.
Was verbinden Sie mit Hamburg?
Hoss: Meine Mutter kam aus Schleswig Holstein, ich war also viel hier. Mir ist der Norden sehr nah, das Norddeutsche, der trockene Humor. Ich war mit "Emilia Galotti" am Thalia Theater und habe im Hamburger Schauspielhaus gespielt. Mit Regisseur Christian Petzold war ich hier im "Abaton" und konnte erleben, wie das Hamburger Publikum ist, das unwahrscheinlich offen Filme anguckt und sehr gute Fragen stellt danach. Auch im Theater. Ich erlebe Hamburg immer als sehr neugierige Stadt. Das ist toll an Hamburg.
Außerhalb des Berufes engagieren Sie sich unter anderem für Terre des Femmes und für den Erhalt des brasilianischen Regenwaldes ...
Hoss: Das muss ich klarstellen - das ruht im Moment. Ich hatte einen Verein gegründet, habe versucht, da etwas in die Wege zu leiten und wurde als Sonderbotschafterin des brasilianischen Bundesstaates Pará benannt, wo jetzt die Brände lodern. Aber es war mir irgendwann nicht mehr möglich, das mit meiner Arbeit zu verbinden. Das musste ich leider einsehen. Das hatte mir mein Vater (Willi Hoss, Anm. d. Red.) schon prophezeit, der ein Projekt in Brasilien ins Leben gerufen hatte, das es zum Glück noch gibt. Mit ihm bin ich 13 Mal dort gewesen und habe alles mit ihm alles erlebt. Er sagte, "du musst da mindestens dreimal im Jahr hinfahren. Du musst bei den Leuten sein."
Das Gespräch führte Patricia Batlle, NDR.de.
Die Filmstarts im Kino: "Das Vorspiel" (Kinostart: 23. Januar 2020) und "Pelikanblut": (Kinostart: 23. April 2020)
