Jürgen Vogel - Ausgezeichneter Außenseiter
Kriminelle, Loser und Rebellen. Keiner verkörpert diese Typen besser als Jürgen Vogel. In vier Jahrzehnten hat der "Bad Boy", der aus Hamburg stammt, in mehr als 100 Filmen mitgewirkt.
"Ich spiele am liebsten gebrochene Typen und Arschlöcher. Das macht mir einfach Spaß!" Das Zitat passt zu Jürgen Vogel. Keiner kann diese Charaktere besser verkörpern als der Schauspieler mit dem breiten Grinsen und den frechen Zahnlücken.
Jürgen Vogel: Vom Kindermodel zum Schauspieler
Im bürgerbewegten Jahr 1968 kommt Jürgen Vogel am 29. April in Hamburg-Altona zur Welt. Gemeinsam mit drei Geschwistern wächst er im Stadtteil Schnelsen auf. Sein Vater arbeitet als Kellner und Kranfahrer, seine Mutter ist Hausfrau. Bereits mit neun Jahren zieht es Vogel vor die Kamera - er arbeitet als Kindermodel für den Otto-Versand. Mit 15 verlässt er die Schule mit der mittleren Reife in der Tasche und zieht zu Hause aus. In der Kartei seiner Agentur wird er als Schauspieler von Regisseur Volker Maria Arend entdeckt - und bekommt seine erste Rolle.
Jürgen Vogel und Richy Müller zusammen in Berliner WG
Während der Dreharbeiten zum Jugenddrama "Kinder aus Stein" (1986), in dem Vogel einen verwahrlosten Straßenjungen spielt, kristallisiert sich der Berufswunsch Schauspieler heraus. Einen Tag besucht er in München die Schauspielschule, hält es dort aber nicht aus. Sie ist ihm zu realitätsfremd. Jürgen Vogel zieht nach Berlin. Dort lebt er mit Schauspielkollege Richy Müller zwei Jahre lang in einer Wohngemeinschaft. "Ich fand gut, was er machte: dieses proletarische Schauspiel", sagt er in der "WAZ", das mit Schauspiel als Kunstform weniger zu tun habe. Mehr mit dem echten Leben.
Durchbruch erlebt Jürgen Vogel 1992 mit "Kleine Haie"
Zunächst kann Vogel nicht von seinen Rollen leben und jobbt unter anderem als Paketfahrer und Küchenhilfe. 1992 kommt der Durchbruch mit Sönke Wortmanns "Kleine Haie". Für seine Rolle bekommt Vogel den Bayerischen Filmpreis. Es folgen Auftritte in Krimis wie "Tatort" und "Der Fahnder". 1995 gründet er mit dem Regisseur Matthias Glasner die Schwarzweiss Filmproduktion und arbeitet seitdem auch als Produzent. Ihr Erstlingswerk ist "Sexy Sadie" (1996) - in dem Jürgen Vogel einen Serienmörder mimt. Immer wieder spielt Vogel diese authentischen Typen: Kriminelle, Loser und Rebellen. Der "Spiegel" schreibt über ihn: "Vogels Figuren tragen Namen wie Ingo, Andy, Dieter, Pit oder Charly - Namen, die nach Berufsschule und Dosenbier vom Kiosk riechen." Alle seine Rollen haben eins gemein: Sie lassen Schwächen und Brüche zu.
Silberner Bär als Schauspieler und Produzent
In diese Kategorie der gebrochenen Protagonisten gehört auch "Der freie Wille", den Jürgen Vogel wiederum mit Glasner umsetzt. Darin mimt er einen Serien-Vergewaltiger. Für seine herausragende künstlerische Gesamtleistung als Schauspieler, Ko-Autor und Ko-Produzent des Filmes gewinnt Vogel 2006 einen Silbernen Bären. "Mich interessieren Kinofiguren, die vielleicht nicht sympathisch sind, aber für die man eine gewisse Nähe empfindet. Weil sie uns daran erinnern, dass wir alle im Leben Fehler machen", sagte der Schauspieler dem "Hamburger Abendblatt".
Gerade diese authentischen Rollen bleiben beim Zuschauer im Gedächtnis. Filme wie "Das Leben ist eine Baustelle" (1995), "Emmas Glück" (2006), "Die Welle" (2008) und "Gnade" (2012) sind ohne Vogel kaum denkbar. Als Sympathieträger kommt der Darsteller in diesen Filmen nur bedingt rüber. Er ist unbequem, prollig und macht den Mund auf - egal was Kritiker und Publikum von ihm denken.
Jürgen Vogel hat Patchwork-Familie mit sechs Kindern
Perfektionismus ist nichts für Vogel - auch nicht im Privatleben. Bereits mit 20 wird er Vater seiner ersten Tochter. Trotz der Trennung von der Mutter kümmert er sich um das Kind. Inzwischen hat er mit unterschiedlichen Partnerinnen sechs zum Teil schon erwachsene Kinder. Die Patchwork-Familie ist das Wichtigste für den Schauspieler. "Deswegen haben wir von Anfang an gesagt - Familie ist für uns das Wichtigste und dass es den Kindern gut geht. Deswegen kriegen wir das hin, feiern Weihnachten zusammen und gestalten Familienfeste gemeinsam. Weil es ja für die Kinder auch das Beste ist, und für uns auch", sagte er 2020 im Podcast "Women Hit Harder".
Obwohl sich Jürgen Vogel nicht als intellektueller Schauspieler sieht, hat er stets mit Autorenfilmern wie Jan Schütte, Oskar Roehler oder Wolfgang Becker gedreht. Dabei differenziert er durchaus bei der Wahl seiner Angebote. Dem "Spiegel" sagte er einmal: "lieber eine geile Serie als ein beschissener Kinofilm." So "zieht" Jürgen Vogel 2009 in die fiktive "Schillerstraße" beim Privatsender "SAT.1". In der Improvisationscomedy gibt es kein Drehbuch, lediglich ein vorgegebenes Thema.
Jürgen Vogel ermittelt seit 2021 in ZDF-Serie "Jenseits der Spree"
Groß in Erscheinung getreten ist Vogel auch als "Der Mann aus dem Eis" - in dem Film spielt er überzeugend den steinzeitlichen Mann, der vor mehr als 5.000 Jahren in den Alpen starb, 1991 als Gletschermumie geborgen und "Ötzi" getauft wurde. 2020 spielte Jürgen Vogel unter anderem mit Til Schweiger und Heike Makatsch im Kino-Filmdrama "Gott, du kannst ein Arsch sein" mit, in dem es um den Umgang mit der Krebserkrankung einer 16-Jährigen geht. Zuletzt war Vogel 2021 in der Komödie "Es ist nur eine Phase, Hase" des Regisseurs Florian Gallenberger zu sehen, wo er gemeinsam mit Christiane Paul und Christoph Maria Herbst vor der Kamera stand. Zu sehen ist er auch als Kommissar Robert Heffler in der Serie "Jenseits der Spree" (ZDF) und in der Krimi-Comedy "KBV - Keine besonderen Vorkommnisse" (TVNOW). Bis Herbst 2023 dreht Jürgen Vogel noch die Miniserie "Informant" in Hamburg, die im Ersten ausgestrahlt werden wird.
Knapp vier Jahrzehnte erfolgreiche Schauspielerei liegen hinter Jürgen Vogel. Wenn es nach ihm geht, dürfen wohl gerne etliche Jahre folgen.