Dokumentarfilm "Plastic Fantastic": Eine Welt voller Plastik
Plastik ist eine Erfolgsgeschichte sondergleichen - im Guten wie im Schlechten. 450 Jahre braucht eine Kunststoffflasche, bis sie sich in Mikroplastikpartikel zersetzt hat. Im Dokumentarfilm "Plastic Fantastic" reist die Regisseurin Isa Willinger dem Plastik hinterher.
Wir sind wie auf Droge. Wie Süchtige konsumieren wir immer mehr Plastik - und der Stoff ist überall. "Die Menge an Verpackungsmüll, die heute in Deutschland anfällt, ist die doppelte Menge dessen, was noch 1995 angefallen ist", sagt Isa Willinger, Regisseurin der Dokumentation. "1995 haben wir auch schon im Wohlstand gelebt: Wir mussten nicht hungern, wir hatten alles, was wir wollten, es war bereits eine Wohlstandsgesellschaft. Trotzdem haben wir damals viel weniger Plastik verbraucht als jetzt. Ganz viel von dem, was auf dem Markt ist, ist eigentlich komplett überflüssig."
Gesundheitsrisiko: Mikroplastik landet auch im Gehirn
Recycelt werden bei uns lächerliche neun Prozent des Plastiks. Vieles wird verbrannt - CO2 geht in die Luft, anfallende giftige Dioxine werden in der Erde verscharrt. Weltweit landet vieles im Meer. Mikroplastik findet sich im Wasser, in Tieren und durch unser Essen auch in uns. Vieles sorgt für den Dreck. "Wenn man sich die Elbe anschaut: die Hälfte von allem Mikroplastik, was in der Elbe zu finden ist, ist Reifenabrieb", sagt der Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart von der Leuphana Universität Lüneburg. Er ist Jahrgang 1958. "Die Fruchtbarkeit der jüngeren Generation hat sich halbiert im Verhältnis zu meiner Generation." Mehr noch: "Wir wissen erst seit einem Jahr, dass das Mikroplastik im Gehirn zu finden ist, dass es bis in die bis in die Zellen hineingeht und dass es dort Tumore bilden kann, also wirklich große Gesundheitsschäden mit sich bringt", sagt Regisseurin Willinger. "Ich glaube, sobald die Dinge als Gesundheitsthema geframed werden, und nicht nur als Umweltthema, dann schrillen die Alarmglocken immer viel lauter bei den Leuten."
Industrie macht uns das Plastik schmackhaft - auch über die Schule
In den USA und auch in Deutschland gibt es Imagepflege. "Kunos coole Kunststoffkiste" soll Plastik schmackhafter machen, zum Lernerlebnis. Dafür gibt die Industrie Nachhilfeunterricht - für Lehrer und deren Schulunterricht. Die Kultusministerien haben es abgesegnet. "Letztendlich ist das eine große Werbeaktion für das Thema Plastik", so Willinger "Da ist auch ein Begleitheft dabei bei diesem Koffer, in dem werden wirklich Lügen verbreitet. Zum Beispiel steht da drin, dass die Zahnbürste in den gelben Sack kommt, dann wird sie recycelt und wird zum Blumentopf. Dabei darf die Zahnbürste nicht in den gelben Sack, weil in den gelben Sack absurderweise nur Verpackungen dürfen - und die Zahnbürste ist keine Verpackung."
Plastik: Ein Geschäft auf Kosten der Verbraucher
Plastik ist ein Geschäft auf unsere Kosten. Der Rohstoff Öl ist bei uns steuerbefreit - und wir tragen die Abfall-Kosten. Der Film "Plastic Fantastic" erzählt das vorbildlich ruhig, hat auch mit Industrie-Lobbyisten gesprochen, die abwiegeln. "Wir können die Vergangenheit nicht ändern, wir schauen nach vorne - was wir jetzt besser machen können", sagt einer von ihnen. Von weniger Plastik ist da nicht die Rede - der Ball wird sogar zurückgespielt: es liege ja auch am Verbraucher. "Es gibt viele dieser kleinen Sünden: Es ist eine kleine Verpackung, es ist eine kleine Kaufentscheidung und es sind ein paar Minuten Zeit, die ich brauche, aber ich kann meinen Mehrwegbecher mitbringen und muss nicht unbedingt eine Flasche kaufen", sagt Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer Plastics Europe. "Auch wenn die Flasche komplett recycelt wird - das ist ja trotzdem ein Energieaufwand. Und diese kritische Auseinandersetzung für jeden von uns ist doch wahnsinnig wichtig." Ein Klassiker - als wenn wir, die Konsumenten, eine Wahl in dieser Plastikwelt hätten.
"Unsere Aufgabe ist es tatsächlich, einfach Lärm zu machen", sagt Regisseurin Willinger. "Man kann Petitionen unterschreiben, man kann Politiker*innen anschreiben und man kann vor allem Supermarktketten anschreiben, also gerne auch über Social Media, wo es dann viele andere Leute sehen und auf die Absurditäten hinweisen. Wenn zum Beispiel die regionalen Tomaten aus Brandenburg in einem dickwandigen Plastikeimer im Rewe stehen, der in China produziert wurde - mit Öl aus den USA."
Regisseurin Willinger sieht die Politik in der Pflicht
An der Uni Lüneburg zeigt sich: Es gibt Alternativen. Wie etwa Kunststoffe aus Getreidestärke - teurer, aber biologisch abbaubar - für zum Beispiel Schuhsohlen, deren Abrieb sonst die Umwelt belastet. Die aufrüttelnde Dokumentation "Plastic Fantastic" zeigt Auswege - und: Wir alle haben unseren Anteil. "Klar, wir können uns da nicht rausnehmen mit unserem Konsumverhalten - aber trotzdem können wir ja nicht als Individuen dieses ganze Wissen ansammeln, das man eigentlich braucht, um die Problematik zu erfassen und sein Verhalten zu verändern", sagt Willinger, die Regisseurin der Doku. Sie fordert: "Daher muss der Staat seine Schutzfunktion dort begreifen und auftreten als jemand, der uns vor diesem Umweltschäden und vor diesen Gesundheitsschäden schützt."