"Irgendwann entdeckst du Sachen, die dir erst beim 100. Mal auffallen"
Stefan Mayr ist ein Kenner von "Dinner for One" schlechthin. Er ist Autor von "Dinner for One von A–Z: Das Lexikon zum Kult-Vergnügen“ (Erstauflage 2002). Der gelernte Zeitungsredakteur war jahrelang für die Süddeutsche Zeitung als Korrespondent tätig und hat mehrere Sachbücher verfasst. Zuletzt erschien im Riva-Verlag "Unter Bombern“ über den Fußball während des Zweiten Weltkriegs.
Wie war es für Sie, so ein A–Z über "Dinner for One“ zu schreiben?
Super spannend und sehr abenteuerlich. Damals gab es ja noch kein Wikipedia. Ich war unter anderem in London und habe die Nachfahren von Freddy Frinton und May Warden getroffen. Eine Pflicht bei der Recherche war natürlich auch die NDR Redaktion. Da habe ich sehr viel Unterstützung bekommen und viele hilfreiche Tipps - ohne die wäre das Buch nur halb so gut geworden.
Wie kam es dazu?
Da müssen wir in die Zeit zurückgehen, als es noch kein Google gab. Und auch noch kein Amazon. Ich war Student und wollte mir einfach ein Buch über "Dinner for One" kaufen. Ich bin von Buchhandlung zu Buchhandlung gelaufen und alle sagten mir, es gebe nichts. Ich konnte das kaum glauben, deswegen habe ich ganz viele Buchhandlungen abgeklappert. Irgendwann habe ich es dann akzeptiert. Und mich entschlossen, dieses Buch, das ich lesen wollte, selbst zu schreiben.
Sind Sie als Kind schon Fan gewesen?
Das kann man so sagen. Obwohl ich ehrlich gesagt sehr, sehr lange gebraucht habe, bis ich die Schlusspointe verstanden habe.
Sind wirklich schon alle Geheimnisse rund um die Sendung gelüftet oder gibt es noch ungehobene Schätze, haben Sie noch Fun Facts für uns?
Tja, ich denke, das ist wie bei allen Meisterwerken der Literatur- und Theaterwelt: Es gibt immer wieder neue Facetten zu entdecken. Bei manchen Werken erschließt sich die wahre Bedeutung ja erst Jahrzehnte später. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass eine Party ohne Gäste noch mal so aktuell werden würde wie in der Corona-Zeit? Sage noch einer, Dinner for One sei ein billiges, eindimensionales Slapstick-Teil.
Hand aufs Herz: Können Sie "Dinner for One" noch genussvoll schauen oder gibt es bei Ihnen einen "Overkill"?
Sie sprechen einen ganz wichtigen Erfolgsfaktor von Dinner for One an: Da es ja immer ein Jahr dauert, bis man es wieder sieht, kann es gar nicht zu Überdruss kommen. In den 364 Tagen dazwischen vergisst man ja die Hälfte wieder. Wenn man es dann wieder anschaut, hat man in vielen Szenen eine leise Ahnung, was kommen könnte. Wenn es dann eintrifft wie erwartet, freut man sich. Und wenn man überrascht wird, ist das mindestens genauso witzig. Während der Buch-Recherche habe ich es natürlich sehr, sehr oft angeschaut, aber dabei ist es mir nie langweilig geworden.
Wirklich?
Ganz im Ernst. Irgendwann entdeckst du Sachen, die dir eben erst beim hundertsten Mal auffallen. Zum Beispiel in der Szene, wo beim Einschenken der Becher umfällt. Achten Sie da mal auf die Gesichter von James und Miss Sofie. Da sehen Sie dann ganz genau, dass das eigentlich voll die Panne ist. Beide Schauspieler erschrecken sehr, vor allem May Warden. Freddy Frinton muss dagegen lachen und schafft es nur mit großer Mühe, sein Lachen zu verbergen. Absolut genial! Es ist eine meiner Lieblingsstellen. Also ja, natürlich schaue ich mit meiner Familie an Silvester "Dinner for One"!
Ok, haben Sie weitere Geheimtipps für alle Dinner-Gucker?
Die krasseste Szene ist ja jene, wo James die arme Miss Sophie fast aus dem Stuhl katapultiert. Was so wahnsinnig überraschend daherkommt, wird bei genauem Hinsehen perfekt vorbereitet: Das Rülpsen von Mister Winterbottom gibt quasi das Signal zur Vorbereitung: In diesem Moment rutscht May Warden mit ihrem Oberkörper ganz aufrecht an die Rückenlehne und klammert sich mit beiden Händen fest an die Armlehnen. Und danach bitte gleich auf den Butler gucken: Kurz nach der Schleudersitz-Szene hilft er mit der linken Hand nach, damit sein Sakko auch wirklich derangiert aussieht.
Was ist Ihrer Meinung nach das Erfolgsgeheimnis dieses Sketches?
Erstens das perfekte Timing. Freddie Frinton hat das Stück sein Leben lang auf allen möglichen Bühnen gespielt, da sitzt einfach jede Bewegung, jeder Stolperer exakt. Zweitens die geniale Idee, das Ding immer nur einmal im Jahr zu zeigen – und das an Silvester. Silvester ist der Tag mit den meisten Ritualen – und flankierend dazu zeigt der NDR ein kurzes, lustiges Filmchen, das sich über Rituale lustig macht. Da muss man erst mal drauf kommen. Drittens das herzhafte Lachen aus dem Publikum. Man kennt das ja aus den US-Sitcoms, bei denen das Lachen bei jedem Witz eingespielt wird. Beim Dinner for One kommt das Gelächter dagegen nicht vom Band, sondern vom Live-Publikum. Das merkt man. Allen voran bei dem schrillen Lachen einer bestimmten Dame. Das war Sonja Göth, die damals in der NDR Telefonzentrale arbeitete und im Publikum saß. Der Regisseur hat sie zwischendrin mal ermahnt, sie solle nicht so laut sein. Aber Gottseidank hat sie sich einfach weiter amüsiert. Denn ich behaupte: Ihr Lachen gehört zum Dinner genauso wie der Tigerkopf.