"Tibetan Mustang": Das verborgene Königreich im Himalaya
In beeindruckenden Fotografien dokumentiert der Bildband "Tibetan Mustang" die Rettung und Wiederherstellung jahrhundertealter buddhistischer Wandgemälde im Norden Nepals.
Im dämmrigen Licht des Tempels sind schräg an hohen Wänden lehnende Leitern zu erkennen. Dazu Holzgerüste, auf deren Plattformen hier und da eine Person hockt, ausgerüstet mit Pinsel oder Spachtel. Flackernde Talglichter verbreiten einen ranzigen Geruch und ein schmales Lichtfeld am Boden. Und über allem wacht die Statue von Maitreya Buddha aus dem 17. Jahrhundert - mit gütigem Blick schaut die riesige Holzfigur auf die peniblen Restaurationsarbeiten an den Wandmalereien aus dem 15. Jahrhundert.
"Tibetan Mustang": Faszinierende Fotografien
Hoch im Himalaya-Gebirge im nördlichen Nepal befindet sich das abgelegene Königreich Mustang, über Jahrhunderte ein Hafen für die tibetische Kultur. Als das verbotene Königreich 1992 für westliche Besucher geöffnet wurde, stießen diese auf opulente Kunstwerke, verheert von der Zeit und dem harschen Klima. So begann ein Restaurationswerk, bei dem lokale Bewohner ausgebildet wurden, um ihre eigenen Schätze zu bewahren. Leseprobe
Es ist faszinierend und bewegend, im Bildband blätternd Zeuge dieser Arbeiten zu werden: In das konzentrierte Gesicht eines Bauern zu schauen, der gerade die Wimpern eines Buddha-Porträts ockerfarben nachzeichnet. Einer Gruppe von nepalesischen Frauen und Männern beim Zerstoßen und Mischen von Lapislazuli zuzusehen. Fünf Malerinnen und Malern in Trainingshose und Baseball-Kappe über die Schulter zu blicken, während sie zarte Golddekorationen an einer über und über bunten Wand auftragen, auf der Ranken, Blüten, Buddhas, Vögel und Drachen prangen.
Buddhistische Traditionen werden zum Leben erweckt
Es wäre dennoch ermüdend, würde der Bildband 250 Seiten nur mit solcherlei Bildmotiven füllen. Tatsächlich und zum Glück leistet das Buch viel mehr: Die ersten hundert Seiten führt es seine Leser in diese entlegene Gebirgsregion mit Tälern voll von rosa-blühendem Buchweizen vor schrundig aufgefalteten Felsmassiven, in deren Klüfte Licht und Schatten grandiose Zeichnungen werfen.
Nach der Dokumentation der Restaurierungsarbeiten folgen noch einmal 50 Seiten über die Wiederbelebung von Zeremonien und religiösen Festen. Denn darum ging es dem Restauratoren-Team vor allem: nicht um die Wiederherstellung der Wandmalereien allein um der Kunst willen, mit dem Gebot, den Arbeiten der alten Buddha-Maler nichts Eigenes hinzuzufügen. Sondern es ging um die Erneuerung und Erschaffung von Räumen, in denen gebetet, Andachten gehalten, Feste mit hunderten Gläubigen gefeiert werden können.
Die Kunst der nepalesischen Wandmalerei blüht wieder auf
Die westliche Kultur hat ihr Konzept der Konservierung über zwei Jahrhunderte entwickelt. Es betont die Wichtigkeit des Kunstwerks und des Künstlers, vergisst dabei aber allmählich die eigentliche Funktion dieses Werks. Rekonstruktionen fehlender Teile sind dabei verboten. Diese Denkhaltung kann leider nicht auf östliches Denken übertragen werden, denn ein Kunstwerk hat dort weiterhin eine Funktion, besonders aus religiöser Perspektive. Die jetzige Generation hat ein Recht, es zu nutzen. Leseprobe
Das stellt der führende westliche Restaurator nepalesischer Kunst fest, der Italiener Luigi Fini. Trotz neuer großer Probleme nach den Erdbeben 2015 und eines 2019 ohne weitere Begründung gegen ihn verfügten Arbeitsverbots blickt er zuversichtlich voraus: Die Arbeiten in den Tempeln gehen seither mit lokalen Teams weiter. Die unendlich reiche Kunst der Wandmalerei im ehemaligen Königreich Mustang bleibt erhalten, wird aktiv genutzt und blüht auf wie einst im 15. Jahrhundert.
Tibetan Mustang - A Cultural Renaissance
- Seitenzahl:
- 248 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Hirmer
- Bestellnummer:
- 978-3-7774-4197-9
- Preis:
- 69 €