Cover des Romans "Wie die Vögel unter dem Himmel" © Ullstein Verlag
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AUDIO: Neue Bücher: "Wie die Vögel unter dem Himmel" von Joan Didion (5 Min)

Joan Didions "Wie die Vögel unter dem Himmel" neu übersetzt

Stand: 04.01.2024 06:00 Uhr

Joan Didion gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen der Vereinigten Staaten. Antje Rávik Strubel, Trägerin des Deutschen Buchpreises, hat ihren Roman "Wie die Vögel unter dem Himmel" neu übersetzt.

von Peter Helling

Joan Didions Sätze treffen. Mal sind sie filmisch scharf, hyperreale Beschreibungen einer Situation. Mal klingen die Sätze wie Umschreibungen, wie unscharfe Skizzen. Dieses Wechselspiel aus Schärfe und Unschärfe kennzeichnet auch ihren Roman: "Wie die Vögel unter dem Himmel".

"Alles hier verändert sich, und nichts hat den Anschein, es würde sich ändern. Es gibt keine wahrnehmbare Drehung der Sterne in ihrem Lauf, … es gibt nur die amniotische Stille, in der die Transformation eine Konstante ist." "Wie die Vögel unter dem Himmel"

Fiktiver Stadtstaat "Boca Grande"

Boca Grande - der "große Mund" - heißt ein fiktiver mittelamerikanischer Kleinststaat, mit gleichnamiger Hauptstadt. Ein Phantasiegebilde samt korrupter Präsidentenfamilie, überdimensionaler Bauprojekte, die auf fast lächerliche Art scheitern, mit Grand Hotels, die eher wie sehr kleine Kopien großer Hotels wirken. Unter dunstigem Äquatoriallicht wird hier gelebt, vor einer Kulisse, die in dem Roman nie ihre Kulissenhaftigkeit verliert. Darin lebt Grace Strasser-Mendana, die Ich-Erzählerin, eingeheiratet in die Herrscherfamilie von Boca Grande, studierte Anthropologin. Sie bezeugt das Leben einer zweiten Frau, der eigentlichen Hauptfigur: Charlotte Douglas.

Zwei Nordamerikanerinnen im Porträt

Beide sind "Norteamericanas", Nordamerikanerinnen, und Joan Didion meint das durchaus selbstkritisch. Grace ist todkrank - eine genaue, nie kalte Beobachterin Charlottes, die nach Boca Grande kommt, weil sie auf der Suche nach ihrer Tochter ist. Die hat sich einer linksextremen Terrorgruppe angeschlossen und ist untergetaucht.  

In der Zwischenzeit wartete Charlotte in dieser Miniaturhauptstadt, in der nichts wirklich zu sein brauchte, auf Marin. Während sie wartete, blieb Charlotte eine interessierte Beobachterin von allem, was sie sah. "Wie die Vögel unter dem Himmel"

Charlotte ist eine leicht verwirrte, reiche Kalifornierin, etwas blasiert, mit glasklaren Momenten, in denen sie Stärke zeigt. Ihr erster Mann war ein gewalttätiger Intellektueller aus New York, ihr zweiter ist ein wohlhabender Anwalt, mittlerweile ist das FBI auf Charlottes Fährte.

Verschwommener Eindruck, wie vergilbtes Polaroidfoto

Aus diesen Grundfarben setzt sich dieser Roman zusammen - der allerdings einen verschwommenen Eindruck hinterlässt, wie ein vergilbtes Polaroidfoto. Mühsam zu lesen, entfaltet er ein wirres Porträt Charlottes - dann wieder, im Wechsel, fast karikaturartige Beschreibungen der korrupten Elite Boca Grandes. Hier isst man stachelige Schalentiere, ständig drohen eine Revolution, ein Putsch, ein Aufstand. Alles aus dem Blick der Anthropologin und Menschenforscherin Grace, halb amüsiert, leicht angeekelt.

Ich bin nur insofern an Charlotte Douglas interessiert, als sie in Boca Grande vorbeischaute, nur insofern, als sich mir die Bedeutung ihres Aufenthaltes entzieht. "Wie die Vögel unter dem Himmel"

Seltsam trüber Roman mit messerscharfen Dialogen

Joan Didion erschafft das Doppelporträt eines Frauentypus‘, der für das Ende einer Epoche steht - der des Erfolgsmodells USA. Dieser Abgesang durchstrahlt diesen seltsam trüben Roman. Immer wieder blitzen fabelhafte Szenen auf - messerscharfe Dialoge zwischen Charlotte und ihrem Ex-Mann Warren -, oder wie Charlotte Tag für Tag zum Flughafen Boca Grandes fährt, um auf irgendein Flugzeug zu warten. Sitzt ihre Tochter darin?

Beobachten, Abwarten, Zusehen: Die Zeit wird hier zäh. Durch seine Unschärfe bekommt der Roman etwas Parabelartiges. Das Bild eines Verfalls, körperlich, geistig. Charlotte Douglas wird in kein Flugzeug steigen.

 

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Wie die Vögel unter dem Himmel

von Joan  Didion
Seitenzahl:
336 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Amerikanischen von Antje Rávik Strubel.
Verlag:
Ullstein Hardcover
Veröffentlichungsdatum:
28. Dezember 2023
Bestellnummer:
978-3-55-020186-8
Preis:
23,99 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 04.01.2024 | 12:40 Uhr

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Romane