Fotoband "Floridas": Künstlerische Reise durch den Sunshine State
Anastasia Samoylova hat sich mit der Kamera auf eine künstlerische Reise durch ihr Florida begeben. In ihrem Bildband hat sie ihre Aufnahmen neben die des weltberühmten Fotografen Walker Evans gestellt.
Bonbonbunt ist das Bild. Goldener Sonnenschein fällt auf trocken-grüne Palmwedel. Auf der Hauswand prangen angesprühte Grafitti-Buchstaben in rosa, grün und blau; ein roséfarbener Schimmer spiegelt sich zugleich in einer Glasscheibe. Und dahinter steht sie: "Mirror Venus". Ein glänzender Torso, der sogleich an die Venus von Milo erinnert, eine stehende Frauengestalt mit eingeknickter Hüfte. Die blitzende Figur auf dem Foto scheint das antike Vorbild zu zitieren - mit banalem Hintergrund.
Florida: "Eine konzentrierte Version von ganz Amerika"
Diese Venus ist ein Spiegel in einem Schaufenster in Miamis Boutique-Designerviertel. Sie schwebt rein, aber leer, in einer gebrochenen Fantasie aus Materialismus und Muße. Leseprobe
So lyrisch-nachdenklich beschreibt Anastasia Samoylova ihre eigene Aufnahme. Mehr noch, viele ihrer Aufnahmen lassen sich so beschreiben, denn ist Florida nicht häufig genau so? Rein, aber leer, bunt und sonnig - doch häufig nur Schein. Die Babyfarben rosa und blau finden sich en masse auf Samoylovas Bildern; an der Fassade des hingehauenen Apartmentblocks ebenso wie im Alligatorbecken aus hellblauen Fliesen und rosa Backsteinen. Die kleine Echse im klaren Poolwasser bildet den skurrilen Kontrast zur Künstlichkeit des Bildes; das einzig wilde, fremde Element.
"Ich habe angefangen, mich für Florida zu interessieren, nachdem ich ein paar Trips quer durch diesen Staat gemacht hatte", erzählt Samoylova. "Und mir wurde klar, dass Florida für mich eine konzentrierte Version von ganz Amerika darstellte."
Samoylova und Evans: "Auf organische Weise miteinander verflochten"
Quietsch-künstliche Farben und natürliche Wildheit. Konsumsymbole und Kontraste: wie die Heckflosse eines Oldtimer-Cabriolets in einer Garage mit Mona-Lisa-Poster an der Wand. Aber auch leere Grundstücke, deren Steinfliesenböden zerbröckeln, neben alten Palmen an einsamer Küstenlinie. Oder die Ruine eines nicht fertig gewordenen Hotels im italienischen Stil - Pseudo-Architektur, "fake" würde man heute sagen.
Heute? Das Schwarz-Weiß-Bild ist von 1941, verrät der Index, Walker Evans hat es aufgenommen. So wie das Bettgestell aus dünnen Metallstangen, ebenfalls schwarz-weiß aufgenommen, in einem schlichten Raum einer Hütte aus Holzplanken. Oder ist das Bild nicht doch etwas zu scharf für eine historische Aufnahme? Stimmt! Es ist von 2020, von der Walker Evans-Nachfolgerin Samoylova.
"Meine und Walker Evans Bilder sind auf organische Weise miteinander verflochten", sagt Samoylova. "Es ist ein spielerischer Ansatz, man kann ein Ratespiel daraus machen, man weiß niemals, von wem welches Bild ist. Aber eigentlich ist die Autorenschaft auch irrelevant. Denn mein Ziel war, Florida gerecht zu werden, indem ich zeige, dass es ein viel komplexerer Ort ist, als man von außen gemeinhin wahrnimmt."
Glanz und Schmutz in paradoxer Gleichzeitigkeit
Hat sie Recht? Ist Florida, oder besser: Sind die Floridas der beiden Fotografen aus zwei Epochen so komplex?
Karibische Überreife bis hin zum Verwelken zieht sich thematisch durch viele Bilder. Ein Glanz und Schmutz in paradoxer Gleichzeitigkeit, hier: etwas abgelebter Reichtum - und dort: doch nur ein So-tun-als-ob.
Am erstaunlichsten ist vielleicht, dass dieser Schwebezustand Floridas Normalität zu sein schien und zu sein scheint; in Walker Evans Bildern der 30er- und 40er-Jahre wie auf den modernen Aufnahmen der jungen Wahl-Amerikanerin. So meint der Plural im Buchtitel vielleicht nicht nur die zwei Floridas von zwei Fotokünstlern, sondern auch die vielen Floridas, die - arm und reich, schäbig und chic - direkt neben- und übereinander existieren.
Floridas
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- In englischer Sprache
- Verlag:
- Steidl
- Bestellnummer:
- 978-3-96999-007-0
- Preis:
- 58 €