Fotoband "Die Bonner Republik": Blick in die bundesdeutsche Geschichte
Das Buch "Die Bonner Republik" dokumentiert in mehr als 300 Fotos vier Jahrzehnte Politik und Wirtschaft, Sport und Kultur. Neben den Bildern sind vor allem die Essays von Heribert Prantl lesenswert.
Bonn am Rhein: Diese kleine beschauliche Stadt wird nicht nur Hauptstadt der BRD, sondern auch Ausgangspunkt einer Erfolgsgeschichte: Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Wiedervereinigung. Wie das Leben in diesen ereignisreichen Jahrzehnten aussah, zeigen Fotografien in dem Bildband "Die Bonner Republik. Vier Jahrzehnte Westdeutschland 1949-1990". Mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung führt der fotografische Blick in die bundesdeutsche Geschichte die heutigen Betrachter in eine ganz andere Welt.
Vier Jahrzehnte auf 336 Seiten
Eine Frau schiebt in Hamburg 1951 einen Kinderwagen an Nissenhütten vorbei, Wäsche hängt an einer Leine. Dicht an dicht stehen die Notunterkünfte aus Wellblech, in denen viele Menschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit leben. Das Foto von Erich Andres symbolisiert sowohl die Mühsal des Wiederaufbaus als auch den Neuanfang und das Wachstum der Nachkriegszeit.
Vier Jahrzehnte zusammengefasst auf 336 Seiten. Fast zweieinhalb Kilo schwer, nur ein bisschen kleiner als ein Schallplattencover. Mehr als 300 Fotos, die die politischen Entwicklungen und kulturellen Strömungen einfangen, aber auch das Alltagsleben zeigen. Aufnahmen der ländlichen Arbeitswelt von Oskar Poß etwa: ein Bauer in Bayern 1950 bei der harten körperlichen Feldarbeit, gekleidet in einfache, robuste Kleidung, der mit einer Sense Getreide mäht.
Lesenswerte Essays von Heribert Prantl
Neben den vielen beeindruckenden - teilweise bisher unveröffentlichten - Fotos, die die Fotohistoriker Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer zusammengetragen haben, sind vor allem die drei Essays von Heribert Prantl lesenswert. Der renommierte Journalist analysiert scharfsichtig die Zeit der Bonner Republik.
Schwarz-Rot-Gold: Die deutschen Farben zeigen in schöner Abfolge die Geschichte der Bundesrepublik. Auf das Schwarz der Adenauer-Zeit folgt das Brandt-und-Böll-Rot; darauf das Gold der Wiedervereinigung in der Regierungszeit von Kanzler Kohl. Leseprobe
Unterhaltsam und prägnant lässt Prantl die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Revue passieren und erinnert an die "Gegenspieler" Konrad Adenauer und Heinrich Böll.
Sie waren wie der rechte und der linke Schuh der jungen Demokratie. Böll und viele andere Intellektuelle spuckten Gift und Galle gegen den Bundeskanzler, der für sie Inbegriff einer miefigen, verlogenen und bigotten Nachkriegsgesellschaft war. Das war verständlich, das war sehr oft berechtigt. Leseprobe
Historische Schlüsselmomente
Das Buch bietet so viele großartige Aufnahmen, dass man beim Blättern immer wieder innehält: bestürzt von den Bildern, die Verwüstung und Zerstörung direkt nach dem Krieg zeigen; fasziniert von vielen historischen Schlüsselmomenten, vom Mauerbau bis zum Besuch Kennedys 1963 in Berlin, als er mit vom Wind leicht zerzausten Haaren neben Willy Brandt und Konrad Adenauer im Auto sitzt.
Berühmte Fotografen sind in diesem Band versammelt: Andreas Gursky, F.C. Gundlach, Robert Lebeck oder Will McBride. Ihm haben wir nicht nur das Kennedy-Bild in Berlin zu verdanken, sondern auch das Titelbild des Buches, das ausgelassen herumalbernde Jugendliche auf einem Vespa-Roller 1960 zeigt.
Auch Hannes Hubmann hatte den Blick für den historischen Moment. Er beobachtete als einer von 376 Journalisten am 7. Dezember 1970 Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos. Sein Bild gilt heute als eine der bedeutendsten Momentaufnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik und ihrer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit.
Fotos von den Beatles und Biermann, Texte von Grass und le Carré
Vier Jahrzehnte Politik und Wirtschaft, Sport und Kultur dokumentiert das Buch: die Beatles bei einem frühen Auftritt 1961 in Hamburg, Wolf Biermann mit herausgestreckter Zunge 1976 in Köln - drei Tage vor seiner Ausbürgerung aus der DDR. Neben Prantls erhellenden Erläuterungen lässt sich auch durch weitere ausgewählte Textpassagen in die damalige Zeit eintauchen. Es sind Ausschnitte aus Büchern von Martin Walser, Günter Grass, Günter Wallraff oder John le Carré. Der schreibt in seinem Buch "Eine kleine Stadt in Deutschland":
Allein die Wahl Bonns als Wartesaal für Berlin war immer schon eine Ungereimtheit, jetzt ist sie ein Missbrauch. Wohl kein anderes Volk als die Deutschen hätte es fertiggebracht, einen Kanzler zu wählen und ihm dann die Hauptstadt vor die Tür zu bringen. Leseprobe
Diese Zeitreise von der heimischen Couch in die Bonner Republik ist oft auch überraschend. Wie ein Bild aus dem Jahr 1952, das beweist, dass damals schon eine heute selbstverständliche Technologie als unterhaltsame Innovation wahrgenommen wurde. Es zeigt einen gut gefüllten Kinosaal - und alle Besucher tragen Brillen - 3D-Brillen.
Die Bonner Republik. Vier Jahrzehnte Westdeutschland. 1949-1990
- Seitenzahl:
- 336 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Greven
- Bestellnummer:
- 978-3-7743-0974-6
- Preis:
- 50 €