Bildband "Light Cities": Schönheit und Schrecken der Großstadt
Menschen lieben Licht - erst recht, wenn es im Dunkeln scheint und funkelt. Seit Jahren fotografiert David Stephenson Großstädte bei Nacht. Der Bildband "Light Cities" versammelt viele seiner Aufnahmen.
Dieser Bildband - fasziniert. Dieser Bildband - schockiert. Beides stimmt. Das irritiert.
Ein Lagerfeuer für Millionen
Rauf auf einen Kirchturm, auf die Dachterrasse eines Hochhauses, auf einen Hügel - und dann der Blick aufs nächtliche Lichtermeer. Flirrende Straßenzüge, auf denen Fahrzeuge dahinfließen, strahlende Viertel voller Laternen, blinkender Leuchtreklamen, weißer Scheinwerfer. Was genau werfen diese Geräte? Licht-Schein? Falschen Schein? Schein-Heiligkeit?
Los Angeles zu Füßen des Betrachters: eine goldglühende Fläche bis zum Horizont. Fast glaubt man, ein Vulkan sei ausgebrochen; nun fließt die kochende, brodelnde Lava träge über Geröll mitten hinein in die Stadt, bedeckt Straßen, Häuser brennen - aber nein: Es ist menschengemachter Schein, wie Flüssigstahl, der durch die Adern der City pulsiert. Ein Lagerfeuer für Millionen. Wärme. Information. Sicherheit.
Ist das schön? Viele empfinden es genau so, fahren abends hoch auf den Mount Hollywood zum Griffith Observatory, um auf den Lichtozean im Tal zu schauen. Sie genießen den Anblick, Gesichter leuchten. Zahllose Handys, Smartphones, Kameras werden gezückt, um diese künstliche Helligkeit zu fotografieren, wörtlich: das Licht aufzuzeichnen.
Dasselbe geschieht in Tokio, Bangkok, Denver, Albuquerque, aus umgebenden Vorgebirgen, von Brücken herab oder gleich direkt aus den bestrahlten Straßen.
Ein todbringendes Schreckensbild
"Diese Bilder sind größtenteils aus Gittern und Netzwerken von Lichtpunkten komponiert. Die Muster sind stets dieselben, ganz gleich wo in der Welt sie verortet sind", schreibt der Fotografie-Kenner und -Sammler Keith Davis in einem gedankenvollen Essay zum Abschluss des Bildbands. Jede Stadt aus Licht ist wie die andere. Und immer prangt eine gewaltige Lichtkuppel über der Metropole, die den Himmel berührt. Gleißend. Glimmend. Glühend. Glänzend. Glückverheißend. Todbringend.
Schätzungen zufolge sterben in einer Nacht an deutschen Straßenlaternen eine Milliarde Insekten. Vögel verlieren die Orientierung bei ihrem nächtlichen Zug. Der Lichtdom über Städten ist eine Falle. Ausgelöscht der Sternenhimmel auf diesen Nachtaufnahmen. So gesehen, sind David Stephensons Aufnahmen der "Light Cities" nicht von faszinierender Schönheit, sondern ein Schreckensbild.
"Light Cities": Faszinierend, schockierend, irritierend
Wo früher dicke tragende Wände Häuser, Blöcke, Bezirke bildeten, sind heute Glasvorhänge gesetzt. Leichtigkeit und Licht - beides steckt im Titel "Light Cities". "Das Licht in Stephensons Aufnahmen symbolisiert Wissen, Unternehmergeist und Weltoffenheit - ebenso wie Hybris, Exzess und Verschwendung. Wir erzeugen mehr Licht und verbrauchen mehr Energie als nötig. Schon bald wird es eine Verschiebung geben von intellektueller ‘Betroffenheit‘ zu existenzieller Not", prophezeit Keith Davis.
David Stephensons Fotoband sagt all dies ebenfalls, ohne Worte. Mit Licht allein. Faszinierend, schockierend, irritierend.
Light Cities
- Seitenzahl:
- 96 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Hatje Cantz
- Bestellnummer:
- 978-3-7757-5678-5
- Preis:
- 44 €