Bildband: "Das Charlie Chaplin Archiv"
Charlie Chaplin ist bis heute einer der größten Stars des Kinos; seine Filmfigur "der Tramp" ist weltweit bekannt. Dabei sind es nur wenige abendfüllende Spielfilme, die seinen Ruhm ausmachen.
Chaplin hat jedoch mehr als 90 Filme gedreht, angefangen mit kurzen Slapstick-Streifen, die im Laufe der Zeit länger wurden, bis hin zum Melodram, bei dem er für Regie, Drehbuch, Produktion und Musik verantwortlich war. Der Taschen Verlag hat sich vorgenommen, dieses Werk in einem einzigen umfangreichen Buch zu präsentieren: "Das Charlie Chaplin Archiv" versammelt auf 560 Seiten eine Materialfülle an Bildern und Texten.
Chaplin ist der berühmteste Filmkomiker des 20. Jahrhunderts
Da steht der junge Mann, 22 Jahre alt, in einem leicht abgewetzten Anzug, mit staubigen Schuhen und Hut in der rechten Hand, aber vor allem: mit einem stolzen Lächeln! Steht neben einem halbhohen Plakatzaun in San Francisco, auf dem sein Name prangt.
Die Kleidung mag noch nicht von feinstem Zwirn sein, doch Charles Chaplin ist der Star von Fred Karnos Comedy-Truppe, die mit größtem Erfolg über Nordamerikas Bühnen tourt. Selbstbewusstsein und Zuversicht stehen ihm ins Gesicht geschrieben; lässig lehnt seine Linke auf dem Poster, von dem 1911 niemand wissen kann: Hier steht der Name des berühmtesten Film-Komikers des Jahrhunderts.
Die Filmfigur "der Tramp" entsteht
Denn Film ist ein merkwürdiges, neumodisches Vergnügen. Hektisch und groß sind darin die Gesten der Schauspieler, fast immer kommt eine Verfolgungsjagd vor - ab 1914 taucht auf einmal eine Figur auf, die fehl am Platz ist, egal wo sie geht und steht: der Tramp.
"Ich wollte, dass sich alles widersprach: die Hose ausgebeult, die Jacke eng, der Hut klein und die Schuhe groß", erzählt Chaplin. Der Tramp war geboren. "In dem Augenblick, in dem ich angekleidet war, ließen mich das Kostüm und die Maske die Person spüren, die diese Figur war. Als ich die Studiobühne betrat, war sie voll ausgereift."
Szenenfotos gewähren Blicke hinter die Kulissen
Chaplin hat später von dieser Erfindung des Tramps auf verschiedenerlei Weise berichtet, so dass wohl nie ganz klar werden wird, wann genau die Rolle stand. Dieser schwergewichtige Band zitiert ausgiebig Chaplins eigene Aussagen und ordnet relativ wenig ein. Doch allein die vielen Szenenfotos und Blicke hinter die Kulissen verraten: Der Perfektionist arbeitete kontinuierlich daran, jedes noch so kleine Detail zu verbessern.
Erst erstreckt sich sein Schnurrbart über die ganze Oberlippe, dann wird er kleiner und schmaler; der steife Spazierstock wird zu einem biegsamen Bambusstöckchen, auf dem der Tramp sich aufstützen kann wie auf einer Sprungfeder. Nach 245 Seiten voller Fotos und Plakate, Verträge und Zeichnungen aus 79 Filmen - folgt "Der Goldrausch"! Da ist der Band schon halb durchgeblättert und zeigt, wie ausführlich das "Chaplin Archiv" auf die Frühphase des Filmemachers eingeht.
Der Leser kommt ins Staunen. Chaplin hat viele Szenen gedreht, die später im Schnitt rausflogen - sein Archiv aber macht sie wieder sichtbar: Schon zu Beginn des beschwerlichen Trecks der Goldsucher entdeckt der Tramp im Basislager am Pass ein junges Mädchen - er scheint aus dem Tross ausscheren zu wollen, doch im Film taucht diese Szene nirgends auf.
Chaplin ist ein Regisseur mit Perfektionswahn
In "Lichter der Großstadt" kauft der Tramp eine Rose von einem blinden Blumenmädchen. Der Dreh dieser kurzen Szene zog sich über zehn Monate, da Chaplin im Perfektionswahn nie ganz zufrieden war. Hinreißend: die Fotos, wie der Tramp vor dem Blumenmädchen steht, das ihm die Rose hinhält. Erstaunlich: das Bild, wie Chaplin zwischendurch im Tramp-Kostüm den Platz des Blumenmädchens einnimmt und die Rose galant einem imaginären Kunden anbietet - nur um der Laien-Schauspielerin Virginia Cherill zu demonstrieren, wie sie zu sitzen und die Blume feilzubieten hat.
"Chaplin konnte jeden zum Schauspieler machen - und er tat es. Er nahm Menschen ohne jegliches Talent und sogar ohne jegliche Ambition. Ich glaube wirklich nicht, dass Virginia Cherrill den Wunsch hatte, Schauspielerin zu werden", bemerkte Georgia Hale später. Zwischenzeitlich sollte sie das Blumenmädchen spielen, nachdem Chaplin die glücklose Cherrill gefeuert hatte - bis er es sich anders überlegte, Hale feuerte und Cherrill erneut ans Set lotste. Erst nach sage und schreibe 360 Takes war der Regisseur/Drehbuchautor/Produzent/Komponist und Hauptdarsteller in einer Person zufrieden. Rose verkauft, Tramp verliebt - nächste Szene.
Es sind solche Einblicke hinter die Kulissen, die "Das Charlie Chaplin Archiv" auch für Kenner unglaublich wertvoll machen. Neben berühmten Filmszenen wie dem Tanz mit der Weltkugel in "Der große Diktator" gibt es reichlich Ungesehenes zu entdecken, bis hin zu den unvollendeten Filmen und Skizzen zu mehr als 200 vagen Ideen, die auch noch im Kopf dieses Kino- und Komik-Genies herumschwirrten.
Das Charlie Chaplin Archiv
- Seitenzahl:
- 560 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Hardcover, Halbleinen, mit Filmstreifen, 41,1 x 30 cm, in einem Karton mit Tragegriff, Englische Ausgabe mit deutscher, französischer bzw. spanischer Übersetzung in einem Beiheft
- Verlag:
- Taschen
- Bestellnummer:
- 978-3836538435
- Preis:
- 60,00 €