Soziologe Oskar Negt in Hannover gestorben
Oskar Negt ist tot. Das teilte der Steidl-Verlag mit. Negt wurde 89 Jahre alt und galt als einer der einflussreichsten Soziologen in der Bundesrepublik. Mehr als 30 Jahre lehrte er an der Universität Hannover.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Negt als "großen Sozialwissenschaftler und politischen Intellektuellen. Er war zugleich ein engagierter Bürger und Publizist, der die öffentlichen Debatten und das demokratische Denken in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg geprägt hat", so Steinmeier am Sonnabend in einem Kondolenzschreiben an Negts Witwe Christine Morgenroth-Negt.
Bis ins hohe Alter habe sich Negt um die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft verdient gemacht, erklärte der Bundespräsident. In der heutigen Zeit der Krisen und Veränderungen sei seine Idee von der sozialen Verantwortung des politischen Menschen aktueller und wichtiger denn je. "Oskar Negt fehlt unserem Land. Aber sein demokratischer Geist lebt weiter, wo immer Freiheit und Demokratie mutig und entschlossen verteidigt werden."
Adorno-Schüler und Habermas-Assistent
Negt wurde 1934 auf dem ostpreußischen Gut Kapkeim nahe Königsberg als jüngstes von sieben Kindern geboren. Die Flucht aus dem damaligen Königsberg hat er nur knapp überlebt - ein einschneidendes Erlebnis für den damals Elfjährigen. Er nannte es "Überlebensglück", so der Titel seiner Autobiografie, die 2017 erschien. Sein Abitur machte er in Oldenburg. Negt studierte Soziologie und Philosophie in Frankfurt am Main bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Von 1962 bis 1970 war er Assistent von Jürgen Habermas.
Negt trat 1956 dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bei. Er engagierte sich für eine Zusammenarbeit der marxistischen Linken mit den Gewerkschaften und wurde mit dem Beginn der Studentenbewegung von 1968 einer der Wortführer der Außerparlamentarischen Opposition und später des Offenbacher Sozialistischen Büros. 1972 in gründete er Hannover eine der ersten Reformschulen Deutschlands, die Glocksee-Schule.
Lange Lehrtätigkeit in Hannover
Von 1970 bis 2002 lehrte Oskar Negt Soziologie an der Universität Hannover. Neben seiner herausragenden Bedeutung als Soziologe und Sozialphilosoph war er einer der profiliertesten politischen Erwachsenenbildner der Bundesrepublik. Er hat den Kapitalismus kritisiert und gehörte zum Beraterstab Gerhard Schröders, dessen Hartz-IV-Reformen er aber ablehnte.
Negt betonte, dass Bildung unter den Verhältnissen der Demokratie eine existenzielle Notwendigkeit sei. Man brauche für die Persönlichkeitsbildung nicht alles unmittelbar, was man lernt. Bildung sei vielmehr ein Vorratslager an Begriffen, Sichtweisen und Intentionen. Über sich selbst sagte er einmal: "Im Grunde bin ich in meiner ganzen wissenschaftlichen Entwicklung durch das Raster der Disziplinen gefallen."