Der Siegeszug der Graphic Novel
Bereits zum siebten Mal beginnen im Hamburger Literaturhaus die Graphic Novel Tage. Von Montag bis Freitag dreht sich dann alles um Comic-Kunst und um grafische Romane. Und kaum jemand kann besser über dieses Genre Auskunft geben als Andreas Platthaus, "FAZ"-Redakteur und Mitveranstalter dieses kleinen Festivals.
Vor zwei Jahren haben Sie in zwei prägnanten Thesen erklärt: Nicht alle Graphic Novels sind automatisch gute Literatur; so wie es auch schlechte Romane gibt, gibt es schlechte Comics. Aber gute Comics seien literaturwürdig. Und: Graphic Novels könnten auf wenig Raum Stimmungen erzeugen, mit nur einem Bild, wo ein Roman viele Worte braucht. Die Qualitätsfrage haben Sie also bereits geklärt. Und da es die bereits siebten Graphic Novel Tage im Hamburger Literaturhaus gibt, heißt das ja wohl, dass Graphic Novels als literarisches Genre sehr etabliert, sehr anerkannt, und sehr populär sind, oder?
Andreas Platthaus: Ich glaube schon. In diesen sieben Jahren hat sich wirklich eine Menge getan in diesem Bereich. Es ist nicht so, dass nicht vorher auch schon diverse Leute gewusst hätten, wie wunderbar man mit Comics oder mit Graphic Novels Geschichten erzählen kann, aber in diesen sieben Jahren hat sich das Ganze noch verbessert aus der Sicht derjenigen Leute, die so etwas sehr gerne lesen. Viele Literaturhäuser machen regelmäßig Veranstaltungen mit Comiczeichnern und -autoren, Hamburg war da in gewisser Weise ein Vorreiter, gerade auch in der Intensität, mit der wir uns hier mit diesen Fragen beschäftigen. Jetzt hat Köln mit einem eigenen zweijährigen Festival nachgezogen, und andere Literaturhäuser, wie beispielsweise das Brecht-Forum in Berlin, werden bald regelmäßige Reihen etablieren. Das heißt, das ist zumindest im Bereich der anspruchsvollen Literaturpflege, sprich: Literaturhäuser, angekommen. Bei den Verlagen muss man sich erfreulicherweise überhaupt keine Sorgen mehr machen: Wenn heutzutage jemand in Deutschland ein interessantes Comic-Projekt hat, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er dafür auch einen richtig guten Verlag findet.
In diesem Jahr stehen die einzelnen Tage unter einer Art Motto, und diese Motti klingen ein wenig wie Sachbuchtitel: "Familie als Herausforderung", "Konstruktion als Prinzip", "Politik als Recherchethema", und "Freiheit als Vergnügen". Wieso nutzen Sie so seriöse bis sperrige Tages-Motti?
Platthaus: Der Anspruch, den wir bei der Kuratierung dieser Gespräche, die es ja jeden Abend geben wird, hatten, war, dass wir Gäste aus dem Ausland und deutschsprachige Gäste zusammenbringen, die etwas gemeinsam haben. Nun ist es nicht so, dass wir uns unsere Traumbegegnungen ausdenken, und die kriegen wir dann ganz zuverlässig. Das ist bisweilen auch geglückt, aber manchmal muss man schauen, zu wem einem ein geeigneter deutscher oder fremdsprachiger Partner einfällt, mit dem man ein schönes Gespräch hinbekäme. Wenn man beispielsweise das Thema "Die Familie" nimmt, dann war so auffällig daran, dass bei Uli Oesterle, einem sehr prominenten deutschen Comiczeichner, gerade die Arbeit an einem autobiografischen Projekt über seinen Vater im Mittelpunkt seiner Arbeit steht. Und wiederum bei unserem belgischen Gast Simon Spruyt ist als bisher leider einziger Comic auf Deutsch eine Geschichte erschienen, die im Deutschen Kaiserreich spielt und auch eine Vater-Sohn-Geschichte erzählt, aber natürlich nicht autobiografisch, sondern historisch, im deutschen Junker-Milieu angesiedelt, eine etwas fantastisch angehauchte Erzählung darüber, warum das Kaiserreich in den Krieg gezogen ist.
Das Gemeinsame ist weder ästhetisch zu finden, noch im unmittelbaren formellen Bereich, aber diese Faszination für Vater-Sohn-Beziehungen, für Familienstrukturen ist das, was beide wunderbar in ein gemeinsames Gespräch bringen wird. Und genau so gilt das für alle drei Abende: Diese etwas technisch klingenden Titel bringen einen sehr prägnanten Aspekt hervor, der im Werk der jeweiligen Gäste eine wichtige Rolle spielt.
Eine Frage noch zur Begrifflichkeit: Comic ist gleich Graphic Novel - oder kann man das nicht sagen?
Platthaus: Nicht unbedingt. Graphic Novel ist gleich Comic! Und natürlich müsste man denken, das müsste sich umdrehen lassen - dem ist aber nicht so. Jede Graphic Novel ist ein Comic - der Comic ist der Oberbegriff -, aber nicht jeder Comic ist eine Graphic Novel. Der Unterschied zu anderen Comics besteht darin, dass bei der Graphic Novel freigestellt ist, in was für einem Format man zeichnet und was für einen Umfang es hat - da gibt das Thema den Umfang und die Form vor. Das ist natürlich der Idealfall im Umgang mit Literatur, und das haben sich die Comics hart erkämpfen müssen. Und darum ist der Begriff Graphic Novel so reizvoll, weil damit signalisiert wird, dass damit in gewisser Weise größere formale Freiheit für diejenigen besteht, die so etwas zeichnen. Darum hat er auch ziemlich viel Erfolg im Buchhandel in den letzten Jahren gehabt.
Das Interview führte Eva Schramm