Mehr Lebensqualität für Familien mit beeinträchtigten Kindern

Stand: 11.11.2023 05:00 Uhr

Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen sind im Alltag oft stark belastet. Der Familienunterstützende Dienst der Lebenshilfe Dithmarschen steht Betroffenen mit Beratungen und einem Betreuungsangebot zur Seite.

von Lisa Pandelaki

Geschickt navigiert Karl seinen kleinen dunkelgrünen Rollstuhl durch den bunt dekorierten Raum. Präzise drehen seine Hände die mit Käfern- und Bienenaufkleber geschmückten Räder nach vorne oder hinten. Dabei schaut er sich interessiert um und sucht Blickkontakt mit den Erwachsenen um ihn herum. Karl ist zwei Jahre alt, doch körperlich auf dem Stand eines vielleicht zehn Monate alten Kindes, sagt seine Mutter. Grund dafür ist ein seltener Gendefekt. "Mir persönlich war nach der Geburt eigentlich sofort klar, irgendetwas ist anders", erzählt Lisa K. Sie hat zu dem Zeitpunkt bereits drei Kinder mit ihrem Mann. Bei Karl diagnostizieren die Ärzte das Kat6B-Syndrom, eine seltene genetische Störung, die sich auf die Entwicklung des Nerven- und Skelettsystems auswirkt. Vielleicht wird Karl irgendwann selbstständig laufen können, sprechen jedoch eher nicht. Vieles wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen. Eine Herausforderung für die Familie. Über eine Freundin erfährt Lisa von der Lebenshilfe Dithmarschen e.V. und nimmt wenige Monate nach Karls Geburt Kontakt auf.

Entlastung durch stundenweise Betreuung

Ein kleiner Junge sitzt neben Erwachsenen auf einer Spielmatte und betrachtet sich selbst im Spiegel. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Die Betreuung kann in den Räumen der Lebenshilfe, aber auch bei den Familien Zuhause stattfinden.

Beim Familienunterstützenden Dienst (FuD) sind Familien mit Kindern mit Behinderungen in allen Altersklassen willkommen. Neben der Beratung zu Anträgen und Finanzierungsmöglichkeiten gibt es hier stundenweise Betreuung für Menschen mit Behinderung. "Wir waren am Anfang total gut aufgestellt durch das Klinikum, in dem wir waren, weshalb die Anträge nicht unsere Priorität waren, wo wir Hilfe brauchten. Sondern wir haben dann wirklich die Betreuungen gesehen, die uns unheimlich entlasten", erzählt Lisa. Die Betreuung sei am meisten gefragt, gibt Annika Reimers, eine der Koordinatorinnen, Einblick in die Arbeit des FuD. "Auch die Betreuung der nicht beeinträchtigten Geschwisterkinder kann ja mit geleistet werden, damit wirklich auch mal so ein Freiraum ermöglicht wird. Aber auch Haushaltshilfen werden sehr häufig gewünscht."

Zweisamkeit für Lisa und ihren Mann

Karl wird in der Regel einmal pro Woche für rund vier Stunden betreut. Die Zeit nutzen Lisa und ihr Mann vor allem für sich als Paar. Sie gehen Kaffee trinken, entspannen sich und tanken Kraft für den Alltag. Derweil wissen sie ihren Sohn in guten Händen. Seine ehrenamtliche Betreuerin spielt mit ihm Zuhause, in den Räumen der Lebenshilfe in Meldorf (Kreis Dithmarschen) oder bei schönem Wetter einfach draußen. "Sie beschäftigt sich einfach total schön mit ihm", freut sich Lisa. Heute hat Karl allerdings nicht so viel Lust zu spielen. Seine reguläre Betreuerin möchte nicht vor die Kamera. Und auch wenn Louisa, eine andere Ehrenamtlerin, sich alle Mühe gibt, Karl für die Duplo-Steine auf dem Spielteppich zu begeistern, bleibt der Zweijährige lieber nahe bei seiner Mutter oder untersucht die Fernsehkamera samt Kameramann.

Kosten können über Pflegekasse abgerechnet werden

Zwei Frauen sitzen auf dem Boden und zwischen ihnen sitzt ein kleiner Junge auf einem Spielteppich. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Umgeben von einigen fremden Erwachsenen bleibt Karl lieber nah bei seiner Mutter.

Eine Betreuungsstunde kostet normalerweise 20,50 Euro. Bis zu sechs Stunden monatlich können über den Entlastungsbetrag oder die Verhinderungspflege bei der Pflegekasse abgerechnet werden. Besonders wenn es erst später im Leben eines Kindes zu Beeinträchtigungen kommt, wissen Eltern oft nicht, was sie alles über die Pflegekasse abrechnen können, erklärt Annika Reimers. Aktuell nutzen 52 Familien das Angebot in Meldorf. "Das Alter ist sehr unterschiedlich. Karl ist jetzt für uns hier ein sehr junges Kind. Wir haben auch viele junge Erwachsene, die betreut werden und Jugendliche."

Viel mehr Ideen

Und eigentlich würden sie gerne noch so viel mehr machen. "Unsere Kapazitäten sind sehr begrenzt, und wir hätten noch viel mehr Ideen, was wir für Familien machen können, die ein Kind mit Beeinträchtigungen haben oder auch einen jungen Erwachsenen", sagt Annika Reimers und erzählt von einem jungen Mann, der sich beispielsweise einen Flirt-Kurs wünscht. "Auch das ist eine Unterstützung für Familien, weil auch ein junger Mann mit einer geistigen Beeinträchtigungen möchte dieses Thema nicht mit der Mutter besprechen, sondern braucht auch seine Peergroup und seine Ansprechperson in so einem sicheren Rahmen."

Auch ein Coaching bei Eheproblemen durch die hohe Belastung oder bei Familienkonflikten wäre vorstellbar, eine wochenweise Betreuung in den Sommerferien, Freizeitspaß-Aktionen oder eine integrative Eltern-Kind-Gruppe. "Wir sind pädagogisch kreativ, können aber unsere ganzen Ideen gar nicht angehen, weil es uns einfach an Kapazitäten für Personalstunden fehlt", fasst Annika Reimers zusammen. Denn auch wenn die stundenweise Betreuung für Eltern schon eine große Entlastung bringen kann, ist es doch nur ein Baustein auf dem Weg zu mehr Lebensqualität.

Jede Entlastung wird gerne angenommen

Lisa nickt bei allen Ideen, die Annika Reimers aufzählt. Auch wenn sie ein gutes familiäres Netz hat, kann sie jede Entlastung gut brauchen. Für heute hat Karl aber genug. Lisa setzt ihn wieder in seinen Rollstuhl und zieht den Reißverschluss seiner Jacke hoch. Dann rollt sie ihn aus den Räumen der Lebenshilfe raus in den kühlen Abend.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 11.12.2023 | 19:30 Uhr

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