Stand: 31.07.2018 19:50 Uhr

Wille: "Journalisten leben eben auch in einer Blase"

von Caroline Schmidt

Viele fordern, dass sich die Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in allen politischen Debatten neutral verhalten sollten. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Die SRF-Moderatorin Susanne Wille spricht darüber im ZAPP Sommerinterview.

ZAPP: Zurzeit gibt es eine große Debatte wie sich Journalisten des öffentlichen Rundfunks auf Twitter verhalten sollen – was geht aus Ihrer Sicht und was geht nicht?

Susanne Wille: In der Öffentlichkeit werde ich primär in meiner Rolle als Polit-Moderatorin des Schweizer Fernsehens wahrgenommen. Und da alles, was ich in den sozialen Medien tue, öffentlich ist, muss ich dort auch meiner Rolle als Journalistin gerecht werden.

Und wie wird man das am besten?

VIDEO: "Journalisten leben eben auch in einer Blase" (8 Min)

Indem man eben parteiische Aussagen oder diffamierende Aussagen sicher vermeidet und sich vielleicht auch mit der persönlichen Meinung zurückhält. Das bedeutet aber nicht, dass man keine Haltung hat. Man kann ja Haltungen haben zu einem Thema, aber vielleicht überlegt man sich frühzeitig, würde ich das, was ich jetzt in den sozialen Medien sage, auch auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion vertreten? Man sollte also emotionale Schnellschüsse vermeiden und immer überlegen, macht meine Aussage Sinn?

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang Neutralität?

Ich weiß es ist vielleicht ein bisschen paradox, aber als Schweizerin mag ich den Begriff 'Neutralität' oder 'neutral sein' gar nicht besonders. Ich benutze eher einen anderen Begriff: Ich sage gerne 'sachgerecht'. Das ist vielleicht nicht so attraktiv, aber präziser. Sachgerecht bedeutet nämlich: Ich darf eine Haltung haben, aber ich muss gleichzeitig immer darauf achten, dass auch die Gegenseite das beste, wichtigste, richtigste Argument ins Feld führen kann. Ein Bericht darf keine Schlagseite haben - egal in welche Richtung.

Sie sagen: Haltung ja, Parteilichkeit Nein. Es gab jetzt aber in der Schweiz im vergangenen Jahr einen Abstimmungskampf um den öffentlichen Rundfunk, in dem sie ganz klar parteilich waren, weil sie für den Rundfunk eingetreten sind. Wie geht das zusammen?

Das war eine Gratwanderung. Das gebe ich zu. Ich habe immer gewusst, ich darf keine Abstimmungsempfehlung abgeben. Gleichzeitig konnte ich bei einem solch wichtigen Thema nicht abseits stehen. Es ging ja immerhin um Sein oder Nichtsein eines öffentlichen Medienhauses. Und ich bin persönlich der festen Überzeugung, dass eine funktionierende Demokratie einen unabhängig finanzierten Journalismus, einen kritischen Journalismus braucht. Und dafür wollte ich eintreten. Ich habe versucht, dieses Dilemma aufzulösen, indem ich darüber gesprochen habe, warum mir an dieser Form des Journalismus liegt, ohne dass ich gesagt habe, wie man aus meiner Sicht konkret abstimmen sollte.

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Sie haben ja auch nicht nur geredet, sondern auch ganz praktisch etwas getan. Was haben Sie alles gemacht in der Zeit?

Ich habe mir überlegt, was kann ich dazu beitragen, um ein größeres Verständnis für unsere Arbeit zu schaffen. So habe ich zum Beispiel für die sozialen Medien Videos "Behind the scenes" gemacht, wo ich erklärt habe, wie eine Recherche zustande kommt oder warum wir dieses oder jenes Thema auswählen. Ich wollten damit einen Einblick geben ins Tagesgeschäft. Ich bin aber auch auf vielen Podiumsdiskussionen gewesen, habe Vorträge gehalten - immer in der Hoffnung deutlich zu machen, worum es eigentlich geht in dieser Abstimmung: Nämlich nicht um 'Gebühren ja oder nein', sondern um die Frage, warum sich die Schweiz ein öffentliches Medienhaus leisten muss, einen unabhängig finanzierten Journalismus, der eben für das Funktionieren unseres Landes von entscheidender Bedeutung ist.

Was hat aus Ihrer Sicht am meisten überzeugt?

Ich habe in den vielen direkten Gesprächen vor allem festgestellt, dass wir uns noch viel mehr erklären müssen. Wir Journalisten leben eben auch in einer Blase. Und das meine ich jetzt nicht parteipolitisch oder ideologisch. Wir setzen einfach zuviel voraus und denken, dass Zuschauerinnen und Zuschauer verstehen, wie wir Themen auswählen oder Gäste oder warum wir zum Beispiel ein Korrespondentennetz brauchen mit Leuten vor Ort, die das Geschehen einordnen.

70 Prozent der Schweizer haben sich in der Volksabstimmung am 4. März nun für den öffentlichen Rundfunk ausgesprochen. Und trotzdem gibt es jetzt viele Reformen, trotzdem wird gekürzt. Warum?

Weil das eine das andere nicht ausschliesst. Es hat nach der Abstimmung Befragungen gegeben, und eine Mehrheit jener, die gegen die Abschaffung des Gebührensystem waren, hat gesagt: Wir sind für den Rundfunk, aber wir möchten, dass ihr euch bewegt. Wir möchten, dass es Reformen gibt, dass auch das Programm ein bisschen reduziert wird. Und dem müssen wir jetzt gerecht werden.

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Inwiefern verändert sich jetzt das Schweizer Fernsehen?

Konkret werden in den nächsten Jahren hundert Millionen Franken gespart und 250 Stellen abgebaut. Für mich als Polit-Journalistin ist aber bemerkenswerter, was im Innern passiert. Wir krempeln momentan die ganze Struktur der Nachrichtensendungen um. Wir setzen auf mehr Fachwissen, auf mehr Fachredaktionen, auf mehr Dialog mit dem Publikum, auf mehr Social Media . Alles Aktivitäten, um eben auch nahe beim Publikum zu sein und zu zeigen, dass wir verstanden haben.

Haben Sie den Eindruck dass diese Bemühungen schon fruchten?

Die Abstimmung hat eine Entspannung gebracht, aber der Druck hält an. Wir müssen weiterhin legitimieren, wieso wir Gebühren bekommen, während private Medienhäuser zum Teil eben keine Gebühren bekommen. Es ist eher eine Verschnaufpause und ändert nichts an der grundsätzlichen Legitimationfrage, die weiterhin gestellt wird.

Dieser Abstimmungskampf war anstrengend, auch weil die Debatte oft auch giftig geführt wurde. Gab es auch Momente, die sie noch in guter Erinnerung haben?

Ich würde sogar sagen, die schönen Erlebnisse hallen nach. Wir hatten noch nie zuvor in der Schweiz eine so lebendige Debatte über den Journalismus, über die Medien, über die Frage, was das Schweizer Radio und Fernsehen überhaupt tun oder lassen soll. Man hat gemerkt, die Menschen interessiert das auch, es wurde oft sehr emotional, denn sie wollten wissen, was mit ihrem Rundfunk passiert - und das ist doch etwas sehr Positives, das man aus dieser Zeit mitnimmt. Es klingt immer noch nach.

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