Europas öffentlicher Rundfunk unter Beschuss
Hinweis der Redaktion: Uns ist ein Fehler unterlaufen. In einer früheren Version des Textes stand, dass nur noch 7% der Briten den Medien vertrauen und dass dies einer der schlechtesten Werte in Europa ist. Das ist falsch. Der Anteil der Briten, die den Nachrichten in den Medien vertrauen, ist um sieben Prozentpunkte auf 43% gesunken. Damit liegt GB im europäischen Mittelfeld. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. Die entsprechenden Stellen in den Filmen werden noch korrigiert.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) steht nicht nur in Deutschland unter starkem öffentlichen Druck, auch in anderen europäischen Ländern gibt's Kritik - zum Teil wesentlich massiver. In sozialen Netzwerken, in Foren und auf Internetplattformen sind sachliche Diskussionen kaum möglich, viele Gegner entladen dort ihre allgemeine Wut auf die "Mainstream-Medien", denen sie nicht nur bei der Flüchtlingsberichterstattung Einseitigkeit, Willfährigkeit und Lüge vorwerfen. Mit dem Anwachsen populistischer Bewegungen in Europa hat diese Wut inzwischen eine politische Vertretung gefunden und wird von dieser befeuert.
Populisten blasen zum Angriff auf öffentlich-rechtliche Medien
So agitiert Geert Wilders in den Niederlanden, "das Gros des öffentlichen Rundfunks ist links und falsch! Die Journalisten, die Programme sind alle gebrainwashed". Marine Le Pen spricht in Frankreich von "Karikaturen, Wahrheitsverdrehungen, Manövern". Österreichs FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache warnt vor "Zwangsgebühren", die man kritisch sehen müsse, "wenn einem die Freiheit viel wert ist und wichtig ist - und das ist es uns". Auch hierzulande werden politisch oder ökonomisch motivierte Attacken gegen den ÖRR gefahren, um diesen zurechtzustutzen. Die Vielfalt der abgebildeten Meinungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Aufgabe und Leistung für die Demokratie wird hingegen gerne verschwiegen oder negiert.
Caroline Schmidt, Gabriella Balassa, Daniel Bouhs und Stefanie Groth haben in ganz Europa Rundfunkanstalten und deren Gegner besucht und ergründet, wie die verschiedenen Sender mit der Kritik umgehen.
England: Brexit-Diskussion sorgt für Vertrauensverlust in Medien
Im Urland des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in England, steht die BBC unter massivem Beschuss. Zu teuer, zu schwerfällig, politisch einseitig - das sind die Vorwürfe seit Jahren. Dabei hat sie sich inzwischen komplett reformiert, die Zahl der Mitarbeiter verkleinert, sich eine neue Führungsstruktur gegeben. Doch die Kritik reißt nicht ab. Private Rundfunkveranstalter wollen an der Finanzierung teilhaben, die konservative Regierung will die BBC weiter verschlanken. Zudem ergab eine aktuelle Reuters-Studie, dass nur noch 43% der Briten den Nachrichten in den Medien vertrauen - ein Rückgang um 7 Prozentpunkte. Ein Grund dafür: die Brexit-Diskussionen.
Kritiker "versuchen dir etwas anzuhängen, wenn du nicht in ihrem Sinne berichtest"
Das Land ist nervös, der BBC-Moderator Nick Robinson erzählt: "Die Leute reagieren auf den Ton meiner Stimme: Warum ich so traurig klingen würde, wenn es um den Austritt aus der EU geht. Oder aber so euphorisch. Egal von welcher Seite, sie versuchen dir etwas anzuhängen, wenn du nicht in ihrem Sinne berichtest." Und ordnet die Kritik aus Gesellschaft und vor allem der Politik auch politisch ein: "Unsere Kritiker sehen ihre Angriffe als einen wesentlichen Teil ihrer politischen Strategie. Um zu siegen, müssen sie die Leute davon überzeugen, dass sie den Nachrichten nicht glauben können."
Schweiz: Kritiker erreichen Volksabstimmung über ÖRR
Wie man mit dieser Strategie den öffentlichen Rundfunk vielleicht sogar in die Knie zwingen kann, zeigt ein Blick in die Schweiz. Dort steht im März eine Volksabstimmung zur Abschaffung des Rundfunkbeitrags und damit letztendlich zur Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an. "No Billag" heißt die Initiative der Schweizer Rechtspopulisten der SVP und der Jungliberalen, die dem Schweizer Rundfunk politische Einflussnahme vorwerfen und beim Rundfunkbeitrag von einem "staatlichen Zwangsabonnement" sprechen.
Alle Medien sollen sich im freien Markt behaupten
Der Wunsch der Kritiker ist es, dass alle Medien sich auf dem freien Markt behaupten sollen. Ihre Idee: Ist der Schweizer Rundfunk aufgelöst, bleibt mehr Geld für die anderen Medien übrig. Beim Schweizer Rundfunk sieht man das mit großer Sorge. "Die Frage ist, ob dieser sogenannte freie Markt dann auch wirklich die Leitplanken setzt und die Regeln beinhaltet für kritischen, unabhängigen Journalismus", meint Sandro Brotz, stellvertretender Leiter der "Rundschau", eines Polit-Magazins, das für seine investigativen Recherchen bekannt ist. Inwieweit seine Sorgen aber das Gros der Schweizer erreichen kann, ist fraglich. Möglicherweise schaffen sie in diesem Jahr ihren öffentlichen Rundfunk per Volksabstimmung ab.
Ungarn: Auf dem Weg vom ÖRR zum Staatsfunk
In Ungarn hingegen ist das öffentlich-rechtliche System bereits tot. Nicht offiziell. Erst jüngst lobte Ungarns Premier Viktor Orbán in der "Bild" die Pressefreiheit in seinem Land. Doch mit der Machtübernahme der Fidesz, der Orbán-Partei, begann der Umbau des Rundfunks zu einem Staatsrundfunk mit Verlautbarungsanspruch. Andere Meinungen als die der Regierungsparteien bekommen kaum Raum, einer der führenden Oppositionspolitiker ist nach eigenen Worten seit 2014 nicht mehr zum Interview geladen worden, weder im Radio noch im Fernsehen.
Untersuchung zeigt Unausgewogenheit in Nachrichtensendungen
Eine Untersuchung der Nachrichtensendungen der öffentlichen Sender ergibt, dass regelmäßig die gebotene Ausgewogenheit verletzt wird. "Es wird nur ein Standpunkt dargestellt - und das ist der Standpunkt der Regierung", erklärt die Wissenschaftlerin Dr. Márta Bencsik. Während des Umbaus verloren hunderte Journalisten ihre Arbeit. Ihnen wurde gekündigt oder aber sie gingen freiwillig, weil sie unter den neuen Bedingungen nicht arbeiten konnten und wollten. "Die Anforderungen haben sich geändert. Man brauchte Journalisten oder Redakteure für die Nachrichtensendungen, die eher etwas ausführen und keine Fragen stellen. Man kann schon sagen, die sind eher Mikrophonständer", so die eher resignierte Feststellung der Expertin. Jetzt berichtet der Rundfunk vor allem über Flüchtlinge. "Illegale Migranten" heißen sie offiziell - und im Wording des öffentlichen Rundfunks.
Niederlande: Anstalten sind als Vereine organisiert und subjektiv
Ein ganz anderes System hingegen findet man in den Niederlanden. Und es scheint, als sei hier die Kritik zwar präsent, aber lange nicht so grundsätzlich und das System insgesamt gefährdend. Der öffentliche Rundfunk, der Nederlandse Publieke Omroep (NPO), wird von insgesamt zehn Anstalten beliefert, die die Fernseh- und Hörfunkkanäle mit Programm bestücken. Die Anstalten sind als Vereine organisiert, je mehr Mitglieder sie haben, desto mehr Sendezeit wird ihnen zugeteilt. Geleitet und geführt werden sie durch Überzeugungen, so haben die größeren Weltanschauungen alle ihre eigenen Anstalten, z.B. die Katholiken, die Protestanten oder die Sozialisten.
Meinungsvielfalt durch Vielfalt der Vereine sichergestellt
"Das bedeutet, dass Rundfunkanstalten bei uns nicht wie bei Ihnen (in Deutschland; anm.d. Red.) oder in England zum Beispiel balanced, objektiv, ausgewogen sein müssen. Aber dass all diese Organisationen parteilich sind, ihre eigenen Ideen und ihren eigenen Geschmack und Kultur vertreten. Und zusammen hat man dann diese Pluralität", erklärt Jo Bardoel, Medienprofessor der Universität Nijmegen. Doch auch diese Anstalten kämpfen mit der Konkurrenz im Netz.
Keine generelle Systemkritik in den Niederlanden
Wenn den Mitgliedern das Programm nicht mehr gefällt und sie die Anstalten nicht mehr unterstützen, fehlen diesen Unterstützer und finanzielle Mittel. Sie müssen also einen Balanceakt aschaffen, ihre Mitglieder zu halten und gleichzeitig ein Programm zu gestalten, das viele Zuschauer sehen oder hören wollen. "Die große Herausforderung für Anstalten und auch für Journalisten ist, dass man diese Publikumsbeteiligung auf eine neue Weise gestalten muss. Das ist nicht einfach", resümiert Medienexperte Bardoel. Aber es scheint zu funktionieren, abschaffen will das System in den Niederlanden, anders als in vielen anderen Ländern Europas, keiner.