András Pethö: "Eine riesige Propagandamaschine"
András Pethö ist einer der bekanntesten Investigativjournalisten Ungarns. Er arbeitet für das Enthüllungs-Portal Direkt36.hu, das von regierungsnahen Medien diffamiert wurde, weil es sich über Crowdfunding finanziert, und einer der Spender der ungarisch-amerikanische Milliardär George Soros ist. Im ZAPP-Sommerinterview spricht Pethö über den Niedergang der freien Presse in Ungarn, den Propagandaapparat der Regierung und den Grund für seine anhaltend gute Laune.
ZAPP: Herr Pethö, die Rechtspopulisten greifen in Ungarn die Medien seit Jahrzehnten an. Welche Attacken fanden Sie bislang am bedrohlichsten?
András Pethö: Es gibt immer wieder Spannungen zwischen Journalisten und Politikern, vor allem dann, wenn Journalisten einen guten Job machen. Mich haben schon viele Politiker angeschrien, auch von anderen Parteien. Ich würde das nicht als bedrohlich bezeichnen. Schwierig ist allerdings die Entwicklung der vergangenen acht Jahre, also seit Viktor Orbán und seine Partei Fidesz an der Macht sind. Es hat damit angefangen, dass sie gegen unabhängige Medien vorgegangen sind. Dann haben sie Schritt für Schritt einen großen Teil der Medienlandschaft übernommen. Zuerst den öffentlichen Rundfunk und dann auch private Unternehmen.
Wie versuchen sie die Anzahl der unabhängigen Medien zu reduzieren?
Da gab es verschiedene Methoden. Der öffentliche Rundfunk war ein leichtes Opfer. Da er in Ungarn über Steuern finanziert wird, hatte die Regierung ohnehin eine gewisse Kontrolle über den Sender. Als Orbán an die Macht kam, verdrängten sie die Journalisten, die noch richtig journalistisch arbeiteten, also harte Fragen stellten, die Mächtigen zur Rechenschaft zogen – und ersetzten sie durch Mitarbeiter, die loyal sind zur Regierung. Das war der erste und leichteste Schritt.
Und der zweite Schritt?
Im zweiten Schritt gingen sie gegen die privaten Medienunternehmen vor. Einige wurden von Leuten übernommen, die Orbán und seiner Regeriung nahe stehen. Jetzt haben sie daraus einen mächtigen Propagandaapparat gebaut, der manchmal auch einzelne, unabhängige Journalisten attackiert.
Wie funktioniert dieser Apparat?
Er unterstützt recht offen die Ziele der Regierung. Er benutzt dieselbe Rethorik, manchmal sogar dieselben Phrasen. Und er geht konzertiert vor. Es ist nicht nur eine Internetseite oder ein Fernsehprogramm, es sind viele, die gleichzeitig agieren: Sie veröffentlichen alle zur selben Zeit, es sieht richtig orchestriert aus. Das fiel besonders während des Wahlkampfes auf. Da ging es in allen Medien fast nur noch um Migration. Und das hat der Regierung ja sehr gehofen. In dem Moment, als die Regierung das Land mit Anti-Soros-Plakaten überflutete, attackierten diese Medien George Soros und seine Organisationen. Da konnte man sehen, wie eng sie zusammenarbeiten.
Sie sagten, sie attackieren auch die unabhängige Presse. Was machen die genau?
Manchmal werden einzelne Journalisten oder die wenigen noch unabhängigen Medienorganisationen von diesem Propagandaapparat attackiert. Da gibt es einen recht bekannten Vorfall kurz nach der Wahl: Ein regierungsnahes Magazin namens Figyelo veröffentlichte eine Liste mit sogenannten Soros-Söldnern. Auch unser Name stand darauf. Ganz klar ein Versuch, diese Menschen einzuschüchtern.
Wie gefährlich ist es denn, wenn der eigene Name plötzlich in einer solchen Hasskampagne auftaucht?
Wir erleben eine aufgeheizte Rhetorik, aber ich hoffe, dass hier keine Linien überschritten werden, und es irgendwann zur Gewalt kommt. Die verbalen Attacken müssen wir aber wohl akzeptieren. Der Propagandaappart wird nicht seine Botschaften ändern, nur weil wir nachweisen, dass sie falsch oder zum Teil falsch sind. Wir können nur einfach weiter unseren Job machen, transparent sein und unseren Lesern und Zuschauern erklären, was wir tun und warum.
Wie viele unabhängige Medien gibt es noch in Ungarn?
Da gibt es noch einige. Aber es sind deutlich weniger geworden in den vergangenen acht Jahren. Sie haben Nepszabadsag, die größte Oppositionszeitung, von einem Tag auf den anderen geschlossen. Ein kleines aber einflussreiches Wochenmagazin wurde übernommen von einer Geschäftsfrau, die loyal zur Regierung steht. Sie hat es zu einem Propagandablatt gemacht. Also die Zahl der unabhängigen Medien nimmt ab.
Die unabhängigen Medien werden aufgekauft. Warum ist das so einfach?
Viele ausländische Medienhäuser haben den ungarischen Markt verlassen in der Finanz – und Medienkrise. Ihre Zeitungen waren dann leichte Opfer. Es ist sehr schwer am ungarischen Markt zu überleben. Denn abgesehen von den globalen Problemen – also die wegbrechenden Werbeeinnahmen, die nun zu Google und Facebook fließen – ist Ungarn ein sehr kleiner Markt und eben auch ein sehr kleiner Werbemarkt. Der wird obendrein verzerrt durch eine Regierung und regierungsnahe Unternehmen, die ihre Werbegelder nur noch an Medien ausschütten, die Freunde der Regierung sind. Denen geht es sehr gut. Wenn man aber kein Freund der Regierung ist, bekommt man kein Geld mehr. Man wird leiden und irgendwann entweder schließen oder verkaufen müssen.
Eine schwierige Situation, und doch wirken Sie so entspannt. Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht?
Ich glaube, dass es in Ungarn immer noch ein starkes Bedürfnis gibt nach echten Geschichten und echtem Journalismus. Wir sind eine kleine Organisation. Unsere Erfahrung ist, dass die Öffentlichkeit oder zumindest ein Teil davon wirklich schätzt, was wir tun. Wir müssen die Bindungen zu diesem Publikum jetzt stärken, denn diese Menschen sind es, die den Journalismus aufrecht erhalten werden. Zu denen müssen wir gehen und sagen: Wenn ihr diesen Journalismus noch wollt, bitte zahlt dafür und unterstützt unsere Arbeit.