Der letzte Text der ARD
Das, was Sie hier lesen, könnte schon bald der Vergangenheit angehören: Ein Kommentar in Textform, länger als zwei oder drei Absätze, veröffentlicht auf einer Webseite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn die Verleger, angeführt vom Vorsitzenden ihres Bundesverbandes, Springer-Chef Mathias Döpfner, sind nah dran eine Kernforderung ihrer jahrelangen Auseinandersetzung mit der ARD durchzusetzen: Nämlich, dass es künftig keine "Presseähnlichkeit" des Öffentlich-Rechtlichen Angebots mehr geben dürfe - und der Rundfunk die Länge seines Textangebotes daher bitte begrenzen möge.
In der Vergangenheit kursierten dazu unterschiedliche Vorschläge, doch klar ist: Am liebsten wäre es dem Verbandsvorsitzenden, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Netz künftig aussehen würde wie die Startseite des ZDF.
Begrenzte öffentlich-rechtliche Reichweite
Das Problem an der Sache: Gehen Sie auf heute.de, wenn Sie sich über das aktuelle Nachrichtengeschehen informieren wollen? Falls Ihre Antwort "nein" lautet, dann verhalten Sie sich wie die offenbar überwiegende Mehrheit der Medienkonsumenten in Deutschland. Bei den Nachrichten-Apps landet die "Tagesschau" laut einer Studie gerade mal auf Platz 13, die App von "ZDFheute" sogar nur auf Platz 23. Und dabei gehörte das ZDF sogar mal zu den Online-Pionieren hierzulande: Die erste Mediathek des Senders ging 2001 online – lange vor YouTube.
Text bleibt das schnellste Online-Medium
Das aktuelle Zeitgeschehen teilt sich auch im digitalen Zeitalter am besten in Textform mit. Niemand verschafft sich einen schnellen Überblick, indem er oder sie die wichtigsten Nachrichten in Ein-Minuten-Videos guckt. Das lässt sich auch an den momentan erfolgreichsten Nachrichtenangeboten ablesen: Zwar setzen auch "Bild.de" und "Spiegel Online" Videos ein, die Übersichten und Artikel bestehen aber zum Großteil aus lesbaren Inhalten, die sich schnell erfassen lassen.
Auch die von ihren Machern aus dem Hause Springer kürzlich als überaus erfolgreich eingestufte News-App "Upday" für Samsung Endgeräte, die für ihre Nutzer eine Auswahl von Top News mit Nachrichten nach persönlichen Vorlieben kombiniert, setzt weit überwiegend auf geschriebene Artikel.
WDR beschränkt sein Text-Angebot
Um den jahrelangen Streit mit den Verlegern beizulegen, hat WDR-Intendant Tom Buhrow seinem Sender nun auferlegt, das Angebot so umzubauen, dass es für die Zeitungshäuser künftig nichts mehr zu meckern gibt. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier bezeichnet dieses Vorgehen als "Die große Online-Defensive des WDR" und spricht davon, der Sender kastriere "sein Online-Angebot aus Rücksicht auf die kommerziellen Interessen der Zeitungsverleger".
"Es ist eine merkwürdig duckmäuserische Haltung und eine merkwürdige Missachtung der Beitragszahler. Denn die haben ein Recht, für das Geld, das sie zahlen, den bestmöglichen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu bekommen - und nicht eine Version, die unter Berücksichtigung kommerzieller Interessen entsprechend abgespeckt ist." Stefan Niggemeier, Medienjournalist
Wer vertritt das Publikumsinteresse?
Damit ist ein Problem angesprochen, das aus einem weitgehenden Textverzicht der Öffentlich-Rechtlichen im Internet folgt: Was, wenn die Beitragszahler nicht das bekommen, was sie eigentlich erwarten? Wie schon bei den aus Sicht der Nutzer überaus nervigen "Verweildauern" und "Depublikationen" dürfte den meisten nicht bewusst sein, warum öffentlich-rechtliche Beiträge für die sie aus ihrer Sicht bereits bezahlt haben, aus den Mediatheken und Online-Angeboten verschwinden - oder warum der Rundfunk sich im Netz textlich limitiert.
Für die ARD wäre es mit Textbeschränkungen in Zukunft sehr viel schwieriger, sich im aktuellen Online-Nachrichtengeschäft zu behaupten. Wer wartet bei Breaking News schon gerne, bis die Tagesschau ein Video online hat? Was sähe ein Live-Ticker mit Textbegrenzung aus? Wie sollen Magazinsendungen wie ZAPP online über aktuelle Weiterentwicklungen ihrer eigenen Recherchen berichten, wenn sie gerade keine Sendung haben? Wie berichtet der öffentlich-rechtliche Teil von Rechercheverbünden zukünftig jenseits der "Tagesschau" über Stories wie die "Panama Papers"? Mit lauter kleinen Video-Clips?
Video-Trend beruht auf kommerziellen Interessen
Der aktuelle Video-Trend, auf den auch Tom Buhrow setzt, ist darüber hinaus zum Großteil von den Interessen der werbetreibenden Wirtschaft befeuert, die Abspielflächen sucht - und von den Social Media Portalen, die diese anbieten. Weil viele Verlage ums Überleben kämpfen, müssen sie bei diesem Buhlen um Werbekunden vertreten sein. Doch mit Publikumsinteressen im Informationsbereich hat all das wenig zu tun. Der einflussreiche amerikanische Publizist Josh Marshall fasste die Situation kürzlich so zusammen:
"There is basically no publisher in existence involved in any sort of news or political news coverage who says to themselves, my readers are demanding more of their news on video as opposed to text. Not a single one. The move to video is driven entirely by advertiser demand." Josh Marshall, Publizist
USA: Verlagssterben ohne Öffentlich-Rechtliche
Die aktuelle Entwicklung könnte also darauf hinauslaufen, dass die Öffentlich-Rechtlichen weiter an Bedeutung in der Online-Welt verlieren, während sich die verbliebenen Nutzer zu Recht fragen, warum sie für amputierte Digital-Angebote Rundfunkbeiträge bezahlen. Man muss kein Prophet sein, um zu erwarten, dass die mediale und öffentliche Debatte daher langfristig den Sinn und Zweck des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks erst Recht infrage stellen wird.
Ob all dies den Verlagen in ihrem unzweifelhaft realen Existenzkampf hilft, steht dagegen in den Sternen. Für die USA, in denen es lediglich einen völlig marginalisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, erwartet Josh Marshall jedenfalls nichts weniger als einen "Digital Media Crash". Es gäbe schlicht nicht genug Werbeeinnahmen für traditionelle Medienhäuser, weil Google und Facebook schon den Großteil des Kuchens unter sich aufteilten. Viele Verlage würden daher schlicht nicht überleben.
Wer macht das bestmögliche Angebot?
Am Ende könnten die Nutzer also in jeder Hinsicht im Regen stehen: Ohne ein wirklich gut nutzbares Online-Angebot von ARD, ZDF und Deutschlandradio, aber auch mit einer erheblich eingeschränkten Auswahl an Online-Qualitätspresse, die zudem darauf angewiesen sein wird, ihre Inhalte mithilfe von Bezahlschranken zu monetarisieren. Profitieren dürften von so einem Szenario lediglich die großen Internet-Konzerne - und außerdem die Verbreiter von Falschnachrichten und gezielter Propaganda.
Dass diese Entwicklung für ein demokratisches Gemeinwesen hilfreich sein wird - das auf einen gut informierten öffentlichen Diskurs angewiesen ist - darf dagegen getrost bezweifelt werden. Mit Textbeschränkungen für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ist niemandem geholfen. Stattdessen sollten wir endlich eine breite gesellschaftliche Debatte über die Zukunft von Qualitätsjournalismus führen - und damit auch: seiner Finanzierbarkeit.