Stand: 06.06.2018 20:21 Uhr

Demonstrieren gegen die AfD? Aber sicher!

In der vergangenen Woche ist zunächst auf Twitter eine Diskussion darüber entbrannt, ob Journalistinnen und Journalisten an der Anti-AfD-Demo in Berlin hätten teilnehmen dürfen oder sollen. Der Leiter des Leipziger Büros der ZEIT, Martin Machowecz, zeigte sich irritiert

Die Antworten waren ebenso zahlreich wie unterschiedlich und können auf Twitter nachgelesen werden. Besonders bemerkenswert erscheint mir aber folgender Kommentar des ZEIT Online Kollegen Tilman Steffen, der klipp und klar sagt, "wer demonstrieren will, sollte kein Journalist sein":

ZAPP Autor Andrej Reisin. © Christian Spielmann Foto: Christian Spielmann
ZAPP Autor Andrej Reisin.

Ohne Zweifel ein starkes Statement, das meiner Ansicht nach die ganze Schieflage dieser Debatte aufzeigt. Um es klar zu sagen: Ich war selbst nicht auf der Anti-AfD-Demo in Berlin, aber ich hätte es sein können, und glaube trotzdem in keiner Weise, dass ich den falschen Beruf habe. Ich bin fest davon überzeugt, dass Journalistinnen und Journalisten gegen die AfD demonstrieren dürfen. Dass sie nicht an Demonstrationen teilnehmen können, über die sie selbst berichten, ist dagegen eine Selbstverständlichkeit, die in der Diskussion teilweise allerdings vermischt wurde.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Im Grunde wird hier die uralte Objektivitäts- oder Neutralitätsdebatte am Beispiel Anti-AfD-Demos neu aufgemacht. Schließlich ist es eine der Grundfragen und auch Voraussetzungen für Journalisten, dass man unabhängig von der eigenen Haltung über Dinge berichten können muss. Dass dies in der Realität unmöglich ist - und "objektiver Journalismus" deswegen eine Chimäre - ist auch keine Neuigkeit. Um zu verhindern, dass man in Berichten nur die eigene Sicht darlegt, hilft es daher, offen nach allen Seiten zu recherchieren, die besten Argumente der Gegenseite zu hören und wiederzugeben - und mögliche eigene Interessenskonflikte transparent darzustellen.

Doch vor diesem Dilemma stehen Journalistinnen und Journalisten wie gesagt andauernd. Und keinesfalls herrscht im deutschen Journalismus ein Reinheitsgebot, wonach zum Beispiel Fans eines bestimmten Fußballvereins nicht über ihren Lieblingsclub oder auch den Erzrivalen berichten dürften. Vegetarier berichten über die Fleischindustrie, umweltpolitisch interessierte Kolleginnen und Kollegen decken entsprechende Skandale und Verschmutzungen von Industrie und anderen auf - und eine nahezu unüberschaubare Menge an Eltern mit journalistischem Hauptberuf schreibt und sendet über Kitas, Schule und Bildungspolitik. Die eigene Involviertheit wird dabei häufig sogar als besonderes Qualitätsmerkmal ("Ich kenne mich aus") hervorgehoben.

Was ist das "Andere" bei sonstigen Themen?

Machowecz bemerkte dazu auf Twitter, dass sowohl Fußball als auch Kirche als auch Fleischkonsum "etwas anderes" seien - warum genau, begründete er allerdings nicht. Ich vermag diesen kategorialen Unterschied jedenfalls nicht zu erkennen, sondern halte diese "Unterschiede" für eine willkürliche Setzung. Die umstandslose Verknüpfung von Glaubwürdigkeit und persönlicher Involviertheit, wonach als AfD-Berichterstatter nicht mehr glaubwürdig ist, wer sich eindeutig gegen die Partei positioniert hat, übernimmt meiner Auffassung nach die Sichtweise der "Lügenpresse"-Rufer, welche die Berichterstattung per se als voreingenommen wahrnehmen, weil ihrer Auffassung nach ein Großteil der Journalistinnen und Journalisten nach links tendiert.

Demonstration gegen die AfD in Berlin © dpa-Bildfunk Foto: Britta Pedersen
Besser ohne Journalistinnen und Journalisten? Demonstration gegen die AfD am 27.05.2018 in Berlin.

Folgt man Machowecz, dürfe man die AfD-Anhänger nicht noch in diesem Weltbild bestätigen, indem man an Demonstrationen gegen die Partei teilnehme. Für meine Begriffe werden hier Ursache und Wirkung geradezu auf den Kopf gestellt: Denn das Phantasma einer "Lügenpresse" beruht eben nicht darauf, dass Journalistinnen und Journalisten aufgrund eigener Befangenheit tatsächlich "lügen", sondern auf einer radikalen politischen Haltung, die Journalismus als Auswuchs eines verhassten "Systems" ablehnt. Womit wir auch bei dem wären, was die AfD und viele ihrer Anhängerinnen und Anhänger grundsätzlich von den anderen Parteien im Bundestag unterscheidet.

Die Normalisierung von Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit

Auch ein FDP-Politiker sieht sich zuweilen mit einem Journalisten konfrontiert, von dem er weiß, dass dieser kein Anhänger seiner Partei ist. Auch ein Unternehmenssprecher muss täglich mit Journalistinnen und Journalisten sprechen, die dem Konzern extrem kritisch gegenüberstehen. Fragen Sie mal bei der Deutschen Bahn, bei VW oder der Pharmaindustrie nach. Zu meinen, die AfD und ihrer Anhängerinnen und Anhänger hätten gewissermaßen ein Anrecht darauf, nicht von Journalistinnen und Journalisten behelligt zu werden, die schon einmal gegen sie demonstriert haben, hieße deshalb, dieser Partei ein saftiges Extrawürstchen zu braten.

Gerechtfertigt wird dies zumeist damit, dass die Partei zum Beispiel in Sachsen auf ein Wahlergebnis von immerhin 27 Prozent kommt. Man könne nicht die Anhängerinnen und Anhänger der stärksten Partei systematisch ausgrenzen, sondern müsse vielmehr deren Vertrauen "zurückgewinnen". Dieser Ansatz erscheint mir sowohl elitär als auch von einer fragwürdigen Pädagogik geleitet. Anstatt die Wählerinnen und Wähler ernst zu nehmen, auch darin, dass sie sich bewusst für eine Partei mit demokratiefeindlichen, rassistischen und menschverachtenden Anteilen entscheiden, tut man so, als handle es sich um eine Herde verirrter Schafe, die man nur in den Schoß des demokratischen Konsenses zurückholen müsse.

Ich kann leider nicht erkennen, dass empirisch viel für diese These spricht. Ausgerechnet in Sachsen, wo viele von Anfang an der Meinung waren, man müsse Pegida "ernstnehmen", man könne diese Leute nicht "ausgrenzen", wo es vielleicht mehr Gesprächsrunden und Bürgerversammlungen gab als irgendwo sonst, ließe sich nämlich mit Leichtigkeit das genaue Gegenteil behaupten: Das AfD-Wahlergebnis in den ostdeutschen Ländern, aber auch in Bayern und Baden-Württemberg erscheint dann als eine Folge der Normalisierung demokratie- und menschenfeindlicher Positionen. Überall dort, wo AfD-Prämissen Eingang in die alltäglichen politischen Debatten gefunden haben, ist sie besonders stark. Es mag vermessen sein, aber da scheint mir der Umgang mit der AfD in Hamburg oder Niedersachsen deutlich "erfolgreicher" im Sinne der Ächtung menschenfeindlicher Positionen.

Der objektive Blick der "normalen" Deutschen

Denn nicht alle haben die Wahl: Wenn Martin Machowecz monatelang im AfD-Milieu recherchiert und nach und nach das Vertrauen seiner Gesprächspartner gewinnt, dann kann er das unter anderem auch, weil er ein weißer deutscher Mann ist. Für einen Afrodeutschen oder eine Kollegin mit Kopftuch wäre dies dagegen praktisch unmöglich. Auch Kolleginnen und Kollegen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer politischen Haltung regelmäßig von der AfD und ihren Anhängerinnen und Anhängern beschimpft und mit Droh- und Hetzkampagnen überzogen werden, können wohl kaum zu "neutraler" Berichterstattung genötigt werden.

Das aber heißt, dass der "objektiv-neutrale" Blick, der hier eingefordert wird, wonach die AfD zu behandeln sei wie jede andere Partei, in Wirklichkeit der Blick einer weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft ist. Auf Twitter antwortete jemand sarkastisch, ob man überhaupt neutral über die AfD berichten könne, wenn man Johannes heiße. In dieser Polemik steckt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Denn Debatten darüber, ob man sich gegen die AfD engagieren darf, führen sich für diejenigen nun mal bedeutend leichter, die nicht existenziell von dieser Partei bedroht werden. Es ist Luxus, den man sich leisten können muss.

Der Wissenschaftler und Publizist Harald Welzer schreibt dazu in der aktuellen ZEIT: "Wenn die Demokratie angegriffen wird und man sich selbst als Demokrat versteht, sollte man sich auch selbst gemeint fühlen und die Sache persönlich nehmen. Dann versteht man sofort, dass es sich bei alldem um einen gesellschaftspolitischen Konflikt handelt, nicht um ein pädagogisches Problem." Deswegen sollten auch Journalistinnen und Journalisten, denen an Demokratie und Pressefreiheit gelegen ist, es in jedem Fall persönlich nehmen. Für wen dazu demonstrieren gehört: bitte sehr.

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Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 06.06.2018 | 23:20 Uhr

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