Stand: 06.12.2016 16:54 Uhr

2016: Das Jahr der Populisten

von Sinje Stadtlich
Die österreichischen Präsidentschafts-Kandidaten Alexander Van der Bellen (r.) und Norbert Hofer stehen nebeneinander. © dpa bildfunk Foto: Christian Bruna
Alexander Van der Bellen (r.) wurde zum Bundespräsidenten Österreichs gewählt. Norbert Hofer kündigte seine erneute Kandidatur für die Wahl in sechs Jahren an.

Das Aufatmen war groß, als am Sonntagabend feststand: Neuer Bundespräsident von Österreich wird der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen und nicht Norbert Hofer von der FPÖ. Auch deutsche Medien titelten spürbar erleichtert: "Rechtsruck abgewendet" ("SZ") oder "Europa atmet auf" ("Hamburger Abendblatt"). Und die "taz" feierte Van der Bellen sogar als "Retter des Alpenlandes". Doch bei aller Freude über den vermeintlichen Sieg der Vernunft: Immerhin fast die Hälfte der Österreicher haben in einer demokratischen Wahl für Hofer gestimmt, das Ergebnis war knapp. Seine FPÖ hat eine sehr gute Ausgangslage für die kommenden Abstimmungen in Österreich.

VIDEO: Die Populisten und die Medien (30 Min)

Populisten weltweit auf dem Vormarsch

In anderen Ländern Europas haben Rechtspopulisten wie Marine Le Pen in Frankreich oder Geert Wilders in den Niederlanden enormen Aufwind. Und nicht zuletzt der Blick in die USA zeigt, dass der Grat zwischen "gerade noch mal gut gegangen" und dem Eintreten des "worst case" ein sehr schmaler sein kann. 2016 war das Jahr der Populisten. Diese Woche blickt ZAPP deshalb zurück auf ein Jahr, in dem wir uns häufig beschäftigt haben mit der Rhetorik und den medialen Strategien der Rechtspopulisten von Donald Trump über Norbert Hofer bis hin zu verschiedenen AfD-Politikern wie Alexander Gauland oder Frauke Petry.

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Nutzung von sozialen Netzwerken

Vielfach hat sich gezeigt, dass die genannten Akteure Meister sind in der Manipulation ihres Publikums und in der Nutzung der sozialen Netzwerke. Die AfD hat ihre Präsenz auf Facebook und Co. perfektioniert, sie läuft den sogenannten "etablierten Parteien" dort den Rang ab. Und kann so umso leichter ihr Image als von den "Lügenpresse"-Journalisten verschmähte Partei pflegen. Schrille Parolen greifen aber auch die klassischen Medien gern auf. So sei Donald Trump auch ein "Medienkandidat" gewesen, sagt "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer im Interview: "Die Medien haben ihn als Unterhaltungsphänomen groß gemacht."

Medien tragen Mitverantwortung

Immer wieder sind wir im Laufe des Jahres auf die Frage gestoßen, wie Medien am besten über die AfD berichten sollten und haben mit vielen Journalisten darüber diskutiert. Sollten Medien möglichst wenige Plattformen bieten für irrwitzige Positionen? Oder versuchen, die Partei möglichst in jeder einzelnen Sachfrage inhaltlich zu stellen, ihre inneren Widersprüche aufzuzeigen? Und: Was ist am Ende des Ziel eines solchen Journalismus, wen erreicht er? Sind Journalisten diejenigen, die Wahlempfehlungen abgeben und dafür sorgen müssen, dass bestimmte Parteien nicht stark werden? Oder sind sie nicht vielmehr der Neutralität verpflichtet, die nicht nur von Vertretern der "Lügenpresse"-Fraktion immer wieder vehement eingefordert wird?

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Unterschiedliche "Lügenpresse"-Rufer

All das sind Fragen, die sich 2016 plötzlich mit unerwarteter Dringlichkeit neu gestellt haben - auch wenn viele Journalisten wohl gedacht hatten, sie seien schon längst beantwortet. Vielleicht noch nie zuvor gab es ein Jahr, in dem sich die Redaktionen in Deutschland mit so massiver Kritik konfrontiert sahen: Vom Vorwurf, Journalisten seien manipuliert, gesteuert und von den USA gekauft, bis hin zu ernst zu nehmender Kritik an der Ausgewogenheit unserer Berichterstattung. Und im Laufe des Jahres hat sich gezeigt, wie mühsam es ist, die "Lügenpresse"-Rufer aus den unterschiedlichen Lagern auseinanderzudividieren in diejenigen, die gar keinen echten Dialog mehr wollen und diejenigen, die berechtigt Kritik üben und Antworten von Journalisten verdienen.

Die "post truh era" geht 2017 weiter

Für viele Journalisten war es in diesem Jahr extrem anstrengend, sich und ihre Arbeitsweise immer wieder zu erklären und zu hinterfragen. Wir leben in der mittlerweile viel beschworenen "post truth era" - in einer Zeit, in der Fakten für viele nicht mehr zählen, sondern eher das Bauchgefühl und die Sorgen der Menschen. Auch wenn es solche Tendenzen wohl nicht zum ersten Mal gibt und viele der Sorgen durchaus ihre Berechtigung haben, wird es für Journalisten schwieriger, mit Argumenten und Fakten durchzudringen. Sie stehen vor der permanenten Herausforderung, nicht den Populisten das Feld zu überlassen, sie aber auch nicht durch Berichterstattung noch größer zu machen, als sie tatsächlich sind. Und diese Herausforderung wird wohl noch lange über 2016 hinaus bestehen bleiben.

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ZAPP | 07.12.2016 | 23:20 Uhr

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