Merz: "Wir brauchen die (Medien) nicht mehr"
Politiker seien nicht mehr auf die Medien angewiesen, um ihre Botschaften zu verbreiten. Sie könnten das Publikum über Social Media selbst erreichen. Diese Aussage von Friedrich Merz sorgt derzeit für Empörung. Getätigt hat sie der CDU-Mann am 21. Januar 2020 beim "AKV Rittertalk" des Aachener Karnevalvereins. Also nicht in der Bütt, sondern auf der Bühne. Konkret sagte er:
"Im Augenblick gibt‘s ja eine richtige Machtverschiebung zwischen denen, die Nachrichten verbreiten und denen, die Nachrichten erzeugen - und zwar zugunsten derer, die die Nachrichten erzeugen. Wir brauchen die nicht mehr. Und das ist das Schöne. Sie können heute über Ihre eigenen Social-Media-Kanäle, über YouTube, Sie können ein Publikum erreichen, das teilweise die Öffentlich-Rechtlichen, auch die privaten institutionalisierten Medien nicht mehr erreichen. Wenn man das richtig nutzt, wenn man das gut macht, dann haben Sie über diese Kanäle eine Möglichkeit, Ihre eigenen Interessen wahrzunehmen, Ihre eigene Deutungshoheit auch zu behalten, über das, was Sie gesagt haben, in ganz anderer Form, als wir das früher gehabt haben. So, das ist die gute Nachricht der Digitalisierung."
Proteste nach Merz' Aussage
Vor allem die Aussage "Wir brauchen die nicht mehr" löste in der Medienwelt Widerspruch aus, auf Twitter gab es zahlreiche Proteste. Der Deutsche Journalisten-Verband schrieb einen offenen Brief, erinnerte Merz an die elementare Funktion der Medien in einer Demokratie als sogenannte vierte Gewalt.
Zwar verbreitete Merz keine neue These, denn es gibt in der Tat eine Machtverschiebung: Die Medien sind heute nicht mehr die alleinigen Gatekeeper, jeder kann theoretisch übers Netz eine große Öffentlichkeit erreichen. Aber bei seiner zweiten Einschätzung, "wir brauchen die nicht mehr", irrt er. Gerade in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie sind die etablierten Medien wichtiger denn je: Aus der Informationsflut muss Wichtiges von Unwichtigem getrennt werden, Fakten müssen geprüft und bewertet werden - dafür nutzen Menschen die etablierten Medienmarken, auch auf Social Media.
Ohne die Medien geht es nicht
Auch in Sachen Reichweite geht es nicht ohne die etablierten Medien: Die Tagesschau sehen sich jeden Tag um 20 Uhr bis zu 5 Millionen Menschen an. Den Fernseher schalten täglich knapp 67 Prozent der Bürger ein, das Radio 74 Prozent. Hinzu kommen knapp 15 Millionen verkaufte Tageszeitungen. Der direkte Reichweitenvergleich der Social-Media-Kanäle von Friedrich Merz, der CDU und allein der Tagesschau zeigt, dass Parteien und Politiker selbst im Netz nicht ohne die etablierten Medien können - zumal die mit ihren Botschaften auf den eigenen Kanälen zum größten Teil nur die eigenen Fans erreichen; und selbst von denen nicht mal alle.
Friedrich Merz | CDU | Tagesschau | |
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Twitter (Abonnenten) | 63.000 | 305.000 | 2.625.000 |
Facebook (Fans) | 31.000 | 187.000 | 1.748.000 |
Instagram (Fans) | 28.000 | 54.000 | 1.401.000 |
YouTube (Videoaufrufe seit Kanalbestehen) | 212.000 | 9.005.000 | 147.034.000 |
Merz hat schnell erkannt, welche Empörung seine Aussage unter Journalisten ausgelöst hat. Deshalb nutzte er sogleich die sozialen Medien, in diesem Fall sein Twitter-Profil, um das zu tun, wozu diese seiner Aussage nach gut sind: die "eigene Interessen wahrzunehmen" und die "Deutungshoheit" zu behalten. Denn so wie dargestellt habe er die Aussage nicht gemeint. Es war nur auf die sozialen Netzwerke bezogen, Pressefreiheit sei wichtig. Ob diese Klarstellung ihm von jedem Journalisten abgekauft wird? Zumindest der DJV zeigte sich danach auf Twitter etwas beruhigt.
Social Media als Agenda-Setting-Tool
In seinem Antwort-Tweet liegt Merz wieder richtig mit seiner Einschätzung. Soziale Netzwerke sind für Politiker heutzutage vor allem wichtig, um Agenda Setting zu betreiben. "'Bild', 'BamS' und Glotze", so wie es der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder einst flapsig formulierte, reichen dafür nicht mehr aus - die beziehen ihre Themen oft erst aus dem Netz. Wer in den sozialen Medien Themen setzt, die dann von den etablierten Medien aufgegriffen werden, kann viel erreichen - die AfD hat es vorgemacht. CSU-Politikerin Dorothee Bär verdeutlichte auf einer Konferenz, wie wichtig das Spiel über Bande geworden ist:
Themen setzen, die Deutungshoheit behalten - die Aussagen von Dorothee Bär und Friedrich Merz zeigen, wie wichtig Facebook, Twitter und Co. inzwischen im politischen Alltagsgeschäft geworden sind. Umso wichtiger ist es, dass Journalisten diese Aussagen für das Publikum einem Faktencheck unterziehen, einordnen und nicht auf plumpe PR reinfallen.