Wie Wirecard kritische Medien ausschalten wollte
Der Journalist Dan McCrum wurde wegen seiner Wirecard-Recherchen des Insiderhandels verdächtigt, bedroht und verleumdet. Am Ende gelang es ihm trotzdem, den Skandal aufzudecken.
Vielleicht würden noch heute Anlegerinnen und Anleger um ihr Geld betrogen, wäre der Financial-Times-Journalist Dan McCrum nicht so hartnäckig gewesen. Fast im Alleingang hat er fünf Jahre lang versucht, die Wahrheit über den Finanzdienstleister aus Aschheim herauszufinden. Am Ende fand sich eine mutmaßlich massive Bilanzfälschung - in Höhe von 1,9 Milliarden Euro.
Bevor das Unternehmen Ende Juni 2020 Insolvenz anmeldete, hatte es jahrelang Millionen investiert: in Detekteien und Kanzleien. Millionen, um sich offenbar Kritiker vom Hals zu schaffen, allen voran: Dan McCrum, Finanzjournalist bei der Financial Times in London. Das geht aus hunderttausenden E-Mails des Wirecard-Vorstands, Messenger-Chats und Rechnungen hervor, die der NDR, die Süddeutsche Zeitung und der WDR nun ausgewertet haben.
Vertrag mit russischer Beratungsfirma
An Wirecard ging etwa eine Rechnung einer privaten russische Beratungsfirma. Auf ihrer Webseite wirbt sie mit martialisch wirkenden Videos unter anderem für "Anti-Terror-Einsätze". Wofür genau Wirecard die Firma beauftragt hat, ist unklar. Unsere schriftliche Anfrage blieb unbeantwortet.
Geleakte Chatnachrichten zwischen dem ehemaligen Vorstand Jan Marsalek - inzwischen mit internationalem Haftbefehl gesucht - und einer seiner Mitarbeiterinnen zeigen, wie sie sich über Marsaleks Kontakte nach Russland amüsieren:
Marsalek: "[...] ich kämpfe leider seit 5 in der Früh mit der FT [Anm.: Financial Times]) und habe noch keine E-Mails gelesen."
Mitarbeiterin: "Schick doch DEINE Russen nach London…"
Marsalek: "Hahaha."
Seit 2015 schrieb Dan McCrum bereits in seinem Financial-Times-Blog "House of Wirecard" über das Geschäftsgebaren von Wirecard und Unstimmigkeiten in den Bilanzen. McCrum geriet offenbar früh ins Visier von Wirecard. In den jetzt vorliegenden Unterlagen findet sich auch ein Angebot einer österreichischen Sicherheitsfirma an Wirecard von 2016. Darin der Vorschlag, "konkrete Vorschläge an Hacker" zu übermitteln. Das mögliche Ziel einer Hacking-Attacke: Dan McCrum.
Ob tatsächlich Hacker beschäftigt wurden, ist unklar. Fakt ist: Der Reporter hatte sich so sehr verfolgt gefühlt, dass er seine Artikel nach eigenen Angaben schließlich in einer fensterlosen Kammer der Financial-Times-Redaktion schrieb. "Ich war der Teufel", sagt er heute.
BaFin zeigt McCrum an
Die entscheidenden Hinweise bekommt McCrum Ende 2018: E-Mails und Tabellen. Auf dieser Grundlage veröffentlicht er am 30. Januar 2019 mit seiner Kollegin Stefania Palma einen Text über mutmaßliche Bilanzfälschungen durch Wirecard in Asien. Als der Artikel erscheint, bricht der Kurs der Wirecard-Aktie ein. Und: Die Finanzaufsicht BaFin stellt Strafanzeige gegen Dan McCrum und seine Kollegin.
Die BaFin verdächtigt die beiden der Zusammenarbeit mit Shortsellern: Sie sollen Spekulanten, die auf einen fallenden Kurs von Wirecard gesetzt hatten, ihre geplanten Enthüllungen vorab gezeigt haben, um so den Kurs zu manipulieren. "Wurdest du schon verhaftet? Das wird zu dieser Zeit der Standardgruß in der Redaktion", sagt McCrum. Im September 2020 werden die Ermittlungen eingestellt: Die Staatsanwaltschaft findet keinerlei Belege.
Wirecard rückt Reporter ins Zwielicht
Genau diese falsche Erzählung von in Finanzmanipulationen verwickelten Reportern befördert Wirecard. Denn im Juli 2019, kurz vor McCrums entscheidender Veröffentlichung, entstehen in London ominöse Tonaufnahmen. Darauf ist zu hören, wie sich ein vermeintlicher Vertrauter eines Investors mit zwei Spekulanten über Wirecard unterhält. Er fragt: "Woher wissen Sie, dass ein Artikel erscheint? Haben Sie ihre eigenen Informationen… ?" Daraufhin sagt einer der Spekulanten: "Nein, der Chef der Financial Times…" Im Gespräch prahlen die Spekulanten, einen besonderen Zugang zur Financial Times zu haben. Ein Artikel würde bald veröffentlicht, der den Kurs der Wirecard-Aktie erneut sinken ließe.
Diese Tonbandaufnahmen werden öffentlich. Wirecard spielt sie über einen Informanten dem Handelsblatt zu, das am 22. Juli berichtet: "Tonbandaufnahmen machen Wirecard-Streit zum beispiellosen Krimi." Der Informant behauptet, die Aufnahmen seien Wirecard von einem anonymen Investor zugespielt worden. Das schreibt auch das Handelsblatt in seinem Artikel.
Heute wissen wir: Wirecard selbst hat jahrelang mit der Detektei zusammengearbeitet, die die Tonbandaufnahmen angefertigt hat. Mehrere Zehntausend Pfund hat die Detektei Wirecard allein 2019 in Rechnung gestellt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Aufnahmen von Wirecard selbst in Auftrag gegeben worden sind, um der Financial Times und Dan McCrum Manipulation und geheime Absprachen vorwerfen zu können. Auf eine gemeinsame Anfrage von ZAPP und der Süddeutschen Zeitung teilt das Handelsblatt mit: "Wir haben seit 2019 mehr als 200 kritische Artikel über Wirecard geschrieben. Mit dem Wissen von heute hätten wir natürlich manches im Juli 2019 anders formuliert."
McCrum an Berichterstattung gehindert
Doch damals bleibt der Vorwurf gegenüber McCrum zunächst im Raum. Die Financial Times leitet eine interne Überprüfung durch eine Rechtsanwaltskanzlei ein, Dan McCrum sind wochenlang die Hände gebunden: Er kann nicht berichten. "Es war eine Katastrophe. Mein dunkelster Moment. Wir waren so kurz davor, Wirecard zu enttarnen, und auf einmal ermitteln nicht nur die Behörden in Deutschland gegen mich, sondern auch mein eigener Arbeitgeber, die Financial Times", sagt McCrum. "Es war eine heftige Untersuchung. Mein Chef und ich wurden mehrere Stunden von Anwälten befragt und mussten unsere Kommunikation offenlegen."
Erst nach Abschluss der Ermittlungen, mit drei Monaten Verspätung, kann McCrum die Berichte veröffentlichen, die schließlich Wirecard zu Fall bringen. Er findet in den Unterlagen eine Tabelle mit angeblichen Geschäftspartnern. 20 der 34 genannten Firmen gab es entweder nicht, sie waren insolvent oder unterhielten keine Geschäftsbeziehungen mehr. Danach beauftragte der Aufsichtsrat von Wirecard die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit einer Sonderprüfung: der Anfang vom Ende von Wirecard.