Nord-Politiker lobbyierten für Wirecard
Der insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hat in den vergangenen Jahren dafür geworben, illegale Glücksspielanbieter und deren Zahlungsdienstleister weniger streng zu verfolgen. Das geht aus E-Mails ehemaliger Wirecard-Vorstände hervor, die Reporter von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" ausgewertet haben.
Die Unterlagen zeigen auch, dass mehrere norddeutsche Ex-Politiker die Bank dabei unterstützten, darunter Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Ole von Beust und der Ex-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen (beide CDU).
Carstensen war bereits 2014 in Kontakt mit Wirecard
Demnach brachten Berater der Anwaltskanzlei Hambach & Hambach aus München bei der Wirecard-Bank Carstensen spätestens im Februar 2014 ins Gespräch. Aus den E-Mails geht hervor, dass Carstensen, gemeinsam mit dem ehemaligen Wirecard-Vorstand Burkhard Ley, den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) in Wiesbaden besuchte.
Kontakt zu Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier
Hessen gehörte in den vergangenen Jahren regelmäßig zu denjenigen Bundesländern, die eine Öffnung des Glücksspielmarkts und einen milden Umgang mit den illegalen Anbietern forderten. Die hessische Staatskanzlei bestätigte den Termin auf Anfrage des NDR. Wirecard habe zu diesem Zeitpunkt offenbar geplant, zentrale Aufgaben unter anderem bei der Zahlungsabwicklung von Online-Glücksspielen zu übernehmen, erklärte ein Sprecher. Da es sich hierbei aber um "hoheitliche Tätigkeiten" handele, sei das Treffen letztlich ohne Konsequenz geblieben.
Versuchte Einflussnahme bei der Landesregierung von Baden-Württemberg?
In einer späteren Mail an Ley schreibt ein Berater, dass Carstensen den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann "sehr gut" kenne. Ein gemeinsamer Besuch sei daher "lohnend", wie schon in Hessen. Eine Maßnahme zur Blockade von Zahlungsdienstleistern illegaler Online-Casinos, das sogenannte Payment Blocking, wurde damals von den Lottogesellschaften in Baden-Württemberg unterstützt. Mit einem Besuch bei Kretschmann könne man dem Vorhaben "den Wind aus den Segeln nehmen", schrieb ein Wirecard-Berater. Eine NDR Anfrage an den Regierungssprecher von Baden-Württemberg blieb zunächst unbeantwortet.
Anbahnung von Kontakten zu damaligem EU-Kommisar Oettinger
Aus den Mails geht weiter hervor, dass Carstensen offenbar den damaligen EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) kontaktierte, um ein Treffen mit Wirecard-Vertretern anzubahnen. In einer Mail heißt es, das Gespräch zwischen Carstensen und Oettinger sei gut verlaufen, Oettinger wolle "höchstpersönlich" mit dem Wirecard-Vorstand Ley über ein Digitalprojekt seines Kommissariats sprechen.
Carstensen kontaktierte auch Olaf Scholz
Mit den E-Mails konfrontiert, berichtet Carstensen, dass er und Ley sich auch mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister und heutigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) getroffen hätten. Ziel der Gespräche sei es gewesen, über Suchtprävention im Glücksspiel zu sprechen. Scholz beantwortete eine kurzfristige Anfrage dazu nicht.
Carstensen bestätigte zudem die Treffen mit Oettinger und Bouffier, bestreitet aber, von Wirecard dafür bezahlt worden zu sein. Er sei "nie für die Wirecard Bank als Lobbyist tätig gewesen". Günther Oettinger räumte ein Treffen mit Carstensen ein und erklärte, er erinnere sich nicht mehr an Details. Im Oktober hatte auch die Branchenzeitung Capital über Lobbytätigkeiten von Carstensen für Wirecard berichtet.
Ole von Beusts Firma hielt enge Kontakte zu Wirecard
Die E-Mails zeigen weiter, dass Wirecard auch mit der Lobbyismus-Agentur des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters von Beust jahrelang eng zusammen gearbeitet hat. Aus den Daten geht hervor, dass von Beusts Firma noch im November 2019 Wirecard angeboten hatte, "zurückhaltend und gezielt" Kontakte anzubahnen und "Politiker zu identifizieren", die für Belange deutscher Banken beim Thema Online-Glücksspiel "aufgeschlossen und aktivierbar" seien. Wirecard zahlte für die Beratungsdienste zunächst 5.000 Euro, später 7.500 Euro monatlich plus "angemessene Reisekosten".
Seitenwechsel von Beusts zum Lobbyismus
Von Beust hatte die Geschäftsbeziehung als Zeuge im Wirecard-Untersuchungsausschuss bestätigt. Darüber hatte zuvor unter anderem die "Wirtschaftswoche" berichtet. Ein Sprecher der Agentur Von Beust & Coll. bestätigte das Beratungsmandat und erklärte, man habe Informationen bereitgestellt und Termine im politischen Berlin und auf Länderebene vereinbart - mehr nicht. Der Vorgang ist auch deshalb pikant, weil von Beust jahrelang für den Deutschen Toto-Lotto-Block arbeitete. Hierbei gehörte auch der Kampf gegen illegale Glücksspielanbieter zu seinem Auftrag. 2017 hatten NDR und "Süddeutsche Zeitung" enthüllt, dass von Beust offenbar die Seiten gewechselt hatte.
SPD-Abgeordnete fordert Lobbyregister
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe ist Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Sie sagte gegenüber NDR, WDR und SZ, es sei bezeichnend, dass die Lobbybemühungen von Wirecard vor allem die Glücksspielregulierung betrafen. "Unter dem Deckmantel, innovative Regulierung anbieten zu wollen, schien es Wirecard letztlich vor allem um die Legalisierung der eigenen Geschäfte zu gehen", sagte sie. Der Fall zeige wie wichtig es sei, ein Lobbyregister zu schaffen, das für jeden transparent macht, die Arbeit der Bundes-und Landesregierungen erfasst.