Sebastian Kurz: Nebelkerzen gegen Enthüllungen
Seit Wochen gibt es immer wieder neue Skandalnachrichten aus Österreich. Längst geht es nicht mehr nur um die Rechtspopulisten von der FPÖ. Plötzlich stehen die ÖVP und vor allem ihr Spitzenkandidat Sebastian Kurz im Zentrum von Enthüllungsgeschichten. Doch dieser scheint merkwürdig gelassen.
Dabei haben die Enthüllungsgeschichten es in sich. Dem Wiener Investigativmagazin "Falter" sind aus der Buchführung der ÖVP eine große Menge Daten zugespielt worden. Und so veröffentlicht Chefredakteur Florian Klenk zusammen mit seinem Investigativ-Team einen Scoop nach dem anderen mit Hilfe dieser "ÖVP-Files". Zusammen mit den Recherchen anderer Blätter ergebe sich das Bild einer Partei, die Großspender und überdimensionierte Wahlkampagnen verschleiere und sich in Finanzdingen nicht immer an die Regeln halte.
Partei ist hoch verschuldet
Im Wahlkampf 2017 habe Kurz zum Beispiel "das Wahlkampfkosten-Limit" um sechs Millionen Euro überschritten. Die Daten zeigen, dass die ÖVP statt der erlaubten sieben insgesamt 13 Millionen ausgegeben - und so sich den Wahlsieg aus Klenks Sicht "erschwindelt" habe.
Was das für die Finanzen der ÖVP bedeutet, hat der Falter am vergangenen Dienstag in der Titelgeschichte "Die Konten der Liste Kurz - Schulden. Spenden. Spesen" ausführlich dargestellt. Die Partei ist danach vollkommen überschuldet. Und andere Medien greifen die Geschichte auf: "Teurer Privatjet für Kurz, 33.000 Euro für Berater?", fragt etwa "Die Presse". Die Falter-Geschichte läuft. Doch Klenk ist zurückhaltend. Ein paar knallige Überschriften seien noch keine große Debatte. Klenk befürchtet, dass die Enthüllungen im Sande verlaufen.
Gelungener PR-Coup
Kurz ist es bislang tatsächlich immer gelungen, allen Falter-Enthüllungen über ihn und seine Partei die Schubkraft zu nehmen: Kaum bestimmten die "ÖVP-Files" zum ersten Mal die österreichischen Medien, gab Kurz am 5. September eine Pressekonferenz. Da hat er den Journalisten eine erstaunliche Geschichte erzählt, die alles in ein neues Licht tauchte: Die ÖVP sei gehackt worden, so Kurz, "mit dem Ziel, Daten zu entwenden, Daten zu manipulieren, Daten hier eventuell auch zu hinterlassen und auch Daten zu verfälschen". Das Ziel sei also gewesen, "Wahres mit Falschem zu verbinden - und uns dadurch in der Wahl zu schaden".
Kurz sagt nicht, welche Daten gefälscht sind und wie viele. Trotzdem berichten die Boulevardmedien nun praktisch nur noch über den Hack und "den Versuch, die Wahl zu manipulieren". Ein gelungener PR-Coup, findet nicht nur Peter Münch. Er ist Wien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und beobachtet seit zwei Jahren hier die Politik. Kurz habe bei dieser Pressekonferenz "sozusagen den Fokus verschoben von den Inhalten, über die man eigentlich reden sollte, auf die Hintergründe". Das sei eine typische Strategie für Kurz und sein Team: Immer, wenn es "unbequem" werde, wenn es "Druck" gebe, dann komme "so eine Art Gegenoffensive", "dann taucht plötzlich irgendwo ein russischer Spion auf, der eine Gefahr für das Land ist, über den hört man nachher nie mehr was".
ÖVP liegt weiter klar in Führung
Auch Klenk hat viel Erfahrung mit dem, was er "Vernebelungstaktik" nennt. "Wenn irgendein Skandal kommt oder irgendeine Affäre, dann macht er es erst mal lächerlich", sagt Klenk. Die ÖVP-Files habe Kurz zum Beispiel zunächst mit dem Schlagwort "Kugelschreibergate" versehen. Bedeutet: Die Journalisten machten viel Lärm um ein paar Büromaterialien - "während er sich um die wahren Sorgen der Menschen kümmert". Bei den Menschen scheint diese PR-Strategie gut anzukommen. Kurz' Umfragewerte sind zwar um ein paar Prozentpunkte abgerutscht, aber seine Partei liegt mit 33 Prozent immer noch weit vor allen anderen.