Prozess um Lübcke-Mord: Journalisten stehen Schlange
Für manch einen Journalisten beginnt der Prozess schon am Vorabend des ersten Verhandlungstages: Im Nieselregen haben die ersten Medienvertreter um 22:00 Uhr ihren Camping-Stuhl samt Regenschirm vor dem Frankfurter Oberlandesgericht aufgebaut. Versorgt mit Stullen und heißem Tee aus der Thermoskanne für die Nacht. Warten, um zu den Ersten zu gehören. Schon bald zeichnet sich eine Schlange ab. Am frühen Morgen sind es bereits einige dutzend Kolleginnen und Kollegen. Bilder, wie man sie sonst nur vom Verkaufsstart neuer Handymodelle oder exklusiver Sneaker aus deutschen Innenstädten kennt. Doch die Journalisten wollen nur eines: Einen Platz im Hochsicherheitssaal 165 C ergattern.
Begrenzte Plätzer wegen Corona
Es ist ein besonderer Prozess, der da am 16. Juni 2020 vor dem Staatsschutzsenat begann: Es geht um die Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) am 1. Juni 2019. Angeklagt ist Stephan E., Markus H. wird Beihilfe vorgeworfen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist damit ein Rechtsextremist wegen Mordes an einem Politiker angeklagt. Doch auch die Umstände sind besonders: Höchste Sicherheitsstufe. Und aufgrund der Corona-Vorgaben nur eine begrenzte Zahl an Plätzen für Journalisten und Zuschauer im Saal.
Mehr als 200 Journalisten von rund 70 verschiedenen Medien haben sich akkreditiert, um bei der Verhandlung dabei sein zu können. Doch nur 19 von ihnen können tatsächlich auf die Pressetribüne des Gerichtssaals. Normalerweise ist dort Platz für 60 Kollegen. Es herrscht das Prinzip: "First come, first serve." Den Prozess in eine größere Räumlichkeit zu verlegen, etwa in eine Messehalle, lehnte das Gericht aufgrund von Sicherheitsbedenken ab. Es gehe schließlich um mutmaßliche Rechtsterroristen.
Keine andere Möglichkeit?
7.30 Uhr: Manche campieren nun schon seit fast zehn Stunden vor dem Gebäude. Haben die Nacht durchgemacht. Andere haben Studierende engagiert, die ihnen ein paar Stunden den Platz sichern. Ein Kollege von RTL verteilt Kaffee. Die Tortur schweißt zusammen. Als um 8.30 Uhr die Gerichtssprecherin die Platzkarten verteilt, sieht man in viele fröstelnde und übermüdete Gesichter. Die Nacht war nasskalt, öffentliche Toiletten gab es nicht. "Wie soll man nach so einer Nacht noch konzentriert arbeiten?", beschwert sich ein Kollege lautstark. Corona sei keine Erfindung des OLG Frankfurt, entgegnet Gerichtspräsident Roman Poseck. Man habe einfach keine andere Möglichkeit gesehen.
Berichten über ein "Hörspiel"
Und die Nummer 20? Ist ein Kollege von der "Stuttgarter Zeitung", der seit 5 Uhr morgens gewartet hat. Sein Kommentar: "Das ist wie ein Sechser im Lotto - nur das Gegenteil!" Immerhin ist er nun der erste, der in den sogenannten "Medienübertragungsraum" kann, in dem er zumindest den Ton aus dem Saal verfolgen kann. 41 Sitzplätze stehen hier Pressevertretern zur Verfügung. "Das ist Hörspiel. Nun muss ich schreiben, was ich höre, nicht was ich sehe", ärgert sich der Stuttgarter Kollege. Eine Videoübertragung ist rechtlich nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu: Im Presseraum müssen Smartphones und Computer in den Offline-Modus gestellt werden, im Gerichtssaal selbst sind sie erst gar nicht erlaubt. Online geht nur außerhalb dieser Räumlichkeiten.
Manche Reporter schaffen es auf einem anderen Weg in den Verhandlungssaal - sie haben sich einfach in die Schlange der "normalen" Zuschauer gestellt, für die auch nochmal 18 Sitzplätze vorgesehen sind. Aber auch hier waren die ersten schon um 4.30 Uhr vor Ort. Um 10 Uhr beginnt der Prozess. Er dauert an diesem Tag bis in den Nachmittag. Manch ein Journalist hat da dann schon mehr als zwanzig Stunden in den Knochen.
Würdeloses Warten "lästiger Gäste"
Viele Medienvertreter empfinden die Situation an diesem Tag eher als würdelos. "Man versteht die Aufgabe von Presseöffentlichkeit nicht", bringt es Annette Ramelsberger, die Gerichtsreporterin der "Süddeutschen Zeitung" stellvertretend für viele Kolleginnen und Kollegen auf dem Punkt. Das Oberlandesgericht erschwere unnötig die Arbeit: "Man sieht, dass wir hier lästige Gäste sind. Das ist nicht gut!"
Bis Oktober sind dreißig Verhandlungstage terminiert. Das Prozedere für Journalisten bleibt. Und auch wenn das Medieninteresse mit der Zeit abnehmen wird - es bleibt die Frage, ob dieses Prozedere der besonderen Bedeutung dieses Mordprozesses angemessen ist.