Infodemie: weltweiter Corona-Faktencheck
Seit Wochen treibt es sie auf die Straße: Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten: Die Menge ist bunt gemischt - genauso wie ihre Behauptungen, Theorien und vermeintlichen Wahrheiten. Einig sind sie sich jedoch darin, dass dunkle Mächte die Strippen hinter der Pandemie ziehen.
Till Eckert vom Recherchezentrum Correctiv in Berlin arbeitet als Faktenchecker. Mit Falschinformationen rund um Corona haben er und das Team momentan alle Hände voll zu tun: "Falschmeldungen eignen sich hervorragend dazu, politisch zu mobilisieren, wie wir jetzt gerade ja sehen während der Pandemie. Die Narrative, die in der Anfangszeit gesetzt wurden, die tragen sich bis heute rum. Das sind teilweise auch die, die man auf der Straße hört. Er bezeichnet Falschbehauptungen als "wahnsinnigen Mobilisierungsmotor für solche Bewegungen, die wir jetzt gerade erstarken sehen."
Facebook arbeitet mit Correctiv zusammen, um Falschmeldungen auf der Plattform zu entlarven und mehr Kontext bieten zu können. Till Eckert beobachtet momentan jedoch auch, dass viele Falschinformationen in Deutschland vor allem bei YouTube und WhatsApp kursieren: "Das kann man sich so vorstellen, dass WhatsApp quasi so ein bisschen die Autobahn ist der Falschmeldungen, und YouTube der Ort, an dem sie entstehen. Gerade so die Scheinexperten und die Menschen mit wissenschaftlichem Hintergrund, die hatten ja am Anfang schon YouTube verwendet, traten da vermehrt auf, in Interviews oder auf eigenen Kanälen."
Doch obwohl WhatsApp auch zum Facebook-Konzern gehört, haben die Faktenchecker von Correctiv dort laut Eckert "keinen richtigen Einblick" und sind darauf angewiesen, dass Menschen ihnen Meldungen zusenden.
Weltweite Kollaboration der Faktenchecker
Falschinformationen zur Herkunft des Virus, Videos von Menschen, die angeblich durch Corona schlagartig bewusstlos werden oder die Behauptung, Chinesen würden wegen des Virus zum Islam konvertieren, weil Muslime nicht befallen würden - seit Januar haben Faktenchecker global eine riesige Datenbank von Falschinformationen zu Corona aufgebaut.
In den USA vernetzt das "International Fact-Checking Network" am unabhängigen Poynter-Institut in Florida aktuell 99 Fact-Checking Organisationen aus der ganzen Welt in der "CoronaVirusFacts Alliance". Vize-Direktorin Cristina Tardáguila berichtet, dass viele Fake News sich weltweit gleichen, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten an unterschiedlichen Orten populär werden: "Wir haben mindestens neun große Wellen an Falschinformationen beobachtet, und natürlich wandern die über den Planeten mit der Ausbreitung des Virus. Also manche Falschinformationen haben in Asien vielleicht schon im Januar oder Februar begonnen und sind dann jetzt groß in Südamerika."
Brasilien: Faktenchecker gegen Regierung
In Brasilien ist die Lage besonders angespannt. Das Land beklagt aktuell die zweithöchste Zahl an Toten. Brasiliens Präsident Bolsonaro hingegen zeigt sich auf Anti-Lockdown Demos und spielt das Virus als "kleine Grippe" herunter. Die Faktenchecker von Agencia Lupa informieren deshalb mit einem Extra-Newsletter vor allem Ärzte und Institutionen im Gesundheitsbereich speziell zu wissenschaftlichen Themen.
"Weil Mitarbeiter im Gesundheitssektor nicht die Zeit haben, alle wissenschaftlichen Studien von Anfang bis Ende zu lesen!", erklärt Herausgeber Gilberto Scofield. "Wir versuchen, sie über Behandlungsmöglichkeiten und Impfungen aufzuklären - alles Dinge, die jetzt sehr aktuell eine Rolle spielen. Wir sammeln die Forschung und tun sie in den Newsletter für medizinische Fachkräfte."
SMS-Service im Kongo
Anderswo auf der Welt kämpfen Faktenchecker noch gegen ganz andere Herausforderungen. In der Demokratischen Republik Kongo hat nur ein geringer Teil der Bevölkerung Zugang zum Internet. Verschwörungstheorien über die Corona-Impfung oder skurrile Heilmethoden verbreiten sich aber trotzdem. Die Faktenchecker von CongoCheck haben dagegen einen SMS-Service entwickelt: "Wir wollen, dass verifizierte Informationen für alle verfügbar sind", erzählt Initiator Sammy Mupfuni. "Denn es ist sehr gefährlich: Die Menschen sterben hier aufgrund falscher Informationen." Laut Congo Check hat der SMS-Service etwa 10.000 Abonnenten.
Viele der Gerüchte ähneln denen aus anderen Regionen der Welt - mit einem regionalen Dreh: In der Demokratischen Republik Kongo ist eine dieser Verschwörungserzählungen zum Beispiel, dass Bill Gates mit Medikamenten und Impfungen die afrikanische Bevölkerung auslöschen will. "Allgemein beruht das auf Verschwörungstheorien, die es schon gibt. Wenn man jetzt an diese Verschwörungstheorien anknüpft, glauben die Leute das sehr leicht, weil sie an diese Theorien schon sehr lange glauben."
Internet-Konzerne in der Kritik
Ob Congo Check, Agencia Lupa in Brasilien oder Correctiv in Berlin - sie alle haben in den vergangenen Monaten unermüdlich gegen Corona-Falschinformationen angekämpft. Unterstützt wurden sie dabei auch von Geldern großer Internetkonzerne wie Google oder Facebook. Ganz uneigennützig ist diese Finanzierung nicht - in vielen Ländern sind die Konzerne in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten, weil sie Fake News auf ihren Plattformen nicht vehement genug bekämpfen.