Folterprozess: Wie ein Gericht Berichterstattung erschwert

Stand: 18.11.2020 15:59 Uhr

In Koblenz stehen erstmals mutmaßliche Folterer des syrischen Assad-Regimes vor Gericht. Das Verfahren könnte weltweit Signalwirkung haben. Doch das Gericht schränkt Prozessbeobachter und Berichterstatter unnötig ein.

von Jonas Schreijäg

Seit April läuft im rheinland-pfälzischen Koblenz der Prozess gegen zwei syrische Ex-Geheimdienstler wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Hauptangeklagte, Anwar R., war Vernehmungschef in der Abteilung 251 des syrischen Geheimdienstes, eine Abteilung berüchtigt für grausame Folter. Anwar R. bestreitet die Tatvorwürfe. Doch die Bundesanwaltschaft hält ihn verantwortlich für 58 Morde und Folter in 4.000 Fällen.

"Historisch" nannte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht das weltweit beachtete Gerichtsverfahren in Koblenz. "Hiervon geht die Botschaft aus: Kriegsverbrecher dürfen sich nirgendwo sicher fühlen."  Möglich ist das Verfahren in Deutschland aufgrund des sogenannten "Weltrechtsprinzips". Schwere Menschenrechtsverletzungen können demnach weltweit verfolgt werden - auch wenn die Taten fernab, wie hier in Syrien, stattgefunden haben.

Ein historischer Prozess, von dem ein Signal ausgehen soll

Stefanie Bock, Strafrechtsprofessorin Universität Marburg © NDR
Das Gerichtsverfahren sei für Deutschland ein Meilenstein in der Justizgeschichte, so Stefanie Bock von der Universität Marburg.

Das Gerichtsverfahren ist für viele Syrer ein wichtiger erster Schritt zur Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes und für Deutschland ein Meilenstein in der Justizgeschichte. Deutschland zeige damit, dass es aktiv am "Kampf gegen die Straflosigkeit internationaler Verbrechen teilnimmt", sagt die Strafrechtsprofessorin Stefanie Bock. "Dieses Koblenzer Verfahren ist ein bisschen die Antwort auf die Nürnberger Prozesse und zeigt: Deutschland hat aus seiner Geschichte gelernt." Auch Außenminister Heiko Maas sieht in dem Verfahren in Koblenz einen Prozess mit Signalwirkung: "Damit stärken wir das Weltrechtsprinzip und ermutigen weitere Staaten, auch national gegen Völkerrechtsverbrechen vorzugehen", sagte Maas Ende Oktober im Bundestag.

Doch wird das Gericht diesem Anspruch gerecht? Damit aus Koblenz ein Signal ausgehen kann, muss Öffentlichkeit hergestellt werden, es muss darüber berichtet werden. Und dafür braucht es die Arbeit von Journalistinnen, Wissenschaftlern und Nicht-Regierungsorganisationen. Doch viele Prozessbeobachter klagen über schwierige Bedingungen am Oberlandesgericht Koblenz.

Übersetzungsgeräte sind vorhanden - dürfen aber nicht genutzt werden

Hassan Kansou © NDR
Ist an fast jedem Prozesstag dabei und protokolliert das Verfahren: Hassan Kansou.

Der Prozess über syrische Staatsfolter weckt, naturgemäß, eine besonders große Aufmerksamkeit bei Syrern. Hassan Kansou ist einer der wenigen, die bei fast jedem Prozesstag dabei sind. Der Syrer protokolliert den Prozess für eine NGO, damit die Aufarbeitung der syrischen Staatsverbrechen auch außerhalb von Koblenz ankommt. "Ich möchte so präzise wie möglich vermitteln, was hier geschieht", sagt Kansou. Nur: Er kann dem Prozess nicht bis ins Detail folgen. Gerichtssprache ist Deutsch, wegen der Corona-Pandemie darf sich Kansou keinen Flüsterdolmetscher mit in den Gerichtssaal nehmen. "Gerade wenn es um schwierige juristische Begriffe geht, verstehe ich nur grob, worum es geht", sagt Kansou. Dabei komme es gerade bei Gerichtsverfahren auf jedes Wort an.   

Das Absurde: Es gibt eine Übersetzung auf Arabisch im Gerichtssaal. Mehrere Simultandolmetscher übersetzen den Prozess live für die Angeklagten und Nebenkläger - und es gibt auch Empfangsgeräte für diese Übersetzung. Aber das Gericht hat es zunächst verboten, diese Kopfhörer auch an die Berichterstatter zu verteilen. Begründung: "Gerichtssprache ist Deutsch". Außerdem befürchtete das Gericht, wenn die Arabischübersetzung zur Verfügung gestellt würde, könnten Medienvertreter anderer Sprachen sich benachteiligt fühlen. 

Bundesverfassungsgericht ermahnt Koblenzer Gericht

Hassan Kansou und ein syrischer Journalist beschwerten sich deshalb beim Bundesverfassungsgericht. Und bekamen Recht. In einer einstweiligen Anordnung entschied das Verfassungsgericht: Über den Prozess gebe es ein "großes Informationsbedürfnis (…) gerade in der syrischen Bevölkerung". Das Gericht müsse daher die "Chancengleichheit der interessierten Medienvertreter realitätsnah und nicht nur formal gewährleisten". Sprich: das Gericht müsse akkreditierten Medienvertretern mit besonderem Bezug zu Syrien Zugang zu einer Übersetzung ermöglichen.

Trotzdem können viele Beobachter dem Prozessgeschehen auch weiterhin nicht folgen. Denn die Vorsitzende Richterin beruft sich darauf, dass das Verfassungsgericht nur von "akkreditierten Journalisten" gesprochen hat. Nur: Bei dem Verfahren sind ganz viele Berichterstatter nicht akkreditiert, auch der NDR nicht - weil es gar nicht mehr möglich ist. Für das mehrjährige Gerichtsverfahren gab es nur acht Tage Akkreditierungszeit im März - viele Medien bekamen davon gar nichts mit. Nachakkreditierungen möchte das Gericht trotz mehrfacher Aufforderung von Journalisten aber nicht ermöglichen.

Hannah El-Hitami © NDR
Es sei zu kurz gedacht, nur die deutsche Öffentlichkeit erreichen zu wollen, so die Journalistin Hannah El-Hitami.

"Jetzt sitzen dort Journalistinnen und Journalisten zum Teil jeden einzelnen Prozesstag und haben Probleme, dem Verfahren auf Deutsch zu folgen", erzählt Sabine am Orde, die das Verfahren in Koblenz für die "taz" begleitet. "Und wenige Meter von ihnen entfernt findet die Übersetzung statt, aber sie bekommen diese Geräte nicht." Auch die freie Journalistin Hannah El-Hitami findet das problematisch. "Wenn man nur die deutsche Öffentlichkeit erreicht, ist das zu kurz gedacht", sagt die Journalistin. Gerade für viele syrische Opfer des Assad-Regimes seien Informationen über diesen Prozess wichtig - nicht zuletzt um Gerechtigkeit zu erfahren. 

Journalisten bekommen keine Informationen über Tagesordnung

Die Übersetzung ist nicht der einzige Punkt, der die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten erschwert. Das Verfahren dauert mehrere Jahre, dutzende Zeugen und Sachverständige werden geladen. Trotzdem gibt Gerichtssprecherin Petra Zimmermann den Medien keine Informationen darüber, welche Zeugen an welchem Verhandlungstag aussagen. Ihre Begründung: "Zeugenschutz". "Wenn Namen von Zeugen bekannt werden, ist die Gefahr einer Einflussnahme auf den Zeugen einfach eröffnet", betont Zimmermann im Interview mit ZAPP.

Sabine am Orde, "taz" © NDR
Die Übersetzung sei nicht der einzige Punkt, der die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten erschwere, so Sabine am Orde von der "taz".

"Wenn ich von der Pressestelle keine Informationen darüber bekomme, wer da geladen ist und wer an welchem Tag aussagt, dann ist es für mich eine schwierige Entscheidung zu sagen: Okay, ich fahre nach Koblenz oder nicht", sagt Sabine am Orde von der "taz". Die Redaktion wolle natürlich wissen, ob es sich für eine Dienstreise nach Koblenz lohne, Zeit und Kosten zu investieren. Die "taz" sitzt in Berlin, sechseinhalb Zugstunden von Koblenz entfernt. "Da überlegt man schon, ob man hinfährt oder nicht."

Nebenklagevertreter: "Gericht wird seiner Aufgabe nicht gerecht"

"Man kann Informationen mitteilen, die niemanden gefährden und die trotzdem das sehr berechtigte Informationsbedürfnis von Medienvertreterinnen und Medienvertretern befriedigen", sagt Rechtsanwalt Patrick Kroker, er vertritt syrische Folteropfer als Nebenkläger im Prozess. "Das Gericht hat natürlich in erster Linie über die Schuld oder Unschuld der beiden Angeklagten zu befinden", sagt Kroker. "Aber es gibt zumindest bei Verfahren von dieser Dimension eben auch eine große Wichtigkeit, das Ganze zu kommunizieren. Und da wird das Gericht, muss ich leider sagen, seiner Aufgabe überhaupt nicht gerecht."

Unterschätzt das Gericht die Dimension dieses Prozesses? Die Juristin Stephanie Bock forscht zu Kriegsverbrecherprozessen. Sie hat beantragt, dass von dem Verfahren in Koblenz zu wissenschaftlichen Zwecken der Ton aufgezeichnet wird. So wie es teilweise nach 1945 bei den Prozessen gegen die Nationalsozialsten gemacht wurde. "Wir müssen überlegen, was für einen Wert für uns heute die Aufzeichnungen der Nürnberger Prozesse und des Auschwitz Prozesses haben", sagt Stephanie Bock. "Es sind ganz große Momente der deutschen Justizgeschichte, und es wäre ein großer Verlust für zahlreiche Wissenschaftszweige, darauf nicht zugreifen zu können."

Auch keine Tonaufzeichnung für historische Zwecke

Doch das Gericht in Koblenz hat auch die Tonaufnahmen abgelehnt. "Das Gericht hat die Entscheidung getroffen, dass es die Zeugen in ihrem Aussageverhalten beeinträchtigen oder beeinflussen könnte, wenn sie wissen, dass all dies aufgezeichnet wird", begründet Gerichtssprecherin Zimmermann.

Besonders sensible Zeugen hätte man von der Aufnahme ausnehmen können, entgegnet die Völkerrechtlinerin Bock. Ohne die Tonaufzeichnungen gehe nicht nur die Möglichkeit einer historischen Aufarbeitung verloren, sondern auch die Möglichkeit für Syrer nach einem möglichen Ende der Assad-Diktatur in einem Friedensprozess auf die Aufnahmen und Erkenntnisse des deutschen Prozesses zurückzugreifen.

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