Dänisches Projekt: Journalisten mit Mission
Der Saal im Foyer des Verlagshauses von Fynske Medier ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwas mehr als 100 Abonnenten der Zeitung "Fyens Stiftstidende" sind gekommen, um zu erleben, wie Steen Metz von seiner Zeit in Theresienstadt berichtet. Er ist Holocaustüberlebender und stammt aus Odense, wo auch der Verlag beheimatet ist, auf der dänischen Insel Fünen. Der Abend mit Metz findet in der Reihe "Café Stiften" statt. Jede Woche können Abonnenten der Zeitung ein solches Event erleben - und zwar nur Abonnenten.
Organisiert wird die Veranstaltung von den Journalisten der zuständigen Redaktion. Leserwünsche für Themen werden aufgenommen oder die Redaktion schlägt etwas vor. Die Aufgabe geht reihum, jede ist mal dran. Heute ist es die Lokalredaktion Odense und Ivar Juel Nordentoft wird den dazugehörigen Artikel schreiben: "Das ist unsere Kernleserschaft. Für die schreiben wir."
Reichweitenverlust sorgte für Umbau
Solche offenen Leser-Foren sind Teil einer größeren Transformation des Medienhauses. Die Muttergesellschaft "Jysk Fynske Medier" gibt 13 Tageszeitungen heraus und erreicht nach eigenen Angaben mit einer Gesamtauflage von 150.000 Exemplaren gut eine halbe Million Leser. Mit weiteren kleineren Titeln und einigen lokalen Radiosendern ist es das zweitgrößte Medienhaus des Landes. Wie in den meisten Ländern kämpft es auch mit der Zeitungskrise, allein im vergangenen Jahr ist laut Verlag die Gesamtreichweite um 27 Prozent gesunken. Deshalb haben sie bei "Fyens Stiftstidende" etwas geändert.
Raus zum Leser und zum Berichtsobjekt
Gerd Maria May, Head of Editorial Development, und der inzwischen pensionierte damalige Chefredakteur Per Westergård hatten es satt, die sinkenden Auflagenzahlen zu beobachten und weiter nur zu berichten, "was ist". "Wenn man 30 Jahre zurückblickt, waren Journalisten unter Leuten in einer Bar und tranken Bier. Sie waren draußen und redeten ständig mit Leuten. In den letzten 30 Jahren haben sich die Journalisten immer mehr in diese großen, schönen Häuser zurückgezogen, sitzen hinter ihrem Schreibtisch, hinter ihrem Telefon. Und das ist ein Problem. Wir müssen die Leute, über die wir schreiben, auch treffen. Denn sonst sind wir nicht relevant." Und auch die Leser gilt es kennenzulernen. Daher nun die regelmäßigen Veranstaltungen. Doch der Umbau geht noch viel weiter.
Berichte sollen der Gemeinschaft dienen
Auf Fünen haben sie die journalistische Fremdbeobachterposition beim Kampf um die Leser verlassen. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne der Zeitung gegen die Maut einer Brücke, die die Insel mit Kopenhagen verbindet: "Broafgifnejtak" ("Brückenmaut, Nein Danke"). Mit Zeitungsbeilagen, Stickern und einer Facebook-Seite wurde Stimmung gemacht gegen die Maut - im Sinne der Leser. Dass sie dadurch an Glaubwürdigkeit verlieren, glaubt May jedoch nicht: "Tatsächlich gewinnen wir Glaubwürdigkeit. Weil wir uns eben nicht zurücklehnen und zuschauen. Wir helfen den Leuten, zusammenzukommen. Wir helfen Ihnen, die Informationen zu bekommen, um etwas zu verändern. Dann haben wir auch Glaubwürdigkeit. Und die Leute haben in ihrer lokalen Gemeinschaft einen Nutzen von uns."
Redaktion setzt Themen, Leser geben Ideen
Themen setze auch heute immer noch die Redaktion, sagt May. Allerdings höre man jetzt besser hin, wenn Leser etwas zu sagen haben. Dazu dienen die regelmäßigen "Café Stiften", aber auch Aktionen wie die sommerliche Bustour, bei der die "Fyens Stiftstidende"-Reporter über die Insel fuhren und bei den Bürgern nachgefragten, worüber man denn mal berichten sollte.
Seit der ersten Arbeitsgruppe zur Umstrukturierung sind inzwischen acht Jahre vergangen. Nach zahlreichen Diskussionen innerhalb der Redaktion und großen Bedenken auch von Journalisten-Kollegen, man würde durch die neue Arbeitsweise seine journalistische Unabhängigkeit verlieren, haben sich fast alle an die Veränderungen gewöhnt. Ganz aufhalten konnten sie den Leserschwund trotzdem nicht. Immerhin im ersten Halbjahr 2015 hat "Fyens Stiftstidende" ein Reichweitenplus von 2,1 Prozent erzielt. Vielleicht lag es an Mays Reformen.