Objektiver Blick? Nachrichten im Wandel
Die klassischen Nachrichten und ihre Macher sind unter Druck geraten: Unzählige Quellen informieren im Netz über das Tagesgeschehen. Einige begreifen sich als Journalisten, andere ziehen in Zweifel, ob es zwischen Journalismus und Aktivismus überhaupt eine definierbare Grenze gibt.
Einige glauben den Nachrichten nach eigenem Bekunden ohnehin nichts mehr, weil sie alle Informationen für interessengeleitet und -gesteuert halten. Diese Gruppe vertraut nur noch denjenigen, die das schreiben oder sagen, was sie selbst, ihr Freundeskreis oder ihre Facbook-Timeline denkt oder hören möchte.
Wie objektiv sind Nachrichten?
Der möglichst objektive Blick auf die Welt ist noch immer der Anspruch der meisten etablierten Nachrichtenmedien und -macher. Doch immer häufiger wird von Kritikern in Frage gestellt, inwieweit sie diesen hehren Anspruch auch erfüllen. Viele haben den Verdacht, dass die Nachrichtenmacher ihre eigene Position und Haltung nur verschleiern und nur so tun, als seien sie neutral, während die Berichterstattung in Wirklichkeit den Interessen der nationalen Eliten folgt. Die vermeintlich objektive Perspektive sei in Wirklichkeit der nationale Blick von Wirtschaft und Regierung.
Die Tagesschau als Dienstleister
Dem widerspricht Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell vehement: "Die Tagesschau bietet eine Dienstleistung für all die Menschen, die nicht die Zeit oder die Muße haben, sich durch diesen Informationsdschungel des Internets und der verschiedenen Angebote zu wühlen. Unser Kriterium heißt Relevanz. Wer die Tagesschau guckt, sollte nach dem Ende der Sendung erfahren haben, welche Entwicklungen in der Welt heute, an diesem Tag wichtig waren."
Das Weltbild der Nachrichten ist negativ
Aber auch dieser Anspruch an Objektivität kann häufig nicht erfüllt werden: Denn die Nachrichten zeichnen ein zu negatives Bild der Welt. Mit diesem Problem beschäftigt sich Hans Rosling, ein schwedischer Medizinprofessor, der seit Jahren mit einfachen Fragen zum Stand der Weltentwicklung sein Publikum testet. Mit Vorträgen und Internet-Videos weist er anhand statistischer Daten nach, dass keineswegs alles immer schlechter wird. Hunger und Armut zum Beispiel gehen weltweit zurück - obwohl immer mehr Menschen auf der Erde leben.
Das ist auch Kai Gniffke bewusst: "Wenn irgendwo ein Betrieb geschlossen wird, und es werden 1.000 Menschen auf die Straße gesetzt, ist das tendenziell in den Nachrichten drin", berichtet er. "Wenn aber in 10.000 mittelständischen Betrieben jeweils drei Leute eingestellt werden, ist das natürlich nicht in der Tagesschau. Deshalb glaube ich, dass wir in der Gefahr sind, nur bestimmte dramatische Ereignisse abzubilden, aber positive, schleichende Ereignisse, die auch zu der Realität gehören, ein bisschen durch den Rost fallen zu lassen."
"Constructive news"
Dieses Gefühl hatte der Nachrichtenchef des Dänischen Rundfunks, Ulrik Haagerup, bereits vor einiger Zeit. Er hat ein Buch geschrieben, das demnächst auf Deutsch erscheint: "Constructive News" - konstruktive Nachrichten also. Damit mein Haagerup keineswegs, dass Medien nun nur noch positiv berichten sollten.
Aber er möchte die journalistische Denkweise durchbrechen, wonach nur schlechte Nachrichten eine gute Geschichte abgeben: "Natürlich müssen wir über Ebola berichten, über AIDS und Hungersnöte", so Haagerup. "Aber unser Problem ist, dass viele Menschen sich von den Medien verabschieden, weil die Nachrichten deprimierend sind. Die Geschichten lassen die Zuschauer hilflos und abgestumpft zurück. Aber unser Job ist es, die Leute zu ermutigen. Sie sollen sich eimischen in die öffentliche Debatte. Die Meiden müssen einen Nutzen für die Gesellschaft haben. Ja, wir müssen uns um das Haar in der Suppe kümmern. Aber wir sollten daran denken, auch mal über die Suppe zu sprechen."
Nicht gut informiert
Trotzdem berichten Nachrichten jeden Tag über Klimaerwärmung, Kriege, Naturkatastrophen, Finanzmarktskandale, Eurokrise und Ebola. Eine Folge: Nur zwischen 7 und 23 Prozent der Befragten in westlichen Industrienationen wissen die richtigen Antworten auf Roslings Testfragen. Die allermeisten Teilnehmer schätzen die Entwicklung hingegen viel zu schlecht ein. Auch dieser Herausforderung an den eigenen Objektivitätsanspruch müssen sich Nachrichtenredaktionen in Zukunft stellen.