Achtung Satire: Ausgenutzt für politische Zwecke
Vergangene Woche zog ein Satire-Video über rassistische Polizeigewalt des Komikers Aurel Mertz eine Kaskade der Empörung nach sich. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer kommentierte auf Twitter: "gebührenfinanzierter Hass". NRW Innenminister Herbert Reul, ebenfalls CDU, nannte es einen "Schlag ins Gesicht jedes Polizeibeamten". Die deutsche Polizeigewerkschaft äußerte sich sarkastisch: "Das muss wieder diese 'SATIRE' sein!".
Satire polarisiert
Tatsächlich ist das Video eindeutig als Satire zu erkennen. Die darin dargestellten Polizisten sind grotesk überzeichnet, wirken eher albern und hilflos. Ein zur Verstärkung herbeigerufener Scharfschütze erschießt den vermeintlichen Fahrraddieb schließlich aus etwa einem Meter Entfernung. Wie kann ein humorvoller Beitrag so ernste Reaktionen hervorrufen?
"Satiriker sollen die Mächtigen entlarven, aber auch irgendwie unsere Ideologien, unsere Denkfehler und unseren Gruppenzwang entzaubern. Und das ist erstmal eine wichtige Funktion", meint Philosoph Philipp Hübl. Aber er gibt zu bedenken: "Satire kann sehr schnell verwendet werden für politische Polarisierungsdiskurse, weil man leicht etwas aus dem Kontext reißen und zeigen kann, wie schlimm oder unverantwortlich die Gegenseite ist, auf die man es abgesehen hat."
Gezielte Empörungswellen
Das Video von Aurel Mertz ist nur das jüngste Beispiel in einer Reihe von Debatten über satirische Beiträge. Immer wieder werden satirisch zugespitzte Videos quasi für bare Münze genommen, um daraus Empörung abzuleiten: Kurz vorm Jahreswechsel gab es einen erbitterten Streit über ein Lied des WDR-Kinderchors. Aus "Meine Oma ist ‘ne ganz patente Frau" wurde "Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau". Das mediale Echo war gewaltig, einige Kritikerinnen und Kritiker fühlten sich davon so verletzt, dass sie tagelang vor dem WDR-Funkhaus in Köln demonstrierten.
Fast zeitgleich wurde ein Video des NDR-Formats STRG_F angegriffen, in dem ein Chor die Zeile "Fick die Cops" sang. Dabei war der Clip Teil einer Reportage, die polizeifeindliche Raptexte kritisch hinterfragt. Im März schließlich sorgte ein Video des "Bohemian Browser Ballett" für Aufregung. Darin wird behauptet, das Coronavirus wäre "fair", denn: "es rafft die Alten hin, aber die Jungen überstehen es nahezu mühelos." Schließlich sei es die Generation der Über-65-jährigen, die den Planeten an die Wand gefahren habe. Auch dieses Video ist eindeutig als Satire erkennbar.
Social-Media-Analyse: Überschaubare Gruppe sorgt für Wirbel
Die Empörung in all diesen Fällen folgt einem Muster, erklärt Autor Sascha Lobo: "Häufig werden absolute Banalitäten von Rechten oder Rechtsextremen ausgegraben. Dann werden sie über soziale Medien, speziell über Blogs und Twitter, in die Breite gestreut. Da lauern diese Menschen regelrecht darauf, dass ernstzunehmende Konservative auf einmal merken: ‘Oh, hier muss man sich wohl empören.’ Das erreichen sie häufig, indem sie verkürzen, indem sie falsche Behauptungen aufstellen und indem sie Satire viel ernster nehmen, als man es eigentlich tun müsste."
Unsere Social-Media-Analyse zur Debatte um das Aurel Mertz-Video zeigt, dass tatsächlich zunächst nur eine überschaubare Gruppe von Bloggern und Twitterern für Wirbel sorgt.
"Bild" und Satirefreiheit
Wer diese Debatten jedoch regelmäßig aufgreift und damit erst richtig groß macht, ist die "Bild"-Zeitung. Und sie nimmt die Kritik an einzelnen Beiträgen immer wieder zum Anlass, die Legitimation und Finanzierung des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks infragezustellen. Sascha Lobo hält das für fatal: "Wenn man einzelne Beiträge benutzt, um gleich das ganze öffentlich-rechtliche System zu diskreditieren oder abschaffen zu wollen, dann ist das ungefähr so, als würde ein Scheibenwischer bei einem Auto kaputt gehen, und man bringt es gleich zur Schrottpresse."
Die "Bild"-Zeitung hat sich in der Vergangenheit immer wieder für Satirefreiheit eingesetzt, etwa 2016 in der Kontroverse um Jan Böhmermanns Schmähgedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Warum sie zuletzt aber immer wieder als scharfe Kritikerin von satirischen Inhalten auftritt, bleibt offen: Fragen dazu hat "Bild" nicht beantwortet.