Eine Luftbildaufnahme des Alfred-Wegener-Instituts auf Sylt © NDR Foto: NDR Screenshot

Wattenmeerforschung auf Sylt: 100 Jahre AWI-Station

Stand: 09.09.2024 11:50 Uhr

1924 war sie noch eine kleine Feldstation, heute ist die AWI Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts die nördlichste Forschungseinrichtung in Deutschland. Alles begann mit Austern.

von Jochen Dominicus

Timm Kress steht vor vier blauen Becken, die mit Nordseewasser gefüllt sind und hält ein paar Miesmuscheln in der Hand. Die Augen der Besucher um ihn herum werden größer, als er sie in eines der Becken fallen lässt. Denn die Seesterne darin machen sich umgehend auf dem Weg zu ihrer Beute. Der Mitarbeiter des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigt, wie Nahrungsnetze funktionieren und welche Tiere im Wattenmeer zu Hause sind. Wer frisst wen, und warum ändert sich die Zusammensetzung der Nahrung?

Mehrere Hundert Besucher zum Tag der offenen Tür

Eine Person verwendet ein Mikroskop © NDR Foto: NDR Screenshot
In einem Raum stehen Mikroskope, mit deren Hilfe Kleinstorganismen des Wattenmeers sichtbar werden.

Die Besucher am Tag der offenen Tür sind begeistert und löchern ihn mit Fragen. Sie kommen unter anderem aus Süddeutschland, dem Rheinland, aber auch von Sylt selbst. Trotz des schönen Wetters haben ein paar Hundert den Weg zur AWI Wattenmeerstation in List gefunden und durchstöbern die Forschungseinrichtung. An einer Station zeigen die Wissenschaftler zum Beispiel, wie Austern Wasser filtern.

Wie entwickelt sich das Ökosystem Wattenmeer?

Die Wattenmeerstation auf Sylt ist die nördlichste Forschungseinrichtung in Deutschland. 1924 war es noch eine kleine Feldstation und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem modernen Forschungsstandort. Heute liefert sie wichtige Forschungsergebnisse unter anderem zum Ökosystem Wattenmeer und den Folgen des Klimawandels.

Alles begann mit der Auster

Austernzucht, 1938. © Archiv Biologische Anstalt Helgoland
Der Standort List war auf Grund der Austernbänke schon damals ideal für eine Forschungsstation.

Zu Beginn 1924 drehte sich die Forschung vor allem um die Austernbänke in der Nordsee. Die waren aufgrund von massiver Fischerei stark zurückgegangen. Warum, sollten die Forscher ans Licht bringen und mehr über die Lebensbedingungen der bedrohten Muschel herausfinden. Da es in List auf Sylt Austernanlagen gab, war der Studienort hier perfekt.

Die "Biologische Anstalt Helgoland", zu der die Wattenmeerstation auf List früher noch gehörte, schloss mit der Austernfischerei-Aktiengesellschaft einen Vertrag über die wissenschaftliche Nutzung eines Teils des Gebäudes auf Sylt ab. Der Grundstein für die Wattenmeerstation war gelegt.

Heute arbeiten 45 Wissenschaftler und Mitarbeiter in der Forschungseinrichtung, die seit 1998 zum Alfred-Wegener-Institut, Helmholz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung gehört. Gastforscher aus der ganzen Welt und viele Hundert Studenten kommen jedes Jahr hierher, wollen mehr über das bedrohte Ökosystem Wattenmeer lernen. "Das ist tatsächlich ein Geschenk, so eine Station zu haben, weil Umweltveränderungen an der Küste unmittelbar erkannt und erforscht werden können. Man kann quasi draußen Experimente durchführen, ohne lange Strecken zurücklegen zu müssen", sagt Prof. Dr. Maarten Boersma. Er ist seit Juli Direktor der AWI-Wattenmeerstation.

Temperaturanstieg: Zwei Grad in 60 Jahren

Forschungsschwerpunkt heute: Die Folgen des Klimawandels für das Ökosystem Wattenmeer. Wie werden sich Nordsee und Wattenmeer verändern? Die Auswirkungen sind bereits heute zu spüren. Die Oberflächentemperatur in der südöstlichen Nordsee ist innerhalb von 60 Jahren um knapp zwei Grad gestiegen. Betroffen sind auch die Austern, die der Ursprung der Forschung war, so Direktor Boersma. "Pazifische Austern haben wir ausreichend, aber die europäische Austern sind nicht mehr da und die sind extrem wichtig und das ist ein wichtiges Forschungsthema."

Die Nordsee und das Wattenmeer besser schützen

Seit einigen Jahren wird intensiv in einer ehemaligen Watt- und Gezeiten-Anlage geforscht. Große Seewassertanks, sogenannte Mesokosmen, stehen dafür zur Verfügung. 1.800 Liter Wasser passen dort hinein. "Natürlich hoffen wir auch, dass wir mit unserer Forschung beitragen können zu Lösungen, wie wir das Wattenmeer, aber auch die Nordsee als großes Ganzen besser schützen und nachhaltig nutzen können", sagt der Direktor und blickt mit ein wenig Stolz auf den Trubel in den Räumen der Station.

Höhepunkt für viele ist der Besuch des Forschungsschiffs "MYAII", das im Hafen von List liegt. Dort erfahren sie unter anderem, wie sich Temperatur und pH-Wert in der Sylt/Römö Bucht in den vergangenen 40 Jahren verändert haben. Auf dem Deck stehen vier kleine Schau-Aquarien mit Muscheln und Krebsen, die ein Mitarbeiter genau erklärt.

Weltweite Nutzung der Daten aus dem AWI Sylt

Auch die ehemalige Direktorin der Station und aktuell stellvertretende Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Karen Helen Wiltshire, ist beim Tag der offenen Tür dabei. Sie erforscht seit 2001 die Veränderungen der Ökosysteme in der Nordsee. Ihre Messreihen gelten als wichtige globale Meeresdatensätze und werden weltweit für Klimamodelle benutzt.

"Es ist schwer im Moment Klimaforscher zu sein." Karen Helen Wiltshire, ehem. Direktorin AWI Wattenmeerstation

Dass so viele Menschen die Forschungseinrichtung besuchen, macht Wiltshire glücklich. "Sie glauben nicht, wie schwer das ist, im Moment auf dieser Erde Klimaforscher zu sein." Es gebe viel Gegenwind für die Forschenden, doch an diesem Tag hörten sie auch ein Dankeschön von den Besuchern in List. Forschung soll und muss erlebbar sein, sagt die AWI-Chefin noch schnell und eilt zu ihrem Vortragsraum. Die Besucher am Tag der offenen Tür warten schon.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 08.09.2024 | 19:30 Uhr

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