"Graue Wohnungsnot": Die Angst der Senioren

Stand: 30.01.2024 19:00 Uhr

Auch Senioren trifft die Wohnungsnot. Landesweit fehlen Millionen barrierearme Wohnungen. Manche Rentnerin muss selbst im hohen Alter noch arbeiten, um die Miete einer nicht mehr geeigneten Wohnung zahlen zu können - findet aber keine andere.

von Jan Körner und Esra Özer

Ralf Grove sitzt mit einem Becher und einer Zeitschrift in seiner Küche am Tisch. © NDR
Ralf Grove bräuchte eine barrierearme Wohnung, kann sich die Mieten aber nicht leisten.

Ralf Grove braucht eigentlich ein barrierearmes, altersgerechtes Zuhause. Der ehemalige Koch zog vor 24 Jahren in seine 40 Quadratmeter große Wohnung. Vor etwa zehn Jahren bekommt er schwere gesundheitliche Probleme und muss aufhören zu arbeiten. Der 61-Jährige bezieht fortan eine Berufsunfähigkeitsrente.

Grove würde heute gerne in eine altersgerechte Wohnung umziehen. Doch davon gibt es nur wenige im Ort. Und die seien auch noch viel zu teuer. "Ab 64 Quadratmeter fangen die Mieten meines Wissens nach an und die Kaltmiete pro Quadratmeter beträgt zehn Euro. Und das kann ich mir wahrhaftig nicht leisten."

Nach Abzug der Miete und seinen Fixkosten bleiben ihm schon heute nur noch 300 Euro zum Leben. "Und da spart man sich hier und da mal was ein, dass man auch mal einen Kaffee trinken gehen kann", erzählt er. Wie lange er noch in seiner Wohnung so weiterleben kann, weiß er nicht. Die Suche nach einer altersgerechten Wohnung möchte er nicht aufgeben, denn seine Beschwerden verschlimmern sich mit dem Alter zunehmend.

Bundesweit fehlen Millionen barrierearme Wohnungen

Zurzeit gibt es etwa 600.000 altersgerechte Wohnungen in der ganzen Republik, doch der Bedarf ist um ein Vielfaches höher und wird Jahr für Jahr weiter ansteigen. Laut einer Studie des Pestel-Instituts aus dem vergangenen Jahr fehlen in Deutschland aktuell etwa 2,2 Millionen altersgerechte Wohnungen, ohne Treppenstufen, dafür mit bodengleicher Dusche und Platz für das Rangieren mit Rollstuhl oder Rollator. 

Andreas Breitner, Geschäftsführer des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen, mahnt: "Wir brauchen mehr Wohnungen in Deutschland. Die Bundesregierung geht ja von einem Plus von 400.000 Wohnungen aus. Wir schaffen mal gerade gut 200.000. Die Nachfrage ist aber deutlich höher. Das bedeutet, der Wohnungsmarkt wird enger und enger und dann bleiben einkommensschwache Gruppen schneller auf der Strecke."

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Rikarda Hummel © NDR
Rikarda Hummel würde gerne aus ihrer Wohnung ausziehen.

Die 80-jährige Rikarda Hummel wohnt seit 54 Jahren in ihrer Wohnung in Iserbrook im Hamburger Westen. Hier hat sie als Alleinerziehende ihr Kind aufgezogen. Inzwischen bereitet ihr die Wohnung viele Probleme: Schwellen zwischen den Zimmern oder der hohe Badewannenrand. Schon mehrere Male ist sie - wegen der Hindernisse - in der Wohnung gestürzt, erzählt die Rentnerin.

Noch viel mehr Sorgen bereite ihr jedoch die hohe Miete. Ihre Wohnung ist für sie als Alleinstehende zu groß. Für 96 Quadratmeter muss sie knapp 1.000 Euro im Monat zahlen. So bleiben ihr von 1.300 Euro netto Rente nur noch 300 Euro zum Leben. Auch mit 80 Jahren ist sie so gezwungen, nebenbei zu arbeiten. "Ich arbeite vor allen Dingen, um meine Miete zu bezahlen, das ist der Hauptgrund. Ich würde auch mal gerne einen Kaffee trinken oder auch mal Kuchen essen gehen können."

Seniorengerechte Wohnungen zu finden sei schwer, zumal sie dafür einen Wohnberechtigungsschein bräuchte. Aber den bekam sie lange nicht, wegen ihres Zuverdiensts, den sie wiederum zum Leben benötigt - ein Teufelskreis. Die Arbeit habe sie nun gezwungenermaßen reduziert und dadurch einen Wohnberechtigungsschein erhalten. In den kommenden Monaten möchte Hummel sich nun intensiv um eine Wohnung bemühen.

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Mehr altersgerechte Wohnprojekte könnten helfen

Die wenigen geförderten Wohnbauprojekte sind stark gefragt. Monika Rössig hatte großes Glück. Die 81-jährige Rentnerin wohnt in einer barrierearmen Wohnung im Hartwig-Hesse-Quartier im Hamburger Stadtteil St. Georg. Knapp 1.300 Euro Rente bekommt sie monatlich und komme gut zurecht, sagt sie. Auch weil die Wohnung nur 500 Euro warm kostet. 43 Quadratmeter, ein Fahrstuhl, keine Treppenstufen und auch keine Badewanne, in die sie sowieso nicht mehr reinkäme, erzählt sie.

Markus Greb ist der Leiter der Hartwig-Hesse-Stiftung, die zu sich zu großen Teilen durch Spendengelder finanziert: "Schon zur Eröffnung hätten wir das Haus zehnmal füllen können. Und so ist auch jetzt die Nachfrage. Wir haben viel mehr Menschen, die eine günstige, barrierefreie Wohnung suchen, als wir zur Verfügung stellen können." Er würde gerne mehr bauen, doch aufgrund steigender Zinsen könne sich die Stiftung momentan keine weiteren Bauprojekte leisten. Ein aktuelles Projekt wurde kürzlich sogar auf unbestimmte Zeit gestoppt. Die Baukosten wären zu hoch und das Risiko, geförderte Baukredite aufzunehmen, um mehr altersgerechte und bezahlbare Wohnungen zu schaffen, sei für die Stiftung allein finanziell nicht leistbar.

Luftaufnahme von Wohnblöcken © NDR
Es werden viel mehr Wohnungen gebraucht als tatsächlich gebaut.

Hinzu käme der steigende Pflegebedarf, da Deutschland immer älter wird: "Unsere klassischen Versorgungsformen, wie ambulante oder stationäre Pflege können dieser Nachfrage gar nicht gerecht werden. Das heißt, wir brauchen alternative Wohnformen, wir brauchen barrierefreie Wohnungen, wir brauchen günstige Wohnungen. Und da ist einfach viel zu tun."

Förderung für Umbauten reiche nicht aus

Das Bundesbauministerium beteuert Panorama 3 gegenüber, dass im Jahr 2024 für altersgerechte Umbaumaßnahmen bereits existierender Wohnungen 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden - wenn der Bundeshaushalt wie geplant verabschiedet wird. Experten des Pestel-Instituts haben hingegen einen Bedarf von mindestens 500 Millionen Euro für altersgerechte Neu- und Umbauten errechnet, denn die Deutschen werden immer älter, die geburtsstarken Jahrgänge gehen in den nächsten Jahren in Rente. Es müsste also dringend mehr altersgerechter Wohnraum entstehen. Doch bis neue Programme für altersgerechte Wohnungen zu Ergebnissen führen, müssen Betroffene wie Ralf Grove oder Rikarda Hummel mit ihrer jetzigen Situation weiterleben.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 30.01.2024 | 21:15 Uhr

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