Bund lässt immer mehr eigene Wohnungen leer stehen
Der Leerstand bundeseigener Wohnungen im Norden hat einen neuen Höchstwert erreicht. Und das trotz Wohnungsnot und explodierender Mieten.
Der Grotefendweg im Hamburger Stadtteil Iserbrook. Doppelhaushälfte reiht sich an Doppelhaushälfte. Garten an Garten. Unterbrochen nur von der Elbkinder Grundschule. Der Name verrät schon: Die Elbe ist nicht weit. Auf dem hart umkämpften Hamburger Immobilienmarkt würde man wohl von einer gehobenen Wohnlage sprechen.
Hier im Grotefendweg stehen Irmtraut Masberg und Frank Thöne vor ihrem ehemaligen Haus. 40 Jahre haben sie hier insgesamt zur Miete gelebt. Im August 2020 ist das Paar dann in eine nahegelegene Seniorenresidenz gezogen.Ihr Haus steht seitdem leer. Seit 21 Monaten. 110 Quadratmeter, die Grundschule direkt nebenan. "Eigentlich perfekt für junge Familien", wundert sich Irmtraut Masberg: "Und auch innen ist das Haus schön aufgeteilt. Unten zwei Zimmer ineinander übergehend, Wohnzimmer zur Sonnenseite, eine große Küche." Frank Thöne fragt sich, warum der Vermieter sich die Miete entgehen lässt: "Wir haben 1.200 Euro Kaltmiete gezahlt. Das mal 21 Monate, dann sind wir bei 25.000 Euro."
Der Staat als Vermieter
Der Vermieter, das ist nicht irgendwer - der Vermieter ist der Staat. Genauer: Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BImA. Die vermietet überwiegend an Beamte.
Und dem Staat entgeht noch mehr Geld: Sechs der 22 Doppelhaushälften der BImA in der Straße sind aktuell nicht mehr bewohnt, eine sogar schon seit über vier Jahren, erzählen die Anwohner. "Wenn früher mal jemand ausgezogen ist, dann waren zwei Wochen später die Maler da. Und dann kam auch schon die nächste Familie", erzählt Shoana Abry, die seit 20 Jahren im Grotefendweg wohnt. Heute wird sie regelmäßig von Freunden und auch Passanten auf die leeren Häuser angesprochen: "Die fragen dann immer: Wieso kommt man an diese schönen Häuser nicht ran? Von der BImA heißt es dann immer nur: Die Objekte sind nicht zu mieten, sind in einem nicht vermietbaren Zustand. Oder es gibt gar keine Antwort."
Auf Nachfrage von Panorama 3 teilt die BImA mit, dass die leerstehenden Häuser im Grotefendweg so schnell wie möglich saniert und dann wieder vermietet werden sollen. Doch weil die Anstalt damit schon seit längerem nicht so recht in die Gänge kommt, wurde ihr vom zuständigen Bezirksamt Hamburg-Altona sogar schon ein Bußgeld angedroht. Denn dauerhafter Leerstand von Wohnraum ist in Hamburg verboten.
Allein in Hamburg 22 Prozent BImA-Wohnungen leer
Bundeseigene Wohnungen finden sich in ganz Norddeutschland. Und in ganz Norddeutschland steht ein nicht unerheblicher Teil dieser Wohnungen leer: Eine aktuelle Parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hat ergeben, dass in Hamburg - Stand 31. März 2022 - knapp 22 Prozent aller Wohneinheiten der BImA unbewohnt sind. In Bremen sind es sogar knapp 32 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern etwa zehn Prozent, in Schleswig-Holstein 22 Prozent und in Niedersachsen beträgt der Leerstand fast 20 Prozent.
Ein besonders eklatantes Beispiel in Niedersachsen ist die die sogenannte "Englische Siedlung" im Oldenburger Stadtteil Alexandersfeld. Hier lebten in den 50er-Jahren die in Oldenburg stationierten englischen Soldaten. Jetzt gehören die 97 Reihenhäuser der BImA. Mittlerweile stehen 18 davon leer, teilweise seit mehreren Jahren. Anwohner Herbert Pfaus ärgert sich darüber, angesichts der Wohnungsnot in der Stadt. "Die Nachfrage ist ja da, wir werden immer wieder darauf angesprochen." Vor allem junge Familien würden sich für die Häuser interessieren. Was Pfaus besonders wurmt: Elf der Häuser seien bereits saniert - und sind trotzdem noch nicht neu bezogen, eines schon seit etwa einem Jahr. Den Grund für den Leerstand teilt die BImA nicht mit, gegenüber Panorama 3 heißt es von ihr lediglich, dass sie diese bald vermieten und die restlichen ab Herbst sanieren lassen würde.
Ist ein Leerstand wie bei der BImA normal für ein öffentliches Immobilienunternehmen? Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW): "Wir haben große kommunale Wohnungsunternehmen, die kennen keinen Leerstand, die sanieren, modernisieren, setzen instand und bauen sogar neu. Die kennen jede Wohnung genau und achten darauf, dass sie nicht leer steht, sondern schnell wieder vermietet wird." Die Situation bei der BImA sei ein "Missstand", gar eine "Sünde angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum".
Und die Situation verschlechtert sich weiter. Bundesweit waren Ende März von den insgesamt rund 38.000 Wohneinheiten im Bestand der Anstalt 4.977 nicht genutzt. Nimmt man die fast 1.500 leerstehenden Objekte dazu, die man laut BImA als wohnungsähnlich bezeichnen könnte und die grundsätzlich etwa für die temporäre Unterbringung von Geflüchteten geeignet seien, erhöht sich der Leerstand auf 6.455 Objekte. Das entspricht einer Gesamtfläche von mehr als einer Million Quadratmetern. Ein neuer Höchstwert: Am 31.10.2020 waren noch 3.260 von damals rund 35.800 bundeseigenen Wohnungen ungenutzt.
BImA-Probleme Thema im Bundestag
Viele ihrer Wohnungen seien in einem schlechten Zustand, heißt es von der BImA gegenüber Panorama 3. Die Sanierung würde noch längere Zeit in Anspruch nehmen, "aufgrund der großen Anzahl der Aufgaben, aber auch wegen der aktuell sehr angespannten Lage in der Baubranche". In den kommenden Jahren werde man nahezu alle Mieteinnahmen aus dem Bereich Wohnen in die Sanierung investieren, kündigte die Anstalt an. Ziel sei ein durchweg guter Wohnungsbestand, den der Bund noch lange nutzen könne.
Dieses Ziel habe die BImA schon lange, berichtet Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag und Mitglied des Bauausschusses. Dort seien die BImA-Probleme immer wieder Thema: "Die BImA ist ja die Immobilienbehörde des Bundes. Und deswegen ist es höchst politisch, was die größte Liegenschaftsverwaltung des Bundes mit ihrem Besitz tut. Und sie macht es nicht gut. Wenn der Bund glaubwürdig sein will mit einer sozialen Baupolitik, dann sollte er vielleicht mal bei seiner eigenen Behörde anfangen!"
Immerhin will die BImA im Grotefendweg in Hamburg im Spätsommer mit ersten Sanierungsarbeiten beginnen. Ob das ehemalige Haus von Irmtraut Masberg und Frank Thöne dabei ist - unklar. Die beiden wären jedenfalls froh, wenn dann dort nach über zwei Jahren Leerstand endlich eine junge Familie einziehen könnte.