Prof. Andreas Löschel im Interview © NDR

Wo stehen wir mit der Energiewende?

Prof. Andreas Löschel ist Energieökonom an der Ruhr-Universität in Bochum. Seit vielen Jahren ist er Mitglied einer Expertenkommission, die im Auftrag der Bundesregierung die Umsetzung der Energiewende beobachtet. Mit Panorama 3 Autor Nils Naber spricht er über die größten Herausforderungen der Energiewende.

von Nils Naber

Welche Herausforderungen beim Ausbau der Erneuerbaren müssen jetzt angegangen werden?

Prof. Andreas Löschel: "Die hohe Ausbaugeschwindigkeit bei den Erneuerbaren ist ein Segen für den Klimaschutz. Aber sie stellt uns auch vor großen Herausforderungen im Energiesystem. Wenn die Erneuerbaren wirklich liefern, also wenn die Sonne scheint und wenn der Wind weht, dann haben wir eine Stromproduktion, die deutlich die Nachfrage übersteigt. Probleme entstehen aber auch, wenn Wind und Sonne gerade keinen Strom liefern. Auch dafür braucht es eine robuste Lösung. Das bedeutet, wir brauchen für die nächsten Jahre starke Investitionen in regelbare Erzeugungskapazitäten, in Gaskraftwerke, die uns dann genau für diese Momente absichern können."

Wieso haben wir zeitenweise ein Überangebot an Strom?

Prof. Andreas Löschel: "Wir haben die Pläne für den Ausbau vor dem Hintergrund geschaffen, dass wir eine starke Elektrifizierung in den verschiedenen Bereichen erwartet haben. Wir sehen aber, dass wir augenblicklich in verschiedenen Bereichen deutlich hinter diesen Erwartungen herhinken, beispielsweise bei den Elektrolyseuren (die aus Strom Wasserstoff produzieren, Anm. der Red.), bei den Wärmepumpen oder bei der Elektromobilität. Wir sehen auch, dass die energieintensive Industrie ihre Nachfrage nach Strom massiv heruntergefahren hat, fast um ein Viertel wegen Verlagerungen oder Produktionskürzungen. Das heißt, auch da ist Nachfrage ausgefallen und kommt vielleicht auch nicht zurück. Noch dazu fehlt die Flexibilität der Nachfrage. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage droht so beim Strom aus dem Gleichgewicht zu kommen."

Hat Deutschland die Digitalisierung des Stromnetzes verschlafen?

Prof. Andreas Löschel: "Ja, ich glaube, das muss man wohl so sagen. Mehrere Jahre sind ins Land gegangen, ohne dass spürbar etwas passiert ist. Dann wurde 2023 ein Neustart verkündet. Und das bedeutet, viele Haushalte, haben heute keine intelligenten Messsysteme, keinen sogenannten Smart Meter, ganz im Gegensatz zu der Situation in den meisten europäischen Ländern. Hier wurde etwas verschlafen und das ist ein ganz großes Hemmnis in der Energiewende, weil die Integration von schwankenden Erneuerbaren ohne Echtzeitdaten und Steuersignale nicht klappt. Ohne Smart Meter lassen sich viele kleine PV-Anlagen auf Hausdächern durch die Netzbetreiber zur Not nicht runterregeln, wenn das Netz voll ist. Ohne Smart Meter funktionieren auch flexible Strompreise nicht. Diese müssen zeigen, ob die Erneuerbaren gerade viel Energie liefern, dann ist der Strom günstig. Das Gegenteil ist der Fall, wenn die Erneuerbaren wenig produzieren, dann ist der Strom teuer. Dieses Signal muss bei den Haushalten ankommen, das muss bei den Unternehmen ankommen."

Wie soll sich die Industrie an die neuen Gegebenheiten anpassen?

Prof. Andreas Löschel: "Die Industrie steckt natürlich hier in einer schwierigen Situation, weil die Strompreise in der Vergangenheit für die Unternehmen in Deutschland schon hoch waren und in den letzten Jahren sogar noch angestiegen sind. Wie können Unternehmen damit umgehen? Sie müssen innovativer sein, weil Deutschland ein Land ist, das auch in der Zukunft geprägt sein wird von hohen Energiepreisen. Das wird so kommen. Ich sehe da eigentlich keinen Weg drum herum."

Werden Industrieunternehmen, die viel Strom verbrauchen, künftig Schwierigkeiten haben?

Prof. Andreas Löschel: "Ja, da wird es Probleme geben. Das muss man einfach sagen. Wir haben einen strategischen Nachteil bei den Energiepreisen, weil in anderen Ländern die erneuerbaren Energien weitaus günstiger produzieren können als bei uns. Schauen Sie beispielsweise in die USA, dort gibt es riesige Erneuerbarenpotentiale die für günstigen Strom sorgen werden. Das bedeutet nicht, dass es bei uns gar keine Industrieunternehmen mehr geben wird, die viel Strom verbrauchen. Aber es werden wahrscheinlich weniger sein als heute. Die Wertschöpfungsketten justieren sich neu und vermutlich werden wir mehr energieintensive Vorprodukte importieren.

Was gibt uns die Sicherheit, dass die Energiewende am Schluss funktioniert?

Prof. Andreas Löschel: "Ich glaube, die Energiewende ist tatsächlich eine große Herausforderung. Wir sehen, dass wir schon auf dem richtigen Weg sind. Es gibt eine große Tendenz zum Ausbau der Erneuerbaren in allen Regionen der Welt, weil es sich einfach lohnt. Aber es gibt auch die Notwendigkeit, ein Energiesystem darum herum zu schaffen, das auch in Zukunft sicher und bezahlbar bleibt. Man muss also sehr genau überlegen, wie die verschiedenen Bausteine des Energiesystems sinnvoll ineinander greifen, vom Ausbau der Erneuerbaren und der neuen regelbaren Kraftwerken, über die Flexibilisierung der Nachfrage und das Netz bis hin zur Nutzung von Wasserstoff in Bereichen, die schwer zu elektrifizieren sind."

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