Vorsorgevollmachten: Betrüger missbrauchen Vertrauen
Viele Menschen haben Angst davor, im Alter nicht mehr für sich selbst entscheiden zu können. Für diesen Fall kann man einer Person des Vertrauens eine Vorsorgevollmacht ausstellen. Doch diese ist längst nicht so sicher wie angenommen.
Anfang Januar betritt Stefan Prütz das erste Mal die Wohnung seiner gerade verstorbenen Mutter. Seit drei Jahren hatte er keinen Kontakt mehr zu ihr. Er vermutet schon länger, dass seine Mutter Betrügern aufgesessen ist. Doch wie konnte es soweit kommen?
Seine Mutter stellt ihm vor Jahren, als sie noch geistig fit ist, eine allumfassende Vorsorgevollmacht aus. Damit bevollmächtigt sie ihren Sohn, sie in allen Angelegenheiten, auch in Bankgeschäften zu vertreten, für den Fall, dass sie einmal nicht mehr für sich selber entscheiden kann. Als sie 2019 ihr Haus in Berlin stark unter Wert verkaufen möchte, hält das Stefan Prütz für keine gute Idee. Er vermutet den Beginn einer Demenz, denn sie zeigt auch andere Verhaltensauffälligkeiten und will eingreifen.
Viel Geld verschwindet
Doch die Mutter will davon nichts davon wissen, sie hält sich selbst für völlig klar, verkauft schließlich ihr Haus unter Wert und zieht in eine Wohnanlage für Senioren nach Eutin. Dort bricht sie den Kontakt zu ihrem Sohn ganz ab. Nur ein Jahr nach ihrem Umzug stellt sie einer Pflegerin der Einrichtung, die sich besonders um die Mutter kümmert, eine weitere Vorsorgevollmacht aus, der Sohn soll seine Vorsorgevollmacht zurückgeben.
Das macht Stefan Prütz nicht, dennoch blockt die Mutter jeglichen Kontakt zu ihrem Sohn ab. Er hat keinerlei Übersicht mehr über das Leben und die Geldgeschäfte seiner Mutter. Erst nach ihrem Tod Ende 2022 kann er in ihre Wohnung. Und er findet, was er die ganz Zeit schon vermutet hatte: Mehrmals werden auffällig hohe Geldsummen von ihrem Konto abgehoben, die er sich nicht erklären kann. Seine Mutter sei sehr sparsam gewesen, hätte eine gute Rente gehabt und seiner Ansicht nach keinerlei Verwendung für diese Beträge.
Testament begünstigt Pflegerin
Als er dann die Wohnung ausräumt, muss er noch eine Entdeckung machen: In einem der Schränke liegt ein Testament, das die Mutter auch bei einem Notar hinterlegt hat. Hier ist die Pflegerin als Alleinerbin eingesetzt, der Sohn soll nur seinen Pflichtanteil bekommen. Hat es die Pflegerin offenbar darauf angelegt, an das Vermögen der Mutter zu kommen? Beweise gibt es bislang nicht. Der Anwalt von Stefan Prütz versucht Kontakt zu der Pflegerin aufzunehmen - vergeblich. Auch auf unsere Nachfragen äußert sie sich nicht.
Unfall, Schlaganfall, Demenz: Für den Fall, selbst nicht mehr entscheiden zu können, sorgen viele Menschen vor. Wenn sie geistig noch fit sind, stellen Sie einer Person ihres Vertrauens eine Vorsorgevollmacht aus, mit der sie dann im Notfall vertreten werden können. Ohne diese Vollmacht haben weder Freunde, Verwandte noch der Ehepartner das Recht für jemanden stellvertretend zu handeln. Doch eine Vorsorgevollmacht ist längst nicht so sicher wie angenommen.
Polizei sieht Handlungsbedarf
In Berlin gibt es ein spezielles Kommissariat für den Betrug mit Vorsorgevollmachten: das Landeskriminalamt 222. Kriminalhauptkommissarin Annett Mau weiß, dass inzwischen nicht nur Einzeltäter aus dem Pflegebereich versuchen, an das Vermögen der alten Menschen zu kommen, sondern längst sind gewerbsmäßige Banden unterwegs, um sich das Vertrauen erschleichen.
Am Ende geht es immer um hohe Geldbeträge, Immobilien, einfach das gesamte Vermögen. Annett Mau sagt: "Die Täter haben oft ein leichtes Spiel, denn die Senioren sind oft einsam und dazu meist noch dement, Verwandte wohnen weit weg." Für die Polizei ist allerdings die Beweisbarkeit ein großes Problem, denn oft fehlt es an Unterlagen und Dokumenten, die die Täter überführen könnten. Und die Verwandten haben meist den Kontakt zu ihren Angehörigen verloren oder kommen nicht mehr an sie ran.
Denn dafür haben die Täter gesorgt: Anrufe werden nicht weitergereicht und gegenüber den Senioren wird behauptet, die Angehörigen hätten sich nicht gemeldet. Schlösser werden ausgetauscht und Haustüren nicht geöffnet. Und so vertrauen die alten Menschen schließlich nur noch dem vermeintlichen Pflegepersonal und stellen ihnen sogar Vorsorgevollmachten inklusive Bankvollmacht aus.
Regierung schiebt Gesetzesänderung vor sich her
Dietmar Kurze ist Fachanwalt für Erbrecht und Vorsorgerecht. Er hält es für enorm wichtig, dass die entsprechenden Gesetze, die die Senioren schützen sollen, verbessert werden. Für ihn ist es eine Aufgabe des Staates, sowohl auf Gesetzesebene als auch auf der Umsetzungsebene mehr zu tun. Wichtig sei erst einmal eine Diskussion, nur so könne ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit und vor allem bei Gerichten für die Fälle geschaffen werden.
Im aktuellen Koalitionsvertrag steht zwar: "Wir werden ältere Menschen vor Diskriminierung und vor finanzieller Ausbeutung - insbesondere durch Vorsorgevollmachten - schützen", doch von einer konkreten Umsetzung konnte Kurze bislang nichts erkennen. Wichtig wären seiner Auffassung nach Anlaufstellen für Opfer und Betroffene, denn die wüssten häufig gar nicht, an wen sie sich wenden könnten. Außerdem müsste die Zahl der Delikte erfasst werden, damit man einen Überblick habe, um wie viele Taten es sich eigentlich handele. Daneben sei Prävention und Aufklärung, wie es Kriminalhauptkommissarin Annett Mau seit Jahren vor Ort anbietet, sehr wichtig, um auf das Thema aufmerksam zu machen.
All diese Maßnahmen helfen Stefan Prütz nicht mehr. Nur knapp eineinhalb Jahre nachdem sie in die Wohnanlage gezogen ist, konnte die Pflegerin so ein Vertrauen zu der sonst sehr misstrauischen Mutter aufbauen, dass sie sie sogar in ihrem Testament bedacht hat. Stefan Prütz bleibt nur noch der Weg der Klage und Strafanzeige - doch das kann Jahre dauern und die Beweislage ist nicht einfach.