Vorsorgevollmacht: Missbrauchsgefahr
Evelyn Nolte hat in ihrem Arbeitsleben viel gespart: Als Ärztin hat sie bewusst Geld für ihr Alter und einen sorglosen Lebensabend zurückgelegt. Doch es kommt anders: Sie erkrankt so schwer, dass ihr ein Unterschenkel amputiert werden muss. Obwohl sie starke Medikamente nimmt, geht es ihr zusehends schlechter.
Ihre Familie muss hilflos zuschauen, wie die Mittel sogar ihre Persönlichkeit verändern. So stark, dass sie sich schließlich ganz von der Familie abwendet. Eine private Freundin steht ihr während dieser Zeit zur Seite.
Eine fatale Entscheidung
Sie gewinnt das Vertrauen von Evelyn Nolte bis diese eine folgenschwere Entscheidung trifft: Zusammen mit einem Notar setzt Evelyn Nolte eine sogenannte Vorsorgevollmacht auf. Von nun an soll sich ihre Freundin um ihre Angelegenheiten kümmern, vor allem um die erheblichen Vermögenswerte.
Das passt gut, denn die Freundin ist gleichzeitig die Bankberaterin, kennt sich aus mit Geldgeschäften. Doch während Evelyn Nolte im Krankenhaus liegt und später in ein Pflegeheim umzieht, plündert die angebliche Freundin ihr Konto.
Das Vermögen ist verschwunden
Erst als Evelyn Nolte auf Nachfragen zu ihren Finanzen von der Freundin keine klare Antwort erhält wird sie misstrauisch, widerruft die Vorsorgevollmacht und überträgt sie ihrem Neffen. Doch ihr Vermögen von ehemals fast 150.000 Euro ist bereits bis auf wenige Euro aufgebraucht.
Heute ist Evelyn Nolte ein Sozialfall. Sie war sich der Tragweite ihrer Unterschrift unter der Vorsorgevollmacht nicht bewusst. Denn mit dieser Unterschrift hatte sie jegliche Entscheidung - und jegliche Kontrolle - abgetreten. Ein Bevollmächtigter unterliegt nämlich keiner Rechenschaftspflicht, sein Handeln wird nicht kontrolliert.
Vorsorgevollmachten nehmen zu
Die Vorsorgevollmacht wurde eingeführt, um den Bürgern eine Alternative zum gesetzlichen Betreuer zu ermöglichen. Eigentlich ein sinnvolles Instrument, denn mit Hilfe der Vorsorgevollmacht kann jeder sicherstellen, dass eine Person seiner Wahl die eigenen Wünsche und Vorstellungen durchsetzt. Vor allem, wenn man seine Angelegenheiten aufgrund von Krankheit, Unfall oder Alter nicht mehr selbst regeln kann.
Gerade ältere Menschen stellen immer häufiger Vorsorgevollmachten aus. 1,7 Mio. dieser Vollmachten sind derzeit registriert, die Zahl hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt.
Hohes Missbrauchsrisiko
Doch mittlerweile warnen Verbraucherschützer und Fachanwälte vor dem hohen Missbrauchsrisiko der Vorsorgevollmacht. Sie fordern mehr Aufklärung über die Risiken und Gefahren, auch durch den Gesetzgeber. Das Justizministerium wirbt nämlich gezielt für die Vorsorgevollmacht und stellt Vordrucke für eine Vorsorgevollmacht im Internet zur Verfügung.
Laut Professor Dr. Volker Thieler, Experte für Betreuungsrecht, müsste aber im Zusammenhang mit den Vordrucken viel deutlicher auf die Gefahren hingewiesen werden. "Ich glaube, dass der Gesetzgeber das Problem noch nicht sieht. Man sieht die Probleme gar nicht, die wir tagtäglich in der Praxis haben. Wir haben von morgens bis abends Fälle, wo dieser Missbrauch existiert und wo das ganze Vermögen vernichtet wurde und das erfahren die Leute oft erst, wenn derjenige gestorben ist,“ so Thieler.
Das Instrument Vorsorgevollmacht müsse noch einmal durchdacht werden, die Bürger müssten mehr und besser aufgeklärt werden, wie sie sich vor Missbrauch schützen können.