Pflegequalität in Deutschland hängt stark vom Wohnort ab
Ist man auf Pflege angewiesen, so macht es einen Unterschied, wo man lebt. Denn die Qualität der Pflege variiert je nach Wohnort stark - dabei sollten schließlich überall die gleichen Standards gelten.
Viele Jahre hat Rita Drozdz ihre Freundin Doris begleitet, die im Pflegeheim war. Die Freundin hatte Multiple Sklerose (MS) und saß im Rollstuhl, aber sie hätten noch viel zusammen unternommen, erzählt sie. Bis plötzlich Ende Dezember 2022 aus den Segeberger Kliniken die Nachricht kam, ihre Freundin sei ins Krankenhaus gekommen. "Sie muss wahnsinnige Schmerzen gehabt haben, weil sie nur noch so gelegen und mit den Augen gerollt hat", erzählt Rita Drozdz. Bis heute fragt sie sich, was schiefgelaufen ist. Wurde ihre Freundin im Heim nicht fachgerecht versorgt?
Die größte Sorge von Angehörigen, die ihre Liebsten ins Pflegeheim geben müssen, ist, dass sie dort nicht gut gepflegt werden, dass sie zu Schaden kommen. Doch offenbar hängt es auch vom Wohnort ab, wie gut die Pflegequalität ist. Die Unterschiede in Norddeutschland sind von Landkreis zu Landkreis zum Teil enorm. Das haben aktuelle Auswertungen von Versichertendaten ergeben.
Immer wieder kommt es vor, dass Demenzkranke wegen Flüssigkeitsmangel ins Krankenhaus müssen, dass sie mit Medikamenten ruhiggestellt werden. Heimbewohner liegen wund und bekommen Druckgeschwüre. Und laut aktuellen Daten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK trifft es die einen dabei schlimmer als andere. In manchen norddeutschen Landkreisen passieren solche Pflegemängel kaum, in anderen aber doppelt, dreimal oder acht Mal so häufig.
Die drei Landkreise mit den meisten Druckgeschwür-Fällen beispielsweise liegen alle in Niedersachsen. Demnach haben 2021 in der Grafschaft Bentheim und im Kreis Vechta fast 18 Prozent der Bewohner einen Dekubitus bekommen. In Osnabrück sind es rund 17 Prozent gewesen. Diese Werte sind mehr als doppelt so hoch wie die in den drei norddeutschen Landkreisen mit den niedrigsten Zahlen.
Ähnlich sieht es beim Thema Flüssigkeitsmangel aus. Viele Landkreise in Niedersachsen gehören diesbezüglich zu dem Viertel mit der schlechtesten Pflegequalität. Auch bei der Frage, wie viele demenzkranke Pflegeheimbewohner dauerhaft mit Medikamenten ruhiggestellt werden, gibt es große Unterschiede. In Schleswig-Holstein ist vor allem der Landkreis Plön auffällig. Doch auch in Niedersachsen sind wieder viele Kreise unter denjenigen mit den schlechtesten Ergebnissen.
Es geht auch anders
Dabei geht es auch anders. Es gibt sogar konkrete Rahmen-Empfehlungen des Gesundheitsministeriums, wie man mit guter Pflege den Einsatz von Psychopharmaka verhindern oder zumindest stark reduzieren kann.
Im Haus Auguste, einem kleinen Pflegeheim für Menschen mit Demenz in Braunschweig, werden diese Empfehlungen gelebt. Personenzentrierte Pflege nennt man das. Das sei überhaupt das Wichtigste, sagen sie hier. Auch wenn Dinge unverständlich erscheinen, sollte man nicht abrupt einschreiten oder Regeln durchsetzen, das erhöhe nur die Verunsicherung, führe dazu, dass die Bewohner frustriert, ängstlich oder sogar aggressiv werden.
"Wir sind hier ganzheitlich. Wenn die Bewohner den ganzen Tag auf einem Stuhl sitzen oder auf dem Sessel sitzen, dann langweilen sie sich. Durch Langeweile entsteht Unruhe", sagt die Pflegedienstleiterin Sabrina Behnsch. Natürlich haben sie auch im Haus Auguste immer wieder mit Personalengpässen zu kämpfen. Aber sie bekommen es trotzdem hin. Auch weil alle gut geschult sind und sich alle gleichermaßen verantwortlich fühlen.
Warum diese Unterschiede?
Das Problem ist: Solche Pflegekonzepte liegen teilweise nur in der Schublade. In vielen Heimen bleibt wegen der Personalnot zu wenig Zeit dafür. In Befragungen hat das bis zu einem Drittel der Pflegekräfte ausgesagt. Aber ist die Personalnot wirklich der entscheidende Faktor? Kann sie allein die Unterschiede von Kreis zu Kreis erklären? Oder sind diese auf zum Teil bessere Schulungen der Pflegekräfte zurückzuführen? Tragen gar die verschreibenden Ärzte die Verantwortung?
Gabriele Meyer ist Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaft in Halle. Sie hat eine große Studie zu demThema durchgeführt. Das Problem sei seit über zehn Jahren bekannt: keiner fühle sich richtig verantwortlich, erläutert sie.
Keinerlei Konsequenzen
"Es ist ja kein Anlass da, um ihre Pflege-Rituale zu beenden und die Praktiken zu verändern. Also Ärzte, die ein Übermaß Antipsychotika verordnen, haben mit keinen Konsequenzen zu rechnen. Heime, die im Übermaß Menschen mit Antipsychotika ruhigstellen, haben auch keine Konsequenzen zu befürchten. Warum sollte ein Anlass bestehen, diese Praktik zu beenden oder zu reduzieren?" fragt Meyer. Woher die regionalen Unterschiede kommen, könne man derzeit nur mutmaßen.
Das Gesundheitsministerium in Niedersachsen, bei dem die Fachaufsicht über diese Heimaufsichtsbehörden liegt, schreibt, man nähme die Ergebnisse der Studie sehr ernst. Es sei jetzt wichtig, vor Ort zu prüfen, welche Maßnahmen in Angriff genommen werden können. Hier seien etwa Heimaufsichtsbehörden und der Medizinische Dienst gefragt.