G20-Razzia: Durchbruch bei den Ermittlungen oder PR-Bluff?
Die Hamburger Polizei hat am frühen Morgen (4.12.17) bundesweit 24 Objekte durchsuchen lassen. Es war eine Großrazzia im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel. Dort hatten Randalierer und Autonome schwere Gewalt ausgeübt.
Das Ausmaß der konkreten Taten, um deren Aufklärung es bei der Razzia heute ging, war allerdings ziemlich klein. Die Hamburger Polizei hat keine Straftäter präsentiert, die am Rande des G-20-Gipfels Feuer an Autos gelegt oder Fensterscheiben von Gebäuden zertrümmert haben. Auch keine heiße Spur zu den durch ein Video berüchtigten "Brandstiftern von der Elbchaussee" wurde benannt. Nein, die Razzia richtete sich gegen 22 Beschuldigte, die allesamt am frühen Morgen des 7. Juli in der Straße Rondenbarg in einem Gewerbegebiet im Westen Hamburgs festgenommen wurden. Die Beschuldigten hätten, so der Vorwurf, an einem Protestzug teilgenommen und damit schweren Landfriedensbruch begangen. Das Problem: offenbar lassen sich mindestens einigen Beschuldigten überhaupt keine individuellen Gewalttaten nachweisen. Mit dem Kaliber der "Elbchaussee-Täter" ist wohl keiner hier vergleichbar.
Keine Beweise für eigenhändige Gewalttaten
Panorama liegen mehrere Polizeivideos vor, die dokumentieren, wie die Demonstranten zunächst einzelne Gegenstände werfen und die Beamten dann die Demonstration auflösen. Insgesamt werden aus der Menge 18 Gegenstände in Richtung der Beamten geworfen. So steht es in der Anklageschrift gegen den Italiener Fabio V. Der inzwischen 19-Jährige ist der bislang einzige Angeklagte infolge der mehr als 70 Strafverfahren aus dem "Rondenbarg"-Komplex. Fabio V. saß viereinhalb Monate in Untersuchungshaft. Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg-Altona dauert an. Panorama berichtete mehrfach über den Fall.
Das Problem der Strafverfolger: Sie haben keine Beweise dafür, dass Fabio V. eigenhändig Gewalttaten verübt hat. Sechs Polizisten haben bereits als Zeugen von Gericht ausgesagt. Keiner von ihnen hat den Angeklagten während der Demonstration gesehen. Aus Sicht der Anklage läuft der Prozess nicht gut.
Schuldig wegen Teilnahme an Demonstration?
Dabei sollte der Prozess gegen den jungen Italiener aus Sicht der Strafverfolger eigentlich den Weg ebnen für Dutzende weitere Verfahren gegen Personen, die am "Rondenbarg" festgenommen wurden. Nun haben sich die Ermittler auf einen neuartigen Tatvorwurf festgelegt: Fabio und die anderen hätten sich als Mitglieder einer Gruppe strafbar gemacht, die - wie etwa Hooligans - nur zum Zweck der Gewalt unterwegs war. So machte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer auf der Pressekonferenz deutlich, dass er sämtliche Teilnehmer des Protestzugs für schuldig hält, auch wenn sie bloß dabei waren. Es sei eine "geschlossen marschierende Gruppe" gewesen, die die gemeinsame Absicht gehabt habe, Gewalttaten zu verüben, so Meyer. Wer nicht selbst Steine geworfen habe, habe dies eben gebilligt.
Damit sind nach Meyers Auffassung alle Demonstrationsteilnehmer des Landfriedensbruchs schuldig. In der Pressekonferenz verwies er mehrfach auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom vergangenen Mai. Darin heißt es, dass "ostentatives Mitmarschieren" in einer gewaltbereiten Gruppe ausreiche, um wegen Landfriedensbruchs verurteilt zu werden. Der Haken: die Leitentscheidung des BGH befasst sich mit einem Aufmarsch von Fußballhooligans, die Anhänger eines gegnerischen Clubs angriffen und verprügelten. In dieser Konstellation seien auch Personen schuldig, die nicht eigenhändig zuschlugen. Ausdrücklich grenzen die Karlsruher Richter in ihrer Leitentscheidung jedoch den Hooligan-Aufmarsch von politischen Demonstrationen ab, "bei denen aus einer Ansammlung einer Vielzahl von Menschen heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, aber nicht alle Personen Gewalt anwenden oder dies unterstützen wollen."
Gleichsetzung von Demonstranten und Hooligans
Das ficht den Hamburger Polizeipräsidenten nicht an. Auf Nachfrage bestätigt er, dass nach seiner Auffassung die Demonstranten in der Straße "Rondenbarg" strafrechtlich genauso zu bewerten sind wie prügelnde Fußballhooligans. Sie könnten sich nicht auf das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit berufen. Folgerichtig halten Meyer und seine Soko "Schwarzer Block", die wegen G-20 ermittelt, auch die Mitglieder der Verdi-Jugend NRW für schuldig, die in der Gruppe mitdemonstriert haben. Sechs von ihnen haben sich vergangene Woche (28.11.) in Panorama 3 geäußert. Sie erklärten, dass sie mit Steinwürfen nicht gerechnet hätten. "So wie ich die Demonstration wahrgenommen habe, war das nicht Teil des Plans für diese Demonstration. Was ich über diese Demonstration wusste, dort sollten keine Steine geschmissen werden", sagte Simon Ernst, Promotionsstipendiat im Fach Geschichte an der Uni Köln.
Mitglieder von Verdi Ziel der Durchsuchungen
Julia Kaufmann, Krankenschwester, trug während der Demonstration ein weißes Megafon, das nach der Auflösung des Protestzugs von der Polizei beschlagnahmt wurde. Das ist in einem der Polizeivideos zu sehen. "Wir haben während der Demonstration verschiedene Ansagen gemacht zu verschiedenen Themen, warum wir da sind", sagte Kaufmann im Panorama 3-Interview. "Ich habe gesagt: wir sind heute nicht hier, um anzugreifen, um etwas kaputt zu machen. Wir wollen unser legitimes politisches Anliegen auf die Straße tragen. Wir wollen niemandem schaden und wir wollen auch eine Demonstration sein, an der sich jeder beteiligen kann. Die offen ist für die Menschen. Und nicht abschreckend." Mitglieder der Bonner Gruppe sind auch auf dem Polizeivideo wiedererkennbar: weder schwarz gekleidet noch vermummt.
Simon Ernst, Julia Kaufmann und drei weitere Mitglieder von Verdi, die sich bei Panorma 3 geäußert hatten, waren heute Morgen auch Ziel der Durchsuchungen. Ihre Computer und Mobiltelefone seien beschlagnahmt worden. Simon Ernst erklärte am Nachmittag auf Anfrage, seine Doktorarbeit, die er fast fertig gestellt habe, sei auf dem beschlagnahmten Rechner. Es sei jetzt schwierig, seine Abgabetermine einzuhalten. Auf der Pressekonferenz bestritt der Chef der Soko "Schwarzer Block", Jan Hieber, dass auch Gewerkschaftsmitglieder Ziel der Razzia gewesen seien. „Nicht dass ich wüsste,“ antwortete er auf eine entsprechende Frage. Sein Vorgesetzter Meyer übernahm daraufhin das Mikrofon und relativierte: "Wir fragen ja nicht bei jedem, den wir durchsuchen nach, ob er Gewerkschaftsmitglied ist."
Hintergründe offenlegen
Polizeipräsident Meyer betonte, dass es bei der heutigen Razzia nicht darum gegangen sei, "Beweise zu sammeln". Die 22 Beschuldigten, bei denen die Durchsuchungen stattfanden, seien bekannt und es sei klar, dass sie bei der Demonstration dabei waren. Mit der Razzia habe man vielmehr das Ziel verfolgt, "Hintergründe, Verbindungen und Strukturen der linken Szene" offen zu legen. Daher habe man auch zahlreiche Kommunikationsgeräte und Speichermedien beschlagnahmt.