Elbvertiefung: Scheitert das Großprojekt am Schlick?

Stand: 29.03.2022 14:31 Uhr

Schlick in der Unterelbe gefährdet den freien Zugang zum Hamburger Hafen. Nach Recherchen von Panorama 3 steigt die Zahl schifffahrtspolizeilicher Verfügungen, die das Navigieren auf der Elbe zwischen der Mündung bei Cuxhaven und dem Hamburger Hafen einschränken.

von Stefan Buchen

"Wegen der Elbvertiefung." Diese Antwort bekommt man von der Gastwirtin in Otterndorf an der Elbmündung auf die Frage, warum es weniger Stinte gebe. "Wegen der Elbvertiefung!", sagt auch der Kapitän der Fähre zwischen Glückstadt und Wischhafen auf die Frage, warum er so langsam und vorsichtig das Ufer ansteuere. Stinte und andere Lebewesen bekommen nicht mehr genug Sauerstoff im trüben Wasser. In den Uferbereichen setzt sich so viel Schlick ab, dass die Fähre sich bei Niedrigwasser buchstäblich durch den Modder arbeiten muss. 

Schlick verstopft zunehmend die Fahrrinne

Hans Balschoweit © NDR
Ist kein Fan der Elbvertiefung: Fischer Hans Balschuweit.

"Die Elbvertiefung ist nicht populär", meint Fischer Hans Balschuweit aus Cuxhaven. Auf seinem Kutter sind wir zehn Kilometer hinausgefahren in die Elbmündung, an eine Stelle, die "Neuer Lüchtergrund" heißt. Dort beobachten wir innerhalb einer Stunde drei Baggerschiffe. "Es ist Wahnsinn, was hier abgeht," sagt Balschuweit. Am Neuen Lüchtergrund kippen Baggerschiffe seit langem Schlick aus der Unterelbe ab und seit neuestem auch Sedimente aus dem Hamburger Hafen. An der Wasseroberfläche sind Schlieren und braune Wolken zu erkennen. "Der Meeresbiologie tut das nicht gut," kommentiert Balschuweit. "Wir sind hier inmitten von drei Naturschutzgebieten." Gemeint sind die drei Wattenmeer-Nationalparks von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg. 

Dies sind oberflächliche Eindrücke von der Unterelbe. Sie lassen erahnen, wo das eigentliche Problem liegt. Hamburg und der Bund baggern wie nie zuvor im Fluss und bekommen die Elbe doch nicht frei von Sedimenten. Nach Recherchen von Panorama 3 verstopft der Schlick zunehmend die Fahrrinne. Die Elbvertiefung, deren erfolgreichen Abschluss der Hamburgische Senat am 24. Januar verkündete, droht deshalb zur Makulatur zu werden. Große Schiffe mit einem Tiefgang von 13,50 m können seitdem tideunabhängig den Hafen erreichen. Beim Ritt auf der Flutwelle sind sogar Navigationstiefen von 14,50 m möglich. Das ist jeweils ein Meter mehr als vor der 9. Elbvertiefung zulässig war.  

Die Recherchen zeigen, dass entlang der Unterelbe bis in den Hafen hinein gehäuft "Mindertiefen" auftreten. Die neuen Solltiefen werden demnach regelmäßig nicht erreicht. 

91 schifffahrtspolizeiliche Verfügungen wegen "Mindertiefen"

Die Zahl schifffahrtspolizeilicher Verfügungen, die das Navigieren auf der Elbe zwischen der Mündung bei Cuxhaven und dem Hamburger Hafen einschränken, steigt offenbar. Das Schifffahrtsamt Elbe-Nordsee erließ seit Anfang des Jahres 91 solcher Verfügungen wegen sogenannter "Mindertiefen", wie die vorgesetzte Bundesverwaltung Schifffahrtsstraßen (GDWS) auf Anfrage mitteilte. Verglichen mit den drei Vorjahren zeichnet sich offenbar ein deutlicher Anstieg solcher Verfügungen für das Jahr 2022 ab. Denn in den vergangenen Jahren wurden im Durchschnitt rund 200 Verfügungen über das gesamte Jahr erlassen.

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Hamburg und der Bund baggern wie nie zuvor im Fluss und bekommen die Elbe doch nicht frei von Sedimenten.

Panorama 3 liegen zwei schifffahrtspolizeiliche Verfügungen vor, eine vom 10. und eine vom 11. März 2022. In der ersten werden auf einem Teilabschnitt von zweieinhalb Kilometern bei Freiburg an der Elbe Unterschreitungen der Solltiefe von bis zu 1,70 m angezeigt. Schiffe ab einem Tiefgang von 12,10 m hätten den Bereich entweder zu umfahren oder äußerst vorsichtig und mit verminderter Geschwindigkeit zu passieren. Begegnungen von zwei Schiffen mit einem Tiefgang von 12,10 m und mehr seien in dem Bereich "nicht gestattet". Die zweite Verfügung betrifft einen Flussabschnitt von fünf Kilometern bei Wedel. Dort wird vor Mindertiefen von bis zu 1,30 m gewarnt. "Alle Fahrzeuge mit einem Tiefgang von 12,70 m und mehr" hätten die kritischen Bereiche zu umfahren oder mit "äußerster Vorsicht und stark reduzierter Geschwindigkeit zu passieren." Fahrzeuge mit dem "maximalen tideunabhängigen Tiefgang" und 0,30 m weniger "dürfen den Bereich zwischen den Tonnen 123 und 125 von 1,5 Stunden vor bis 1,5 Stunden nach örtlichem Niedrigwasser nicht befahren." (Hervorhebungen im Original) 

Wie die Schifffahrtsverwaltung des Bundes mitteilte, hätten die Mindertiefen bislang nicht dazu geführt, dass ein Schiff den Hamburger Hafen nicht hätte verlassen oder diesen nicht hätte anlaufen können. 

Verzögerungen in der Schifffahrt

Nach den Recherchen von Panorama 3 kommt es auf der Elbe aber zu Verzögerungen in der Schifffahrt. So soll ein Containerschiff kurz nach dem Ablegen im Hamburger Hafen am frühen Morgen des 14. März zur Unterbrechung seiner Fahrt bei Finkenwerder gezwungen gewesen sein.

Grafik Anstieg der jährlichen Baggermenge am Hamburger Hafen und der Unterelbe seit der letzten Elbvertiefung © NDR
Baggermengen steigen 2021 schlagartig an.

Der Großfrachter habe zwei Stunden bis zum Eintreffen der Flut warten müssen, wie dem NDR ein sachkundiger Informant berichtete. Dabei sei das Schiff von zwei Schleppern auf Position gehalten worden. Erst um 9 Uhr habe das Schiff seine Fahrt Richtung Nordsee fortsetzen können. 

Die zuständige Reederei wollte sich nicht zu dem Vorfall äußern. Doch allgemein werden Verzögerungen in den Monaten Februar und März aus Reedereikreisen bestätigt. Die Hamburger Wirtschaftsbehörde bestätigt den Vorfall. Sie bezeichnet den Ablauf als "normale und anlassbezogene Verkehrssteuerung".

Mindertiefen auch im Hamburger Hafengebiet

Die Hamburgische Wirtschaftsbehörde hebt auf Anfrage hervor, dass die schifffahrtspolizeilichen Maßnahmen ein gleiches Sicherheitsniveau für die Schifffahrt gewährleisten. Für ihren Zuständigkeitsbereich habe sie 2022 bislang acht schifffahrtspolizeiliche Verfügungen erlassen. Die Mindertiefen hätten auch hier bis zu 1,70 m betragen. Nur eine Verfügung sei wieder aufgehoben worden. Der Trend geht folglich auch im Hafen und den direkten Zufahrtsstrecken nach oben.

Und es gibt weitere Indizien, dass auch in Hamburg das Fahrwasser immer wieder vollläuft. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion teilte der Senat am 17.12.2021 mit, es seien "Mindertiefen von mehreren Dezimetern in der Unterelbe, dem Köhlbrand und der Süderelbe zu beobachten." In einem HPA-Gutachten vom Februar 2022 heißt es: "Als Ergebnis des unzureichenden Sedimentaustrages hat sich seit 2014 das Sedimentinventar im Hamburger Hafen deutlich erhöht […]. Die Folge sind Mindertiefen in von der Schifffahrt genutzten Bereichen."

Baggermengen wachsen an

Hamburg und der Bund bemühen sich, die Sedimente aus Fahrrinne und Hafenbecken zu entfernen. 2021 sind die Baggermengen auf 35 Millionen Kubikmeter angewachsen. In den Jahren zuvor waren es im Durchschnitt rund 10 Millionen Kubikmeter weniger. Den Schifffahrtsbehörden fehlt es offenbar an geeigneten Abladestellen für den Schlick. Hamburg nahm Mitte März den Plan vorläufig wieder zurück, Sedimente in der Außenelbe nördlich der Insel Scharhörn, die zum Territorium der Hansestadt gehört, zu entsorgen. Niedersachsen, dessen Wattenmeer und Strände an das Gebiet grenzen, plant dennoch Klage gegen eine mögliche Schlickverklappung bei Scharhörn einzureichen, um einer dortigen Entsorgung auch in Zukunft zu vorzubeugen. Seit dem 18. März kippt Hamburg nun zweimal täglich Hafenschlick in die Elbmündung am "Neuen Lüchtergrund". In der Notlage hat der Bund seine dortige Verklappstelle zur Verfügung gestellt. Die Schifffahrtsverwaltung des Bundes erklärt, dass dadurch die zulässige Schadstoffmenge nicht überschritten werde. "Das kommt mir alles total planlos vor," meint Fischer Hans Balschuweit. "Nach dem Motto: Hauptsache raus mit dem Zeug." 

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 29.03.2022 | 21:15 Uhr

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