Merz‘ Wirtschaftsplan: Wer profitiert? Wer verliert?
Mit Friedrich Merz als voraussichtlich neuem Kanzler steht eine wirtschaftsliberale Wende bevor. Die Steuern sollen sinken - doch das muss irgendjemand bezahlen. Kürzungen beim Bürgergeld, bei der Rente und auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer scheinen möglich.
Nach der Bundestagswahl will die Union den Kurs in der Wirtschafts- und Sozialpolitik bestimmen. Der voraussichtlich neue Bundeskanzler Friedrich Merz setzt auf das Rezept "Steuern runter, Wirtschaft ankurbeln". Doch was nach Entlastung klingt, bedeutet auch harte Einschnitte - denn irgendwo muss das fehlende Geld eingespart werden.
Finanzierungslücke von mehr als 100 Milliarden Euro
Da stellt sich umso mehr die Frage, wie groß die Finanzierungslücke der Union ist. Wirtschaftsforscher liefern ernüchternde Prognosen:
- das ifo-Institut aus München kommt auf 87,3 Milliarden Euro
- das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schätzt das Defizit auf 89 Milliarden Euro
- das arbeitnehmerfreundliche Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht sogar von einer Lücke von mehr als 110 Milliarden Euro aus
Die Tendenz ist eindeutig: Es fehlt eine gigantische Summe. Die Union konterte solche Berechnungen zuletzt mit einem Stufenplan. Man wolle die Steuerpläne nicht sofort, sondern über mehrere Jahre hinweg in vier Stufen umsetzen.
Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hält dieses Argument für unsinnig. Die gestaffelte Umsetzung der Reformen mag anfangs weniger Geld kosten, doch langfristig bleibt das Loch im Haushalt gleich groß. "Man verzögert also nur den Zeitpunkt, an dem es massiv auf den Haushalt einwirkt", sagt die Ökonomin von der Universität München im Gespräch mit Panorama. Hinzu kommt: Selbst die Union geht bereits nach der ersten Stufe von einem zweistelligen Milliardendefizit aus - gleichzeitig möchte Merz an der Schuldenbremse festhalten.
Kassensturz nach der Wahl?
Sollten die Pläne der Union auch nur teilweise umgesetzt werden, dürfte ein Wort fallen, das bereits im Wahlkampf immer wieder aus ihren Reihen zu hören war: Kassensturz. Auch im Wahlprogramm von CDU/CSU heißt es vielsagend, man wolle unmittelbar zu Beginn der neuen Wahlperiode "einen ehrlichen Kassensturz" machen. Wo genau der Rotstift angesetzt wird, lässt sich kurz nach der Wahl nur vermuten. Doch Aussagen aus der Union deuten an, wohin die Entwicklung gehen dürfte.
Bürgergeld: Mehr Druck auf Arbeitslose?
Ein Dauerthema: Bürgergeld. Wenn man 100.000 Arbeitslose in Arbeit bringe, könne das bis zu drei Milliarden Euro einsparen, rechnet CDU-Haushaltspolitiker Matthias Middelberg im Interview mit Panorama vor. Um das zu erreichen, sei es notwendig, "Arbeitsanreize zu schaffen und den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen", so Middelberg.
Doch wirkt mehr Druck nachhaltig? Das ist in der Arbeitsmarktforschung umstritten. Studien zeigen zwar: Sanktionen können die Jobsuche beschleunigen - aber zu welchem Preis? Oft führen sie zu schlechter bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen. Die Folge ist ein Drehtüreffekt. Viele nehmen schnell einen Job an - nur um ihn bald wieder zu verlieren.
Kürzungen bei Flucht und Rente?
Neben dem Bürgergeld rückt die Union das Thema Flucht und Asyl ins Visier, wenn es um Einsparungen geht. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann warf bereits im Wahlkampf die Zahl von zehn Milliarden Euro in den Raum, die hier eingespart werden könnten. Sein Parteifreund Matthias Middelberg möchte sich auf keine konkrete Zahl festlegen, sagt aber gegenüber Panorama: Wenn es gelänge, die Zahl der Asylbewerber um die Hälfte zu reduzieren, ließen sich Einsparungen im zweistelligen Milliardenbereich realisieren.
Steuersenkungen haben ihren Preis - und den zahlen wohl auch Länder und Kommunen. Denn viele Steuerarten fließen nicht nur an den Bund, sondern auch in die Haushalte von Bundesländern sowie von Städten und Gemeinden. Nicht zuletzt die Rente könnte in den Fokus geraten. Im Wahlkampf spielte sie kaum eine Rolle, doch die Union fordert in ihrem Grundsatzprogramm die Abschaffung der Frührente ab 63 - eine Forderung, die sie im Wahlprogramm allerdings nicht wiederholte. "Wir müssen uns jetzt nach der Wahl wirklich ehrlich in die Augen sehen und über die Sicherung der Rente in der Zukunft sprechen", sagt Middelberg.
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer als Elefant im Raum
Die kommenden Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen könnten sich auch um eine andere mögliche Maßnahme drehen, die Merz zuletzt zumindest nicht mehr ausgeschlossen hat: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Einige Ökonomen haben eine Anhebung des regulären Mehrwertsteuersatzes (derzeit 19 Prozent) sowie den Wegfall von Vergünstigungen für den ermäßigten Satz (derzeit sieben Prozent) ins Gespräch gebracht. Für Stefan Bach vom DIW ist die Mehrwertsteuer der "steuerpolitische Elefant im Raum". Eine Erhöhung wäre eine vergleichsweise einfache Maßnahme, um Milliarden in den Haushalt zu spülen.
Die letzte Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland erfolgte 2007 durch eine Koalition aus Union und SPD. Während die SPD in ihrem Wahlprogramm gegen eine Erhöhung war, sprach sich die Union für eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um zwei Prozentpunkte aus. Am Ende einigten sich die Parteien auf eine Erhöhung um drei Prozent. "Das wäre eine Option zur Gegenfinanzierung", so Bach. Allerdings sei diese Regelung sozial ungerecht, weil sie kleinere Einkommen überproportional belaste.
Die Gerechtigkeitslücke der Merz-Pläne
Die Frage der Gerechtigkeit dürfte die kommenden Koalitionsverhandlungen - egal in welcher Konstellation - stark beschäftigen. Denn die Pläne der Union zeigen eine deutliche soziale Schieflage. Eine Studie von Holger Stichnoth vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim belegt: Je höher das Einkommen, desto größer sind die steuerlichen Entlastungen - nicht nur absolut, sondern auch relativ. Für Matthias Middelberg steht die Priorität der Union fest: "Es geht jetzt nicht in erster Linie um eine Verteilungs- oder Gerechtigkeitsdebatte, sondern darum, den Motor der deutschen Wirtschaft ans Laufen zu bringen", betont er.
Kommt eine Reform der Schuldenbremse?
Ob die Schuldenbremse in der heutigen Form weiter bestehen wird, dürfte angesichts der Haushaltslage, notwendiger Investitionen und vermutlich steigender Ausgaben im Verteidigungsetat, die von der Union und potenziellen Koalitionspartnern bereits befürwortet wurden, mehr als fraglich sein. Während die CDU im Wahlkampf betont hat, an der Schuldenbremse festhalten zu wollen, gibt es immer mehr Signale, dass zumindest Spielräume ausgelotet werden könnten. Doch allein mit einer Lockerung der Schuldenbremse wäre die Finanzierungslücke längst nicht geschlossen. Der Kassensturz könnte sich für viele als Zahltag erweisen.
Mehr sehen Sie heute Abend bei Panorama: 21.45 Uhr im Ersten und im Livestream in der ARD Mediathek.
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