Merz‘ Wirtschaftsplan: Wer profitiert, wer verliert? (Manuskript)
Panorama v. 27.02.2025
Anmoderation Anja Reschke: "Also ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber gut, dass die Bundestagswahl vorbei ist. Man war ja schon ganz ermattet. Jeden Tag die gleichen Gesichter, die gleichen Fragen, die gleichen Argumente – so ein Wahlkampf ist ja nicht nur für Politikerinnen und Politiker anstrengend, sondern irgendwie auch für uns alle. Und man ist dann doch erleichtert, wenn es jetzt mal wieder um Entscheidungen und tatsächlich umgesetzte Politik geht. Und nicht nur um Wahlkampfgetöse. Die CDU, die ja nun allerhöchstwahrscheinlich die Regierung anführen wird, hat ein klares Signal: Sie will die Wirtschaft stärken. Dafür braucht sie aber Geld. Und das muss sie irgendwo reinholen. Und damit wird es konkret. Wir haben mal untersucht, wen die Kürzungen treffen könnten."
Der Wahlabend: Für diese Familie steht viel auf dem Spiel. Für Unternehmerin Mareike Boccola und ihre Familie zählt jetzt vor allem eins: Wird Friedrich Merz und die Union die Wirtschaft endlich wieder auf Kurs bringen?
O-Ton Mareike Boccola, Unternehmerin: "Herr Merz muss jetzt liefern. Ich denke, die Forderung aus unserer Unternehmerschaft ist klar. Wir müssen die Wirtschaft mobilisieren, wir müssen wieder ins Doing kommen."
Boccola ist in Sorge – und ihre Sorge muss man ernst nehmen. Denn es sind Menschen wie sie, deren Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft bildet. Am nächsten Morgen in ihrer Firma: 40 Menschen verdienen hier ihr Geld. Aber der Druck auf Unternehmen wächst. Energiepreise, Bürokratie, hohe Abgaben – ist der Wirtschaftsstandort Deutschland noch wettbewerbsfähig genug?
O-Ton Mareike Boccola, Unternehmerin: "Wir sind ja ein deutscher Maschinenbauer, aber wir sind in über 40 Ländern präsent. Das heißt, wir verkaufen ja überall in die Welt, wir fertigen aber nur hier in Deutschland. Das heißt, wir müssen eigentlich intern im Land unsere Hausaufgaben machen, dass wir hier nicht noch teurer werden durch Steuern, Abgaben, Lohnnebenkosten, die uns nicht mehr wettbewerbsfähig machen."
Die gesamte deutsche Wirtschaft ist eine Baustelle: hohe Kosten, weniger Aufträge, erste Entlassungen. Friedrich Merz will gegensteuern – mit massiven Steuersenkungen für Unternehmen.
O-Ton Friedrich Merz, CDU (24.02.25): "Wir müssen alles tun, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft wieder zu stärken - und alles unterlassen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft schwächt."
Doch der Plan hat einen Haken: weniger Steuern bedeuten: weniger Geld in der Staatskasse. Ein riesiges Haushaltsloch droht. Wie viel? Wirtschaftsnahe Institute prognostizieren ein Defizit von 89 Milliarden Euro pro Jahr. Der Ökonom Stefan Bach kommt auf eine noch viel höhere Differenz.
O-Ton Stefan Bach, Wirtschaftswissenschaftler: "Das geht bis zu 110 Milliarden € im Jahr. Wenn man alles zusammenrechnet. Das ist natürlich schon ein beträchtlicher Batzen Geld, den man dann irgendwo finanzieren muss."
110 Milliarden Euro weniger. Selbst für den Staat viel Geld: Der gesamte Bundeshaushalt soll 488 Milliarden Euro betragen. Fast ein Viertel des gesamten Haushaltes. So viel wie für Bundeswehr und alle Straßen und Schienen zusammen. In diesem Film gehen wir einer Frage nach: Wer ZAHLT für diesen Plan? Bei wem soll gespart werden? Für Merz scheint eine Gruppe klar zu sein, Bürgergeldempfänger.
O-Ton Friedrich Merz, CDU (TV-Duell, 09.02.2025): "Mit 100.000 Bürgergeldempfängern, die zurückkommen in den Arbeitsmarkt, sparen wir mindestens 1,5 Milliarden Euro."
Die Idee der CDU: Mehr Menschen in Arbeit bringen – dann gibt es weniger Bürgergeldempfänger, und der Staat spart, automatisch. Mathias Middelberg ist einer der Köpfe dieses CDU-Plans. Mit direktem Draht zu Merz.
O-Töne: Panorama: "Sie wollen durch mehr Druck mehr Menschen in Beschäftigung bringen. Mehr Druck?"
Mathias Middelberg, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Nein, durch Angebote. Und wenn die Angebote nicht angenommen werden, dann gibt es auch Druck. Das stimmt."
Mehr Druck also. Aber funktioniert das so einfach? Sozialkaufhaus Neumünster, an einem Dienstagmorgen. Fast 85 Prozent der Mitarbeitenden hier beziehen Bürgergeld. Eine sogenannte „Maßnahme“: vom Job-Center gefördert und verpflichtend. Das Ziel: Dass Arbeitssuchende hier in reguläre Jobs kommen sollen. Tina Bachert hilft am liebsten im Verkauf, denn genau das hat die 36-Jährige auch gelernt. Sie ist seit knapp zwei Jahren hier. Zuvor war sie sechs Jahre zu Hause, um ihre Mutter zu pflegen.
O-Ton Tina Bachert, Arbeitssuchende: "Ich hatte keinen geregelten Alltag in der Sicht früher. Es war halt immer meine Mama an erster Stelle, Einkaufen, Haushalt und alles und das Arbeiten und auch wieder täglich rausgehen. Hat das jetzt durch die Arbeit hierher gefördert."
Die Pflege ihrer Mutter habe ihr psychisch zugesetzt, deshalb schaffe sie noch keinen regulären Job. Was hält sie vom Vorschlag der CDU, durch Sanktionen den Druck zu erhöhen?
O-Töne Tina Bachert, Arbeitssuchende: "So Leute wie wir hier, die jeden Tag hierher zu kommen, zur Arbeit, ihre Sachen hier erledigen, auch jeden Termin einhalten und alles und auch die Sachen tun, die das Jobcenter von uns verlangt, würde ich das nicht gutheißen. Aber bei Leuten, die sich gegen alles wehren, da würde ich es schon gutheißen, wenn es mit den bisschen Sanktionen kommt."
Panorama: "Was würde das mit Ihnen machen?"
Tina Bachert: "Ich glaube dann, ich glaube, ich würde ein bisschen zusammenbrechen, weil ich schon immer rechne, wie viel habe ich zur Verfügung."
Stephanie Vallentin hilft seit mehr als 20 Jahren Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. An die Wirkung von Sanktionen glaubt sie nicht.
O-Ton Stephanie Vallentin, Diakonie Altholstein: "Wenn ein Teilnehmer hier vor Ort ist und erstmal erlernen muss, was es heißt, vielleicht morgens aufzustehen oder wenn er krank ist, sich auch krank zu melden. Also diese, ich sage jetzt mal dieses Wort Arbeitstugenden, die müssen sie erst mal wieder kennenlernen. Das kennen sie doch gar nicht in zweiter Generation der Arbeitslosigkeit."
Sanktionen führen oft nur – warnt Vallentin – zum sogenannten Drehtüreffekt.
O-Ton Stephanie Vallentin, Diakonie Altholstein: "Wenn man das dann so machen würde, dann würden die Menschen vielleicht kurzfristig dann schnell in Arbeit gehen, aber auch genauso schnell wieder vom Arbeitsmarkt verschwinden."
Mehr Druck, mehr Jobs. Klingt plausibel – aber leider wohl zu einfach, um wahr zu sein. Sparen wird man dadurch kaum. Aber die Sparpläne – werden viele spüren. Denn das Geld durch die geplanten Steuersenkungen fehlt nicht nur dem Bund. Sondern auch Ländern und Kommunen. Senkt der Bund Steuern hat auch er weniger Geld. Markus Kleinkauertz, CDU, Bürgermeister von Bohmte in Niedersachsen. Noch sind die Einnahmen seiner Kommune stabil. Aber es drohen hohe Kosten – etwa für die Sanierung von Brücken.
O-Ton Markus Kleinkauertz, CDU, Bürgermeister Bohmte: "Wenn man diese Brücke jetzt sieht, die ist voll intakt, die wird auch jedes Jahr geprüft. Aber man sieht jetzt: Irgendwann ist da doch mal jetzt eine Sanierung angesagt. Wenn ich diese Brücke sanieren möchte, zeitgemäß auch mit einem ordentlichen Geländer, dann bin ich bei mindestens 300.000. Und ich sage mal von diesen Dingern hier habe ich 20 Stück in der Kommune."
Bohmte steht eigentlich gut da – ist handlungsfähig. Trotzdem macht die Kommune seit Jahren Schulden. Die finanziellen Pläne der CDU würden zwar die Wirtschaft entlasten, die Kommunen aber belasten.
O-Ton Markus Kleinkauertz, CDUm Bürgermeister Bohmte: "Also das hieße zunächst mal für die neue Bundesregierung, dass sie gut beraten ist, wenn sie Ruhe im Laden behalten will, mit den Kommunen zu sprechen. Wenn das nicht geschieht, müssen wir an dieser kommunalen Steuerschraube drehen. Und das wird zu erheblichem Unmut in der Bevölkerung führen. Und das ist auch nachvollziehbar."
O-Töne Prof. Monika Schnitzer, Wirtschaftsweise: "Die Frage ist ja wieder an die Kommunen damit umgehen sollen. Wo sollen die denn die Einnahmen dann einsparen, indem sie weniger ausgeben? Im Zweifel muss dann der Bund wieder aushelfen, sonst würden die ja möglicherweise gar nicht zurechtkommen."
Panorama: "Also so ein bisschen eine Milchmädchenrechnung."
Prof. Monika Schnitzer: "Es ist in der Tat, glaube ich, etwas Augenwischerei."
Nächster Streichpunkt: Der Bund gibt Geld für Förderprogramme aus. Auch da will die Union sparen.
O-Ton Mathias Middelberg, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Da gibt es sehr sehr viele Förderprogramm, die man in Frage stellen kann. Ich nenne mal eines ganz speziell. Das ist das Programm 'Demokratie Leben!', wo wir exemplarisch genannt, wirklich große Probleme haben, weil wir nicht erkennen können, dass das Geld da irgendwie zweckmäßig eingesetzt wird."
"Demokratie leben!" – das ist ein Förderprogramm im Familienministerium, mit dem Veranstaltungen und Projekte unterstützt werden, die der Stärkung der Demokratie dienen. Auch Panorama-Autoren haben bei solchen Veranstaltungen schon Vorträge gehalten. Und: Es finanziert Beratungsstellen – Hilfe für Opfer rechter Gewalt. Oumar Diallo brauchte genau diese Hilfe – nach einem Überfall in einer Sommernacht in Erfurt.
O-Ton Oumar Diallo: "Wir sind ja in die Kurve hineingelaufen und ungefähr wo das Wasser ist, standen auf einmal vier, fünf Leute, sehr schwarz gekleidet."
Aus diesem damaligen Nazitreff kommen die "Leute" - sind stadtbekannte Rechtsradikale – zu zehnt bedrohen sie Oumar und seine Freunde. Ein Freund wird brutal zusammengeschlagen. Oumar ruft die Polizei.
O-Ton Oumar Diallo: "Ich war unter Panik, ich habe nur versucht, das, was mir eingefallen ist, zu machen, damit die einfach aufhören, auf meinen Freund zu schlagen."
Die Tat verfolgt ihn. Wochenlang kann er kaum etwas essen. Hilfe findet er in einer Beratungsstelle, finanziert auch von "Demokratie leben!" Dieses Geld will die CDU streichen. Sie hilft mit Therapie, begleitet ihn zur Polizei, vermittelt Kontakt zu Anwälten.
O-Ton Oumar Diallo: "Du bist fremd in einem Land. Du kennst dich überhaupt nicht aus. Also auf einmal hatten wir das Gefühl, zumindest ich hatte das Gefühl, ich habe jemanden, der sich auskennt und der für mich da ist. Und dieses Gefühl hat die Beratungsstelle mir vermittelt."
Oumar studiert mittlerweile Jura. Dass genau die Stellen vor dem Aus stehen, die ihm geholfen haben, macht nicht nur ihn fassungslos.
O-Ton Franziska Schestak-Haase, Betroffenenberatungsstelle Thüringen: "Ich denke, dass es dazu führen könnte, dass weniger Strafanzeigen gestellt werden, also dass auch rechte Gewalttaten quasi im Dunkelfeld verbleiben, nicht in die öffentlichen oder institutionellen Statistiken eingehen."
"Demokratie leben!" unterstützt viele weitere Beratungsstellen. Auch dadurch kostet es 182 Millionen Euro pro Jahr. Nicht wenig Geld. Aber ist gerade jetzt die Zeit, um an Demokratieförderung zu sparen? Bei einem viel größeren Posten im Haushalt war die Union im Wahlkampf erstaunlich still. Bei der Rente. 121 Milliarden Euro wird der Bund 2025 in die Rentenkasse pumpen – und die Summe wächst. Eine Reform längst überfällig. Doch im Wahlkampf wollte die Union davon wenig wissen.
O-Ton Mathias Middelberg, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Die Rente ist ein Thema, das sag ich mal ehrlich und deutlich, dass alle Parteien in den letzten Jahren vernachlässigt haben und vielleicht auch sehenden Auges ein bisschen vernachlässigt haben. Das kann so nicht weitergehen. Deswegen müssen wir uns jetzt nach der Wahl wirklich ganz ehrlich in die Augen sehen und uns über das Thema 'Wie sichern wir die Rente in der Zukunft' unterhalten."
Denn – ehrlich gesagt – wie bisher können wir uns das nicht mehr leisten. Sagt auch fast jeder Wirtschaftsexperte. Vor allem bei der Frührente. Gabriele Baum ist bereits vor mehr als sechs Jahren vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Mit 56. Zuvor hatte sie fast 40 Jahre bei einer Versicherung gearbeitet.
O-Ton Gabriele Baum, Frührentnerin: "Das musste durchgerechnet werden, das ist ganz klar. Ohne dem geht es nicht. Aber wir haben dann entschieden: Ja, das ist es uns wert. Für mich war das wirklich ganz großartig."
Um die freie Zeit sinnvoll zu nutzen, engagiert sie sich ehrenamtlich, in Bad Segeberg. Mit anderen besucht sie Klinik-Patientinnen und Patienten, die sonst keinen Besuch bekommen oder einfach mal reden wollen.
O-Ton Gabriele Baum, Frührentnerin: "Man spürt einfach eine gewisse Dankbarkeit, von den Patienten. Tatsächlich. Manchmal wird es nicht direkt mit Worten ausgedrückt, aber man spürt das an Gesten oder bei der Verabschiedung."
Eine sinnvolle erfüllende Aufgabe, für die sie im Berufsalltag keine Zeit gehabt hätte. Doch so nachvollziehbar ihr Wunsch nach Frührente ist – in Zukunft wird das wohl nicht mehr gehen – das Geld reicht nicht.
O-Ton Prof. Monika Schnitzer, Wirtschaftsweise: "Wenn man anschaut, wie lange war man 1980 als Rentner in Rente. Wie lange ist das heute? Dann muss man sagen, die Rentendauer hat sich im Durchschnitt um acht Jahre erhöht. Das muss irgendwie finanziert werden und das kann man nur dadurch leisten, dass man entweder eben selbst ein Teil länger arbeitet oder aber indem man sagt gut, dann gibt es eben keine so hohe Rente und am Ende muss man an beiden Stellschrauben drehen."
Auf Nachfrage gibt auch CDU-Experte Middelberg plötzlich zu, es muss sich etwas ändern.
O-Töne Panorama: "Warum spiegelt sich die Glaubwürdigkeit und die Ehrlichkeit, die Sie jetzt einfordern, nicht in dem Wahlprogramm der CDU wider?"
Mathias Middelberg, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Also da sind schon einige Punkte enthalten, aber es sind nicht alle Fragen angesprochen, die man vielleicht auch hätte ansprechen müssen."
Panorama: "Kann es vielleicht damit zusammenhängen, dass eine sehr große Wählergruppe Rentner sind?"
Mathias Middelberg: "Das kann damit zusammenhängen, aber ich sage einfach jenseits dessen: Wir müssen ja jetzt das Thema angehen."
Was heißt das jetzt? Das Ziel, Wirtschaftswachstum unumstritten wichtig, ja. Aber zur Wahrheit gehört: entlastet man die einen, verlieren die anderen.
O-Töne Panorama: "Herr Merz, kurze Frage zu dem Wirtschaftsprogramm: Wird die SPD mitmachen?"
Friedrich Merz, CDU: "Schauen wir mal!"
O-Ton Mathias Middelberg, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Ich sage das mal ganz deutlich: Es geht jetzt in erster Linie nicht darum, eine Verteilungsdebatte oder eine Gerechtigkeitsdebatte zu führen. Ich will gerne zugeben, dass nicht alles bei den steuerlichen Erleichterungen am Ende super gerecht ausgehen kann. Das will ich ganz ehrlich sagen. Aber darum geht es jetzt gar nicht. Jetzt geht es im Moment darum, den Motor „Deutsche Wirtschaft“, der stillsteht, den wieder ins Laufen zu kriegen, das ist alles."
Bericht: Atiena Abednia, Ann-Brit Bakkenbüll, Johannes Edelhoff, Sebastian Friedrich
Kamera: Christianj Beer, Vincent Brügel, John Patrick Classen, Birgit Handke, Andrzej Król, Peter Linskes, Alexander Rott
Schnitt: Timo Becker
