Von EU mitfinanziert: Deutsches Paar in türkischer Abschiebehaft
Rund 40 Tage war ein deutsches Paar in türkischer Abschiebehaft. Es berichtet von Polizeigewalt und brechend vollen Zellen - der Fall gibt seltene Einblicke in ein menschenunwürdiges Asylsystem, das die EU mitfinanziert.
Im Dezember 2023 wird das Ehepaar Gabriela und Walter Wimmer in der Türkei festgenommen. Die Polizisten bringen sie in ein Abschiebegefängnis in der Nähe der Stadt Gaziantep, etwa 40 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Ihr Touristenvisum war abgelaufen. Die folgenden Wochen bis zu ihrer Abschiebung werden für sie zum Albtraum.
Die Erzählungen des deutschen Ehepaars zeichnen das Bild eines von der EU mitfinanzierten Asylsystems, in dem grundlegende Menschenrechte verletzt werden.
Alles beginnt mit einer Reise in die Türkei. Die Wimmers machen Urlaub in einem der beliebtesten Reiseländer der Deutschen. Sie sind vor Ort, als ein Erdbeben am 6. Februar 2023 den Südosten der Türkei und Nordsyrien erschüttert. Rund 60.000 Menschen sterben. Das bayerische Ehepaar beschließt spontan zu helfen.
Die 90 Tage, in denen sich Touristen visafrei in der Türkei aufhalten können, laufen ab. In der Ausnahmesituation halten sie es nicht für nötig, sich um ein Visum zu kümmern, sagen sie heute. Ein Fehler - im Dezember nimmt sie die Polizei fest. Walter Wimmer berichtet, er sei im Verhör geschlagen worden. Seine Ehefrau bestätigt das. Die türkischen Behörden antworten auf die Fragen zu den Vorwürfen bis zum Redaktionsschluss nicht.
Von der Polizeistation geht es in ein Abschiebegefängnis bei Gaziantep, später in eine zweite Einrichtung in der Provinz Şanlıurfa. Beide Gefängnisse seien überfüllt gewesen.
Türkei geht massiv gegen "irreguläre Migration" vor
Die Türkei zählt zu den Ländern mit den meisten Geflüchteten weltweit, Ende des vergangenen Jahres sollen es laut UNHCR 3,3 Millionen Menschen gewesen sein. Die türkische Regierung geht massiv gegen sogenannte irreguläre Migration vor. Innerhalb des letzten Jahres hat die Türkei rund 150.000 von ihnen abgeschoben, verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kürzlich.
Eine Säule der türkischen Abschiebepolitik sind die rund 30 Rücksendezentren, wie sie offiziell heißen. Aktivistinnen, Menschenrechtsanwälte und Nichtregierungsorganisationen kritisieren die Zustände darin seit langem: von Gewalt und Folter, überbelegten Zellen, medizinischer Mangelversorgung, fehlenden Zugängen für Rechtsanwältinnen ist die Rede.
In den Gefängnissen landen in der Regel Migranten aus dem Nahen Osten und Zentralasien, aus Syrien, Afghanistan oder Turkmenistan. "Wir waren entsetzt, dass es so menschenunwürdig da drinnen zugegangen ist", sagt Walter Wimmer. Er berichtet, dass 16 Personen sich sechs Schlafplätze teilen mussten. "Wie die Ratten" seien sie eingepfercht worden.
Brüssel zahlt Millionen für die Gefängnisse
Was die Wimmers zunächst nicht glauben können: Die Europäische Union finanziert die türkischen Abschiebegefängnisse seit Jahren, unter anderem im Zuge des sogenannten EU-Türkei-Abkommens. Die EU stellte der Türkei 2016 sechs Milliarden Euro in Aussicht. Im Gegenzug verpflichtete sich Ankara dazu, Fluchtrouten zu schließen und Geflüchtete von den griechischen Inseln zurückzunehmen. In die Abschiebegefängnisse flossen seit 2008 insgesamt rund 200 Millionen Euro aus EU-Mitteln.
Touristen und Erdbebenhelfer wie die Wimmers stehen weder beim EU-Türkei-Abkommen noch bei der finanziellen Unterstützung der Abschiebegefängnisse durch Brüssel im Fokus. Diese Gefängnisse sind gedacht für Menschen wie Ali. Der Syrer heißt eigentlich anders, aber aus Angst vor den türkischen Behörden möchte er nur anonym sprechen. Auf der Flucht nach Europa inhaftiert ihn die türkische Polizei, später landet er im selben Zellentrakt wie Walter Wimmer.
Anderer Gefangener berichtet von Folter
Der Diabetiker aus Bayern erleidet nach eigenen Angaben aufgrund der mangelhaften medizinischen Versorgung einen schweren gesundheitlichen Notfall in der Haft. Dennoch glaubt Ali, dass das Lagerpersonal mit den Deutschen noch verhältnismäßig gut umgegangen sei. "Ich vermute, dass sie wissen, wenn sie ihn schlecht behandeln, wird er darüber reden und sie werden bloßgestellt", sagt Ali. Er berichtet von Gewalt und Folter, von den Schreien eines Mitinsassen aus Syrien. Laut Ali werden Inhaftierte dazu genötigt, einer angeblich freiwilligen Rückkehr zuzustimmen.
Diese Erzählung deckt sich auch mit den Schilderungen weiterer ehemaliger Inhaftierter, mit denen Panorama gesprochen hat. Die türkischen Behörden reagieren bis zum Redaktionsschluss auch nicht auf Fragen zu den Vorwürfen zur Situation in den Gefängnissen.
EU: Geld trägt zu "würdigerem Rücksendeprozess" bei
Auf Anfrage teilt die EU-Kommission mit, Gelder, mit denen sie unter anderem die sogenannten Rücksendezentren in der Türkei mitfinanziert, hätten zu "einem sichereren und würdigeren Rücksendeprozess" beigetragen. Außerdem betont sie: "Die Kommission hat die türkischen Behörden wiederholt auf die Notwendigkeit der Achtung der Grundrechte hingewiesen".
In den Rücksendezentren in Şanlıurfa und Gaziantep fanden nach EU-Angaben im Juni 2023 Kontrollbesuche der EU-Delegation in der Türkei statt. Die Berichte aber stellte die EU-Kommission Panorama bis zum Redaktionsschluss nicht zur Verfügung. Dazu sei ein gesondertes Prüfverfahren nötig, heißt es.
Medico International kritisiert Rolle der EU
Nach rund 40 Tagen werden die Wimmers abgeschoben, wohl mit Unterstützung der deutschen Botschaft. Auch Ali darf das Gefängnis nach mehreren Monaten unter strengen Auflagen verlassen. Er rechnet jeden Tag mit seiner Abschiebung, sagt er. Viele Geflüchtete kommen erst gar nicht auf freien Fuß, für sie ist die Haft die letzte Station vor der Abschiebung in Kriegs- und Krisengebiete.
Die Migrationsforscherin Valeria Hänsel von Medico International kritisiert die Rolle der EU gegenüber Panorama: "Wenn man sagt, dass Menschen anderswo als in der EU Schutz finden und dann werden sie in eine Situation ausgeliefert, wo sie im Gefängnis sitzen und wo sie Folter ausgesetzt sind, dann hat das nichts mit einer menschenrechtsbasierten Migrationspolitik zu tun."