Kritik aus Regierungsparteien: Telekom verbaut weiter Huawei-Technik
Die Bundesregierung will den Einsatz von Huawei-Technik reduzieren und plant, Mobilfunknetzbetreibern vorzuschreiben, chinesische Komponenten aus dem 5G-Netz zu entfernen. Dennoch verbaut die Telekom weiter Teile von Huawei. So hat ein Kamerateam des ARD-Politikmagazins Panorama etwa im Juni dokumentiert, wie die Telekom Antennen des chinesischen Herstellers auf einem neuen Funkmast anbringen ließ.
Bundestagsabgeordnete der Regierungskoalition reagierten darauf mit deutlicher Kritik. "Es ist äußerst befremdlich," sagt Nils Schmid, außenpolitischer Experte der SPD-Fraktion. Für ihn sei "empörend", wie ein Telekommunikationskonzern "eindeutig gegen den Willen der Politik und des Gesetzgebers weiter Huawei-Komponenten" ins 5G-Netz einbaue. "Das entspricht nicht meinen Erwartungen," kommentiert auch Konstantin von Notz, Fachmann für Sicherheits- und Netzpolitik bei den Grünen. Seit Jahren seien die Mobilfunknetzbetreiber bestens darüber informiert, dass die Regierung die Nutzung von Bauteilen und Software chinesischer Ausrüster im deutschen 5G-Netz stark einschränken, wenn nicht sogar ganz verbieten wolle, betonen beide Politiker.
Die Beschlusslage der Regierung deckt sich allerdings nicht mit der Rechtslage: Im April 2021 verabschiedete der Bundestag das Zweite Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme. Dieses Gesetz erlaubt der Bundesregierung, den Einbau von Komponenten "nicht vertrauenswürdiger Hersteller" zu verbieten und die Netzbetreiber zur Entfernung bereits eingebauter Teile zu verpflichten. Das Bundesinnenministerium begann eine Prüfung der einzelnen Komponenten des 5G-Netzes, inwiefern von ihnen Gefahren für die Sicherheit des Netzes ausgehen. Diese Prüfung sei, so die Auskunft einer Ministeriumssprecherin, "kurz vor dem Abschluss".
Dabei geht es nicht nur um die technische Analyse einzelner Bauteile und Software-Systeme. Gegenstand der Erwägungen ist auch die Frage, ob die Verwendung von Produkten bestimmter Hersteller gegen die sicherheitspolitischen Ziele der Europäischen Union und der Nato verstößt. Das Gesetz eröffnet also die Möglichkeit, die Entfernung von Huawei-Komponenten anzuordnen, schreibt dies jedoch nicht verbindlich vor.
Europas "digitale Souveränität"
Nach Auffassung des Grünen-Abgeordneten von Notz gehört die Verringerung der wirtschaftlichen und technologischen Abhängigkeit von der aufstrebenden Weltmacht China zu diesen sicherheitspolitischen Zielen. "Es geht hier nicht um irgendetwas, sondern es geht um die Frage, ob wir morgen frei und unabhängig kommunizieren können," sagt von Notz gegenüber Panorama. Europa müsse auf seine "digitale Souveränität" achten.
Nach Recherchen von Panorama hat bereits im Frühjahr 2019 die damalige Bundesregierung den vier Vorstandsvorsitzenden der deutschen Mobilfunknetzbetreiber Deutsche Telekom, Telefonica, Vodafone und 1&1 in einem Gespräch mitgeteilt, dass die Verwendung der Produkte chinesischer Hersteller wie Huawei und ZTE für das 5G-Netz aus politischen Gründen nicht ratsam sei. "Für mich war auf Grund dieser Gespräche klar, dass es nicht mehr opportun ist, in chinesische Ausrüster zu investieren," sagte der Mehrheitseigner und CEO des Mobilfunknetzbetreibers 1&1 Ralph Dommermuth gegenüber Panorama. Die Telekom wollte sich zu einem solchen Gespräch nicht äußern. Telefonica und Vodafone ließen eine Anfrage dazu unbeantwortet. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums teilte mit: "Zu Inhalten interner, nicht presseöffentlicher Gespräche der Hausleitung geben wir grundsätzlich keine Auskunft. Das gilt auch für Gespräche vergangener Legislaturperioden."
Am 16. Mai 2019 setzte die US-Administration mehrere Unternehmen des Huawei-Konzerns auf eine schwarze Liste, so dass es amerikanischen Firmen fortan verboten war, bestimmte Geschäfte mit Huawei zu tätigen.
Einsatz von Huawei-Technik sogar gestiegen
Nach dieser US-Maßnahme steigerte die Telekom offenbar den Einsatz von Huawei-Technik sogar noch, wie ein Panorama vorliegender Mailverkehr zwischen leitenden Mitarbeitern der Deutschen Telekom, ihrer Einkaufstochter Buyin und Huawei vom Mai 2020 belegt. Darin betonen Manager der Telekom, dass das Volumen der bei Huawai 2019 eingekauften Netzwerkprodukte gegenüber dem Vorjahr "leicht gestiegen" sei. In einer beigefügten Tabelle schlüsselt die Telekom auf, welche Bauteile sie in welchem Umfang von 2017 bis 2019 von Huawei bezogen hat. Darunter sind Komponenten aus dem sogenannten Zugangsnetz (RAN- Radio Access Network), dem Transport- und dem Kernnetz. Die Gesamtsumme für die in den drei Jahren eingekauften Produkte überschreitet den Dokumenten zufolge 200 Millionen Euro. Die Produkte von Huawei gelten als gut, vergleichsweise günstig und stromsparend.
Tatsache ist, dass die Bundesregierung bislang Untersagungen gegen einzelne Komponenten des Huawei-Konzerns und anderer chinesischer Hersteller nicht ausgesprochen hat. Die Telekom handelt also nach der Devise: Alles, was nicht explizit und formal verboten ist, ist erlaubt. Dem Vernehmen nach wird hinter den Kulissen vor allem über die Management-Software von Huawei verhandelt, welche die Antennen auf den Funkmasten und Dächern steuert. Sollte diese Software ausgetauscht werden müssen, wären auch die Antennen fällig. Denn es ist kaum denkbar, dass Huawei einem Konkurrenten die Schnittstellen des eigenen Computer-Systems preisgeben wird. Huawei betont im Übrigen, dass dem Unternehmen weder Sabotage oder Spionage noch die Existenz von Sicherheitslücken in seiner Netzwerktechnologie nachgewiesen worden seien.
Die Telekom hebt hervor, dass sie dabei sei, den Anteil von Huawei-Komponenten in ihrem 5G-Netz zu verringern, was im als besonders kritisch geltenden Kernnetz schon geschehen sei. Im sogenannten Zugangsnetz hat der Konzern hauptsächlich Ausrüstung von Huawei und Ericsson. Dort setze man für die Zukunft auf weitere Hersteller, wie der Vorstandsvorsitzende Timotheus Höttges auf der Jahresbilanzpressekonferenz vergangenen Februar betonte.
Wie Panorama aus gut informierten Kreisen erfuhr, wird zwischen den deutschen Mobilfunkanbietern und der Bundesregierung seit einigen Wochen intensiv über die Frage möglicher Entschädigungen für die Kosten des Austauschs chinesischer Produkte im 5G-Netz verhandelt. Anfang Juni waren die Vorstände der Telekom, von Telefonica und Vodafone zu diesbezüglichen Gesprächen in Berlin. Telekom-Chef Höttges macht aus seiner Forderung nach Entschädigung keinen Hehl. "Wir wissen ja gar nicht, ob es einen Austausch oder einen Wechsel gibt," sagte der CEO bei der erwähnten Pressekonferenz auf die Frage eines Panorama-Reporters. Als Aktiengesellschaft habe man die Pflicht, "sorgsam zu prüfen, inwieweit sich Schadensersatzansprüche ableiten lassen", wenn die Rahmenbedingungen durch die Politik verändert würden. Er habe als Vorstandsvorsitzender "das Vermögen des Unternehmens" gegenüber Dritten zu schützen, so Höttges. Auch ein Sprecher von Telefonica teilte auf Anfrage mit, dass man im Falle einer Anordnung zur Entfernung bestimmter Komponenten aus dem 5G-Netz Schadenersatzansprüche gegenüber dem Staat prüfen werde. Vodafone antwortete auf eine entsprechende Anfrage nicht.
Der Kanzler ist gefragt
Der Grünen-Abgeordnete von Notz hat beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages ein Gutachten zur Rechtmäßigkeit von Entschädigungsansprüchen der Telekom-Konzerne in Auftrag gegeben. Das Gutachten liegt Panorama exklusiv vor. Demnach ist der Raum für Ersatzansprüche der Telekommunikationsunternehmen äußerst begrenzt. Allerdings zeigen die Gutachter den Telekommunikationsunternehmen auch einen möglichen Ausweg auf. Untersagungen von Komponenten, die laut Gesetz auf dem Verwaltungswege erfolgen müssten, könnten "unverhältnismäßig" sein. Dies müssten die betroffenen Unternehmen dann auf dem Rechtsweg nachweisen.
Es gibt aber nicht bloß Streit zwischen Regierung und Unternehmen, sondern auch innerhalb der Regierung. Während das Innenministerium nach Informationen von Panorama einen "Austauschbedarf" für bestimmte Komponenten bereits festgestellt hat, steht das ebenfalls zuständige Ministerium für Digitales und Verkehr von Volker Wissing (FDP) auf der Bremse. Dies berichten übereinstimmend die befragten Abgeordneten Konstantin von Notz (Grüne), Nils Schmid (SPD) und Roderich Kiesewetter (CDU) sowie weitere Volksvertreter. Wissing ist demnach gegen harte Vorgaben zur raschen Entfernung von Huawei- und ZTE-Produkten. Wegen der Differenzen liege die Sache seit einiger Zeit zur Entscheidung im Bundeskanzleramt, wie die Abgeordneten berichten. "Das Bundeskanzleramt und der Kanzler sind gefragt," sagt Konstantin von Notz. "Da müssen eben Entscheidungen gefällt werden und Verantwortung übernommen werden."
Auf Anfrage von Panorama verwies das Bundeskanzleramt darauf, dass das Prüfverfahren hinsichtlich der Mobilfunkkomponenten noch laufe. Die Ergebnisse seien "abzuwarten". Eine Sprecherin verwies zudem auf die Federführung des Bundesinnenministeriums in der Sache. Das Ministerium für Digitales und Verkehr teilte auf Anfrage mit, es bringe sich "konstruktiv in die laufenden Abstimmungen ein".
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