Steueroasen in Deutschland: Scheinbüros fürs Finanzamt

Stand: 20.05.2021 18:00 Uhr

Zossen gilt wegen seiner niedrigen Gewerbesteuer als "Steueroase". Recherchen belegen nun erstmals, dass viele Firmen dort offenbar nur zum Schein tätig sind.

von Annette Kammerer, Caroline Walter

"Ich sag mal so", meint ein Ladenbetreiber, der lieber anonym bleiben möchte, "bei jedem Brötchen muss man einen Bon ausdrucken, aber bei den großen Firmen schauen die weg." Vor ein paar Jahren sei er nach Zossen gezogen - aber so was, das habe er vorher noch nie gesehen, sagt er und zeigt dabei auf die Briefkästen seiner Nachbarn: Ein winziges Büro, mit Dutzenden Firmennamen: "So sieht das hier an jeder zweiten Hauswand aus."

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Gewerbesteueroasen mitten in Deutschland

Auf den Briefkästen stehen Namen großer Konzerne, darunter viele Investment- und Immobilienfirmen aus Berlin. Aber auch andere nutzen die günstige Gewerbesteuer der Kleinstadt. "Natürlich sparen wir hier Steuern", sagt der Geschäftsführer eines Chemikalienkonzerns aus Nordrhein-Westfalen Panorama gegenüber. Illegal aber sei das nicht. Das stimmt soweit.

Briefkästen mit mehreren Namen darauf © NDR/ARD Foto: Screenshot
Zossen gilt wegen seiner niedrigen Gewerbesteuer als "Steueroase". Recherchen belegen nun erstmals, dass viele Firmen dort offenbar nur zum Schein tätig sind.

Zossen ist eine "Gewerbesteueroase" mitten in Deutschland. Hier zahlen Firmen nur 9,45 Prozent Gewerbesteuern. Im nur eine halbe Stunde entfernten Berlin werden dagegen über 14 Prozent auf den Gewinn fällig. Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal für Zossen: Ähnlich niedrige Gewerbesteuersätze haben in Deutschland auch Grünwald bei München, Monheim bei Düsseldorf oder Lützen bei Leipzig.  

Unfairer Wettbewerb?

Christoph Trautvetter © NDR/ARD Foto: Screenshot
Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit kritisiert das Vorgehen von Firmen - und Gemeinden.

Jede größere Stadt habe so eine Gewerbesteueroase vor der Tür, meint Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Das Problem: "Die Gemeinden ruinieren sich gegenseitig, weil die Firmen auf Knopfdruck Gewinne künstlich von einer Gemeinde in die andere verlagern können, ohne ihre tatsächlichen Tätigkeiten verschieben zu müssen. Das führt dazu, dass sich die Gemeinden gegenseitig unterbieten."

Was das bedeutet, weiß der Bürgermeister von Dormagen, Erik Lierenfeld, nur zu gut: "Wenn ich an Cayman Islands denke, schaue ich nur auf die andere Rheinseite", sagt er und meint damit Monheim am Rhein. Denn in der kleinen Kommune werden nur 8,75 Prozent an Gewerbesteuer fällig - auch dort hängen unzählige Briefkästen.

Gewerbesteuer-Dumping

Erik Lierenfeld © NDR/ARD Foto: Screenshot
Erik Lierenfeld ist Bürgermeister von Dormagen. Er wehrt sich gegen das "Gewerbesteuerdumping".

Gegen dieses "Gewebesteuerdumping" wehren sich in Nordrhein-Westfalen knapp 30 Kommunen. Denn das sei, so Bürgermeister Lierenfeld, eben kein Wettbewerb: "Die Unternehmen nutzen mit Steuertricks niedrige Gewerbesteuersätze woanders aus, ohne dass sie dort wirklich produzieren oder ihre eigentlichen Gewinne erwirtschaften."

Das Geschäft mit den Briefkästen

Ein Panorama-Team hat sich als Unternehmen ausgegeben, um zu recherchieren, wie die Steuertricks genau funktionieren. Ist es möglich in Zossen eine so genannte "Briefkastenfirma" zu gründen, also nur zum Schein in der Kleinstadt zu arbeiten? Und wie genau schaut das zuständige Finanzamt hin?

Im Internet findet das Team Vermieter, die weit mehr als nur Büroräume anbieten. Ab 99 Euro im Monat können wir nicht nur einen Schreibtisch anmieten, sondern uns auch die Post an unseren eigentlichen Firmensitz nachsenden lassen und das Telefon umleiten.

Einer dieser "Vermieter" will in einem zweistöckigen Haus über 200 Firmen untergebracht haben. Jeden Monat kämen fünf bis zehn neue dazu, erzählt er. Er sei hier immer allein, versichert der er wiederholt und lacht: "Die Hälfte der Firmen wissen wahrscheinlich noch nicht einmal, wo Zossen liegt."

Briefkästen illegal?

Henning Tappe © NDR/ARD Foto: Screenshot
Henning Tappe lehrt an der Universität Trier Steuerrecht. Wenn man eine Betriebsstätte nur vorspiegele, sei man im Bereich der Steuerhinterziehung.

Eigentlich müssen in Zossen Firmen eine "Betriebsstätte" haben, um hier auch von der niedrigen Gewerbesteuer profitieren zu können, erklärt Henning Tappe, der an der Universität Trier Steuerrecht lehrt. In Zossen müssen Autos vom Band rollen, Arbeitnehmer beschäftigt sein, oder aber zumindest Geschäftsentscheidungen getroffen werden. Was nicht ausreichen würde: "Der klassische Briefkasten."

"Wenn ich behaupte, ich hätte in Zossen eine Firmenadresse, ich würde dort tatsächlich geschäftlich tätig sein, bin es aber nicht, und mache gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben - dann kann das Steuerhinterziehung sein", so Steuerrechtler Tappe. Und das zuständige Finanzamt?

Laxe Kontrollen?

Das käme so gut wie nie vorbei, erzählt uns der "Vermieter". Ob eine Firma hier tatsächlich arbeite, erfrage das Finanzamt einmalig mit einem kurzen Fragebogen. Da müssten wir nur richtig antworten: "Wo werden die Geschäftsentscheidungen getroffen zum Beispiel? Natürlich hier." Trotzdem wisse das Finanzamt, was hier los sei, meint der Betreiber: "Die sind ja nicht blöd."

Das Finanzamt Luckenwalde verweist Panorama gegenüber auf das ihm überstehende Finanzministerium. Mit den konkreten Vorwürfen konfrontiert erklärte Lutz Rensing vom Finanzministerium Brandenburg: "Es ist eine Sache, dass es Briefkastenfirmen gibt. Die andere Sache ist, wie das Finanzamt damit umgeht. Und hier haben wie uns die Entscheidungsabläufe angesehen und sind zum Ergebnis gekommen, dass da fehlerfrei gearbeitet wird."

Probleme mit System

Doch warum fand Panorama dann trotzdem hunderte menschenleere Firmensitze in der Kleinstadt? Die laxe Kontrolle sei ein strukturelles Problem, meint Christoph Trautvetter: "Die lokal zuständigen Finanzämter haben oft überhaupt kein Interesse daran, gegen dieses Modell vorzugehen." Denn würden sie richtig prüfen, würden Zossen - und damit auch Brandenburg - vermutlich Gewerbesteuereinnahmen verloren gehen.

Die Bürgermeisterin von Zossen, Wiebke Schwarzweller, weist den Vorwurf zurück, ihre Stadt sei eine "Gewerbesteueroase" und betreibe "unfairen Wettbewerb". Das Thema sei "durchaus kompliziert", so ihr Pressesprecher, und Zossen habe den Gewerbesteuersatz bereits erhöht. Außerdem handle die Stadt "im Rahmen der Gesetze", so die Bürgermeisterin.

 

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Der Panorama-Beitrag vom 20. Mai 2021 als PDF-Dokument zum Download. Download (106 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.05.2021 | 21:45 Uhr

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